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# taz.de -- Die Wahrheit: Sorbet im Oberstübchen
> Weil bei Aldi Perlwein nicht gleich Schaumwein ist, kommt es in einem
> Münchner Gericht zu einem Champagner-Skandal der besonderen Art.
Bild: Im Aldi-Eis nur geringfügig vorhanden: Champagner.
Seit Monaten schon beschäftigt ein bizarrer Streit die Justiz: Darf „Aldi
Süd“, die für ihre teuren Gourmetprodukte bekannte Edelsupermarktkette, ein
Sorbet verkaufen, das schlicht und einfach „Champagner“ heißt?
Nein, sagen die Winzer aus der Champagne. Die geschützte Bezeichnung werde
missbräuchlich verwendet. Aldi bediene sich des guten Rufes jener
Weinbauregion, um ein Produkt zu vermarkten, das mit dem gleichnamigen
Schaumwein gar nichts zu tun habe.
Ja, sagt der Luxusdiscounter und verweist darauf, dass das Sorbet nur zu
rund zwölf Prozent aus Champagner bestehe und so kein Namensschutz bestehe.
Eine Verhandlung am Oberlandesgericht München, das den Rechtsstreit in
zweiter Instanz entscheiden musste, endete jetzt in einem ungewöhnlichen
Sorbet-Delirium.
Die Aldi-Anwälte sorgten gleich zu Beginn der Sitzung für eine
Überraschung, indem sie aus einer Tiefkühltasche mehrere Sorbetschalen
hervorholten und das Eis zur Verkostung anboten. Die gegnerische Seite
stellte zwar umgehend den Antrag, das Eisschlürfen im Gerichtssaal zu
unterbinden, aber nachdem der Richter das Sorbet mit allergrößtem Vergnügen
probiert hatte, sahen sich auch die Juristen des Comité Interprofessionnel
du Vin de Champagne genötigt, zumindest eine, wie Klägeranwalt Richard
Nieder formulierte, „homöopathische Dosis“ der verhassten Nachspeise zu
konsumieren. Das hätte Nieder besser nicht tun sollen. Denn ähnlich wie bei
Globuli, den weißen Kügelchen aus den Laboren der Alternativmedizin,
erzielen auch nur geringe Mengen dieses Sorbets eine starke Sofortwirkung.
„Von mir aus können Sie dieses Zeug nennen, wie Sie wollen“, soll der
Vorsitzende Richter dann zum bassen Erstaunen des Publikums gesagt haben.
„Das schmeckt ja sensationell!“ Wie ein anwesender Gutachter bestätigt,
hätten daraufhin Zuschauer zum Aldi-Tisch gedrängt, um von dem gefrorenen
Dessertfusel auch etwas zu ergattern.
## Birnenpüree, Glukosesirup und Karottenextrakt
Der Gutachter, der als Chemieprofessor an einem renommierten
Lebensmittelinstitut in Paris arbeitet, hier aber nicht namentlich genannt
werden will, holte sich ebenfalls einen Löffel mit Eis vom, wie er später
sagte, „grinsenden Aldi-Anwalt“ ab – und untersuchte die unheimliche
Substanz umgehend in seinem Labor.
Das Ergebnis der Schnellanalyse war allerdings ernüchternd: Denn statt
verschwiegene oder gar verbotene Ingredienzen konnten nur die auf der
Verpackung angegebenen Inhaltsstoffe nachgewiesen werden, nämlich neben dem
Champagneranteil auch Birnenpüree, Glukosesirup und Karottenextrakt.
„Möglicherweise gibt es geringe Mengen von einem Stoff, den ich nicht
nachweisen kann, der aber in Kombination mit Alkohol verheerende
Auswirkungen hat“, erklärte der erfahrene Lebensmittelspezialist und
erinnerte noch einmal an homöopathische Arzneimittel, die gerade mit hohen
Verdünnungsstufen erstaunliche Ergebnisse erzielen könnten – ohne dass ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Globuli-Wirkstoff und der Genesung
eines Patienten nachzuweisen sei.
Die Verhandlung am Oberlandesgericht München endete jedenfalls mit einem
Skandal. Die Anwesenden waren so guter Stimmung, dass sie gemeinsam das
berühmte Champagnerlied aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann
Strauss anstimmten: „Stoßt an, stoßt an und huldigt im Vereine / Dem König
aller Weine!“
## Heiteres Treiben im Hohen Haus
Schließlich wurde noch von den Anwälten der Winzer eine Flasche Champagner
geöffnet, um zu beweisen, dass Eis und Getränk gar nichts miteinander zu
tun hätten. Anwalt Richard Nieder gab zu Protokoll, in dem Sorbet sei
„nichts von dem übrig, was Champagner ausmacht“, doch blieb es unklar, ob
das nun ein Argument für oder gegen die Verwendung des Champagner-Etiketts
war.
Dem heiteren Treiben im Hohen Hause setzten letztlich die Gerichtsdiener
ein Ende. Sie führten den Vorsitzenden Richter in seine Amtsstube und
schickten Anwälte und Publikum nach Hause. Das Urteil des
Oberlandesgerichtes wurde trotzdem verbreitet. Demnach darf Aldi weiterhin
vom Ruhm der Champagne profitieren und den Namen der berühmten
Perlweinregion auch für sein sehr seltsames
Birnenpüree-Karottenextrakt-Sorbet benutzen. Eine Revision gegen das Urteil
sei allerdings möglich, heißt es in dem nebulösen Richterspruch, und zwar
„wegen der grundsätzlichen Bedeutung“.
Nach Bekanntwerden der Ausschweifungen am Oberlandesgericht waren die
Restbestände des Sorbets bei Aldi schnell verkauft. Doch in dem völlig
überteuerten Sorbet, das in den Filialen des Luxushändlers angeboten wird,
scheint offenbar jener Stoff zu fehlen, der den Münchner Champagner-Skandal
erst möglich machte. Seitdem wird in den einschlägigen
Gourmet-Internetforen darüber diskutiert, warum weder kleinere noch größere
Mengen des Fertigdesserts die aus München berichteten Wirkungen erzielten.
Vereinzelt wird allerdings lang anhaltende Übelkeit beklagt.
29 Oct 2014
## AUTOREN
Carsten Otte
## TAGS
Aldi
Eis
Justiz
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