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# taz.de -- Familienfilm zur Wende: Der Geruch von Wofasept
> Die Familie Schwochow hat den Grenzübergang an der Bornholmer Straße
> verfilmt – mit einer merkwürdigen Heroisierungsgeschichte.
Bild: Objekte des Spotts: DDR-Grenzpolizisten in „Bornholmer Straße“.
Treffen sich ein DDR-Grenzsoldat und ein Volkspolizist an der Berliner
Mauer, Grenzübergang Bornholmer Straße:
„Mensch, Achim. Endlich.“ – „Ihr wisst also Bescheid.“ – „Natürl…
bin ich ja erleichtert.“ – „Und?“ – „Was und?“ – „Na, welche …
habt ihr?“ – „Wieso wir?“ – „Na, wir dachten, ihr.“ – „Nee. W…
ihr.“ – „Sag mal, ich glaub, ich bin im falschen Film. Oder hat der
Schabowski bloß ’n Witz gemacht?“
Günter Schabowskis Beitrag zum Fall der Mauer besteht bekanntlich darin,
drei Tage nach seiner Ernennung zum Sekretär des ZK der SED für
Informationswesen während einer Pressekonferenz am 9. November 1989 eher
versehentlich erklärt zu haben, dass DDR-Bürger voraussetzungslos in die
BRD sollen reisen können: „sofort, unverzüglich“.
Das Repressionspersonal wurde von dieser Ankündigung überrumpelt. Was
machen Befehlsempfänger, wenn es keinen Befehl gibt? Um diese Frage kreist
Christian Schwochows Film „Bornholmer Straße“. Als Fachkraft für die
Aufarbeitung der DDR-Geschichte aus DDR-Perspektive darf der Regisseur seit
der „Turm“-Verfilmung gelten. Das Drehbuch hat seine Mutter Heide, die
bereits vier Filme mit ihrem Sohn gemacht hat, ausnahmsweise nicht mit ihm,
sondern mit seinem Vater Rainer Schwochow geschrieben. Ein Familienfilm
also.
## Späße auf Kosten der trotteligen Grenzer
Held des Films ist jener Grenzsoldat, Oberstleutnant Harald Schäfer,
gespielt von Charly Hübner. Ein linientreuer Anführer einer erlesenen
Gurkentruppe (erlesen auch die Darstellerriege: Milan Peschel, Ludwig
Trepte, Frederick Lau, Max Hopp), der die mögliche Katastrophe verhindern
wird, weil er das beweist, was man Zivilcourage nennt. So jedenfalls die
Lesart der Schwochows. Mehr und mehr Menschen versammeln sich am von
Schäfer befehligten Grenzübergang. Der Druck wird immer größer. Der quasi
umgekehrte Befehlsnotstand – keiner der Apparatschiks über ihnen
(Höhepunkt: Ulrich Matthes als so verpeilter wie versoffener Oberst) traut
sich, irgendwas zu befehlen – überfordert die Berufsduckmäuser in ihren
sozialistischen Wehrmachtsuniformen hoffnungslos. Zum ersten Mal in ihrem
Leben müssen sie eine eigene Entscheidung treffen.
Schwochow inszeniert das als Klamauk alter Schule, beinahe im Stile der
„Ist ja irre“-Filme aus den 60ern. Verdauungsprobleme funktionieren in
diesem Genre immer. Ein Hund wird als unerlaubter Grenzübertreter verfolgt.
Ein Hauptmann fiebert dem Einsatz des liebevoll „Lilly“ genannten
Dragunow-Scharfschützengewehrs entgegen.
Zwischendurch wird es ernst: „Weißt du, was mein Sohn neulich beim
Frühstück zu mir gesagt hat? ,Papa! Wir haben ’ne Weltanschauung – ohne u…
die Welt angeschaut zu haben.‘“ Wie soll das zusammengehen? Als
„Tragikomödie“?
Die Späße auf Kosten der trotteligen Grenzer gehen natürlich in Ordnung.
Mit denen, die sich uniformiert und bewaffnet mit dem Stasistaat gemein
gemacht haben, muss man kein Mitleid haben. Man muss aber – anders als
Familie Schwochow – auch nicht finden, dass es eine irgendwie großartige
historische Leistung (von Oberstleutnant Harald Schäfer, der anders heißt
als sein reales Vorbild) ist, die Genossen schließlich doch davon
abzuhalten, die zuvor von einem selbst an sie ausgegebenen Sturmgewehre
gegen eine friedliche Menschenmenge zu richten. Da könnte einer denken –
und nicht zu Unrecht –, das Nichtschießen so zu würdigen und also nicht für
das Selbstverständliche und im Übrigen auch in der DDR allein Rechtmäßige
zu halten, hieße implizit: das Schießen – der Mauerschützen, die
tatsächlich geschossen haben – entschuldbar nennen.
„Im Westen stinkt’s“, erkennt eine der DDR-Bürgerinnen nach ihrer Visite
dort. Nun ja, die Freiheit riecht eben nicht nach Wofasept. Und der lustige
Film von Grimme-Preis-Träger Christian Schwochow hat einen irgendwie
unangenehmen Beigeschmack.
5 Nov 2014
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
ARD
DDR
Mauerfall
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