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# taz.de -- „HUNGER!“ und „DURST!“ bei Arte: Die Wut des Claus Kleber
> Warum müssen weltweit Millionen Menschen Hunger leiden? „heute
> journal“-Moderator Claus Kleber will mit zwei Reportagen das Publikum
> wachrütteln.
Bild: Hier verrotten Nahrungsmittel. Der Käufer hatte sich verspekuliert.
Nach der Vorabpräsentation von „HUNGER! DURST!“ richtet Claus Kleber noch
eine Bitte an die schreibenden Kollegen: Man solle doch die Schreibweise
der Doku so übernehmen, wie es im Titel steht. Also alles in Großbuchstaben
und mit einem Ausrufezeichen am Ende. Er und sein Team hätten sich viele
Gedanken darüber gemacht. Na gut, „HUNGER!“ und „DURST!“ also. Das soll
wohl sowas wie ein Anschreien, ein Hilferuf sein.
Der „heute journal“-Anchorman hat es gemeinsam mit Koautorin Angela
Andersen geschafft, ein Thema ins Programm zu heben, das ob der vielen
aktuellen Krisen schnell aus dem Blickfeld gerät – weil es quasi immer da
war und ist und ergo nicht zu beseitigen scheint: die Untervesorgung vieler
Millionen Menschen. „Das sind Fragen, die nicht im 'heute journal'
vorkommen“, sagt Kleber nach der Vorführung in Berlin.
Kleber bereist allein im ersten Teil, der sich dem „HUNGER!“ widmet, einen
Reis-Markt in Indien, eine Hightech-Farm in Australien, eine riesige
Molkerei mit 18.000 Kühen in China, eine Palmöl-Plantage in Sierra Leone,
eine von der Finanzkrise in die Armut getriebene Familie im spanischen
Malaga und Urban-Farming-Projekte in den USA. Der Aufwand, den Kleber und
sein Team stets in den Wochen, in denen nicht er, sondern Marietta Slomka
durchs „heute journal“ im ZDF führte, betrieben haben, ist enorm.
Kleber ist dabei omnipräsent: Im Stile Michael Moores („Bowling for
Columbine“) ist er nicht nur der Protagonist, der stets im Bilde ist,
sondern spricht auch aus dem Off. „Um es gleich zu sagen: Das wird kein
restlos objektiver Bericht“, ist der erste Satz der Doku. Dafür habe Kleber
auf den Reisen zu viel gesehen: „Not, Verzweiflung, Unfassbares.“ Er habe
keine alles erklärende Antwort gefunden, aber viele Punkte, um anzufangen.
„Es tut Not, es lohnt und es ist zu schaffen.“
## Die Emotionen werden mitgeliefert
Es sind Sätze wie frisch der Moderationsschule entsprungen. Und die
Erregung, die man den MacherInnen um Kleber zwar abkauft, wirkt trotz allem
ausgestellt. „HUNGER!“ ist das Gegenstück zum klassischen Dokfilm, in dem
die Macher darauf vertrauen, dass die Bilder und Worte der Protagonisten
reichen, um Emotionen beim Betrachter zu erzeugen. Kleber vertraut nicht
darauf: „Der Kontrast ist zum Kotzen“, sagt er beispielsweise über volle
Märkte auf der einen und leere Mägen auf der anderen Seite. Er sei mit
Verwunderung und Wut von seinen Reisen zurückgekehrt, sagt Kleber. Das ist
den Filmen in jeder Sekunde anzumerken.
Doch so groß der Aufwand auch war, so beeindruckend manche Aufnahmen und so
groß die Wut, so dürftig sind auf der anderen Seite die Informationen, die
der Zuschauer an die Hand bekommt. Dafür soll ein Internetangebot sorgen:
hunger.zdf.de. Das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, sagt Kleber. Der
Film macht das, was der Film am besten kann: „Emotionen wecken.“ Und das
Internet soll die Fakten verbreiten. So würde der Second Screen ernst
genommen. „Der Film wäre nicht tragfähig ohne die Website und die Website
wäre nicht erfolgreich ohne den Film“, sagt Kleber.
Interessant wird der Film überdies, wenn Kleber seine Rolle als Journalist
verlässt. Wenn er erzählt, dass er dem Arbeiter auf dem indischen
Reis-Markt „eine Handvoll Dollar“ zugesteckt habe, damit dieser dem
Reporter aus Deutschland den „verbotenen Teil des Markts“ zeigt, wo
Getreide verrottet, weil sich der Käufer verspekuliert hat. Oder wenn
Kleber erzählt, dass die Dorfbewohner in Sierra Leone glaubten, dass der
Großkonzern, der ihnen das Land abgenommen hat, einem besseren Deal
zustimmen würde, wenn Klebers Film erstmal im deutschen Fernsehen liefe.
Kleber weiß, dass das nichts wird, sagt es ihnen aber nicht. Er hört ihnen
geduldig zu. „Ich fühle mich schäbig dabei“, sagt er aus dem Off, „aber…
brauche ihre Geschichte.“
## „Ich fühle mich schäbig“
Und dann hilft Kleber auch noch der kleinen Chaya aus einem indischen Dorf.
Das 16 Monate alte Mädchen ist stark unterernährt. So stark, dass ihr die
Kraft fehlt zum Essen. Sie und ihre Mutter Lali müssten dringend in ein
Krankenhaus, in dem das Kind aufgepäppelt wird. Doch Lali muss für den
Unterhalt der Familie sorgen. Also zahlt Kleber für den zweiwöchigen
Verdienstausfall.
„Ich hatte damit schon ein Problem“, sagt Kleber in Berlin. Das Team habe
sich beraten, ob sie das machen dürften, ob sie so in die Geschichte
eingreifen dürften. „Und wir suchten alle nur nach Ausreden, warum es in
diesem Fall in Ordnung sei“, sagt Kleber. Doch weiter wollten er und seine
drei Begleiter nicht gehen. Lali musste ihre Tochter Chaya schon selbst mit
dem Bus zur Klinik fahren. Abholen wollten sie sie nicht. Wäre sie nicht
gekommen, hätte das Klebers Team jedoch ins nächste Dilemma gestürzt: Er
hätte das Kind doch nicht verhungern lassen können. „Von der Klippe
springen wir, wenn sie nicht kommen“, erzählt Kleber über seine Gedanken zu
der Zeit. Zum Glück kamen Lali und Chaya. Und zum Glück schaffen es die
Schwestern tatsächlich, dass Chaya trinkt.
Claus Klebers Erleichterung ist nah, sie berührt. Diese Emotionalisierung
für ein Thema, das im täglichen Nachrichtenstrom untergeht, ist die größte
Leistung dieser zwei Filme: „HUNGER!“ und „DURST!“
28 Oct 2014
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Claus Kleber
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Arte
Hunger
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