# taz.de -- Debatte Wirtschaftstheorie: Die Fehler der Keynesianer | |
> Unter den Volkswirten herrscht Krieg. Die Neoliberalen haben bisher | |
> gewonnen, weil die Keynesianer zentrale Themen lange ignorierten. | |
Bild: Geld allein kann nicht erklären, warum die Neoliberalen in der Ökonomie… | |
Europa hat in zehn Jahren drei schwere Finanzkrisen erlebt – und dennoch | |
regiert noch immer das neoliberale Paradigma, das im Kern behauptet, Märkte | |
seien perfekt. Sie würden immer zum Gleichgewicht tendieren, weswegen der | |
Staat nicht eingreifen dürfe. Wie kann so viel Blindheit sein? | |
Die Ökonomie ist eine tückische Wissenschaft: Ihre Theorien verändern ihr | |
Objekt, die wirtschaftliche Realität – im Gegensatz zu den | |
Naturwissenschaften. Die neoliberale Theorie ist dafür ein gutes Beispiel: | |
Sie verteilt Einkommen, Vermögen und Macht von unten nach oben und macht | |
die Reichen noch reicher. | |
In der Ökonomie vermengen sich daher Erkenntnis und Interesse, Einsicht und | |
Rechtfertigung. Umso bemühter sind Ökonomen, den Schein objektiver | |
Naturwissenschaftlichkeit zu erhalten. Dies zeigt sich krass bei den | |
Nobelpreisen: Ausgezeichnet werden am liebsten Theorien, die durch | |
originelle Konstruktion und mathematische Abstraktion unkenntlich machen, | |
dass sie in die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe eingreifen. | |
Die Theoriebildung ist daher auch ein Krieg um Vorherrschaft – an den | |
Universitäten, in den Medien und in der Politik. Für Vermögende lohnt es | |
sich, in die Theorieproduktion zu investieren und etwa Thinktanks, | |
Lehrstühle und Studien zu finanzieren. | |
## Die falsche „Phillips-Kurve“ | |
Doch obwohl die Neoliberalen über viel Geld verfügen, kann Geld allein | |
nicht erklären, warum sie in der Ökonomie eine derartige Hegemonie | |
erreichen konnten. Es kamen auch Fehler der Keynesianer hinzu. | |
Zu ihren Irrtümern gehört die sogenannte „Phillips-Kurve“. Der britische | |
Ökonom Phillips hatte beobachtet, dass geringe Arbeitslosigkeit mit höherer | |
Inflation einhergeht. Dies allein ist noch keine sensationelle Erkenntnis: | |
Bei Vollbeschäftigung sind die Gewerkschaften stark und können hohe Löhne | |
durchsetzen, was wiederum die Preise steigen lässt. Doch später | |
interpretierten die Keynesianer dies auch in umgekehrter Richtung und | |
erweckten den Eindruck, dass man mit höherer Inflation Vollbeschäftigung | |
schaffen könne. Damit produzierten die Keynesianer die größte Schwachstelle | |
in ihrer „Theoriefront“. | |
Denn genau auf die Phillips-Kurve konzentrierte sich die Offensive der | |
Neoliberalen: Ab 1971 brach die Weltwährungsordnung von Bretton Woods | |
auseinander, und der Dollar verlor in zwei Schüben 50 Prozent seines | |
Wertes, worauf die Opec wiederum mit zwei Ölpreisschocks reagierte. Dies | |
löste zwei Rezessionen und eine starke Inflation aus. Damit waren die | |
Keynesianer erledigt: Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen gleichzeitig, | |
und mit dieser „Stagflation“ schien ihre gesamte Theorie widerlegt. | |
(Gleichzeitig wurde übersehen, dass die Neoliberalen die eigentlichen | |
Auslöser der Krise waren, weil sie stets gefordert hatten, die Wechselkurse | |
freizugeben.) | |
## Finanzmärkte nicht erforscht | |
Hinzu kommt ein weiterer Grund: Die meisten Keynesianer haben sich nie für | |
die Finanzmärkte interessiert – anders als Keynes selbst. In seiner | |
„General Theory“ von 1936 finden sich zentrale Einsichten über das Wesen | |
der Finanzspekulation: Da die Zukunft prinzipiell unsicher ist, werden die | |
wirtschaftlichen Entscheidungen anhand von Erwartungen gefällt, die oft | |
emotionsgeladen sind und sich wie von selbst verstärken, weil Menschen zu | |
Herdenverhalten neigen. | |
Dies gilt vor allem für die Finanzmärkte, deren Akteure besonders | |
kurzfristig agieren: Die „manisch-depressiven“ Schwankungen von | |
Aktienkursen, Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Zinssätzen führen | |
periodisch zu Krisen. Der konservative Antimarxist Keynes wollte daher die | |
Finanzspekulation unterbinden und forderte eine „Euthanasie der Rentiers“. | |
Seine Erkenntnisse hat Keynes allerdings nicht in seine Theorie integriert | |
– dies wäre später die Aufgabe seiner Schüler gewesen. | |
Keynes’ „Euthanasie-Botschaft“ wurde durch die Wissenschaft auch deswegen | |
vernachlässigt, weil die Politik seine Empfehlungen in den 1950er und | |
1960er Jahren teilweise umgesetzt hatte: Das Weltwährungssystem von Bretton | |
Woods unterband die Devisenspekulation und stellte die Finanzmärkte ruhig, | |
so dass diese kein interessantes Forschungsgebiet mehr war. Überdies nährte | |
die „Ruhe“ die Illusion, dass Finanzmärkte an sich stabil seien. | |
Zudem lassen sich Finanzmärkte nicht begreifen, indem man nur ökonomische | |
Gleichungen produziert. Die Keynesianer hätten die Selbstisolation der | |
Wirtschaftswissenschaften durchbrechen und intensiv mit anderen Disziplinen | |
zusammenarbeiten müssen, insbesondere mit der Sozialpsychologie, Soziologie | |
und Politologie. Auch Feldforschung hätte geholfen, um zu belegen: Das | |
„Überschießen“ der Finanzmärkte – „Bullen- und Bärenmarkt“ im Jar… | |
Trader – wird durch Spekulation produziert. | |
## Krise von 2008 nicht genutzt | |
Da die Finanzkrise 2008 nicht für einen keynesianischen Gegenangriff | |
genutzt werden konnte, geschah das glatte Gegenteil und der Neoliberalismus | |
triumphierte. Die Krise wird zum Turbo, um in weiten Teilen der EU den | |
Sozialstaat zu demontieren: Wenn auf den Bankrott von Mitgliedsstaaten | |
spekuliert wird, dann begrüßen die EU-Eliten dies als eine „Disziplinierung | |
durch den Markt“. Wenn dadurch die Krise verschärft wird, antworten sie mit | |
der Troika-Sparpolitik, die Südeuropa in die Depression treibt. | |
Wenn daraufhin die Arbeitslosigkeit steigt, werden die Löhne gesenkt und | |
die Sozialleistungen gekürzt. Die Neoliberalen stört es nicht, dass | |
anschließend der Konsum einbricht – und die Arbeitslosigkeit noch weiter | |
steigt. Ihr Rezept lautet: Dann muss eben noch mehr gespart werden. | |
Doch der Triumph der Neoliberalen wird nicht anhalten, denn ihr mächtigster | |
Gegner sind sie selbst. Der Aufschwung will einfach nicht kommen, den sie | |
stets aufs Neue prognostizieren. Stattdessen verlängert sich die Rezession, | |
die am Ende auch die Vermögenden trifft. Es ist ja kein Zufall, dass die | |
Aktienkurse wieder fallen. Eine Spielanordnung nach dem Motto „Lassen wir | |
unser Geld arbeiten“ hat sich in der Geschichte immer selbst zerstört. Die | |
Neoliberalen haben die Theorieschlacht gewonnen – und werden den Krieg | |
trotzdem verlieren. | |
23 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Stephan Schulmeister | |
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