# taz.de -- 25 Jahre Mauerfall: Krenz und die Bananen | |
> Der einstige SED-Generalsekretär hält Hof in der Karl-Marx-Allee – und | |
> stellt sein betagtes Buch vor. | |
Bild: Egon Krenz | |
Wenn im Café Sibylle in der Friedrichshainer Karl-Marx-Allee, die in den | |
50er Jahren nach Moskauer Vorbild errichtet wurde, einstige DDR-Politiker | |
eingeladen sind, erscheinen die Genossen zahlreich. So auch am | |
Mittwochabend, als Egon Krenz da ist. Er war jahrelang zweiter Mann hinter | |
Erich Honecker, im Herbst 1989 für sieben Wochen dessen Nachfolger als | |
SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender, später wurde er wegen | |
Totschlags zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Krenz stellte | |
sein Buch „Herbst ’89“ vor – das ist schon vor 15 Jahren erschienen. Ab… | |
versehen mit einem Interview zum Mauerfalljubiläum wird es wieder auf den | |
Markt geworfen. | |
Egon Krenz, Jahrgang 1937, trägt blaue Jeans, weißes Hemd, schwarze | |
Lederjacke. Das Haar ist voll und weiß, die Stimme kräftig, die Stimmung | |
gut. Krenz freut sich über die voll besetzten Stuhlreihen, schüttelt Hände, | |
lässt sich fotografieren. Irritierend ist ein roter Schirm, der hinter ihm | |
an der Wand aufgespannt ist. „Lasst uns lieben“ steht darauf. Der Schirm | |
gehört zu einer Ausstellung über Solidarität mit Menschen, denen Unrecht | |
widerfährt. An den Wänden und der Decke des Cafés hängen Dutzende | |
Rettungsschirme für Menschen. Krenz sitzt also vor einem sogenannten | |
Menschenrettungsschirm. | |
Er erzählt dem andächtig lauschenden Publikum, wie er auf der Autofahrt von | |
Dierhagen an der Ostsee, wo er lebt, nach Berlin im Radio ein Interview mit | |
dem Regisseur gehört hat, der den Film „Bornholmer Straße“ gedreht hat, d… | |
am gleichen Abend im Fernsehen lief und die Geschichte des Oberstleutnants | |
erzählt, der den Grenzübergang öffnete. „Der Regisseur schlief am 9. | |
November 1989“, ruft Krenz vom Podium. „Es reden heute Leute darüber, die | |
nicht dabei waren!“ Zustimmendes Nicken, „Genau!“-Rufe, Applaus. | |
Es dauert nicht lange, bis Krenz einen seiner typischen Sätze sagt: „Ich | |
habe bis zuletzt daran geglaubt, die DDR so umzugestalten, wie es unser | |
Ansatz war.“ Wenn man in diesen Tagen die Zeitung aufschlage oder fern | |
sehe, werde „überall eine furchtbare Hetze verbreitet“. Das sei für ihn | |
„immer Ansporn“ zu erzählen, wie er die DDR gesehen hat. | |
Und das klingt dann so: „Ich sage nicht, dass es nicht Unrecht gegeben hat | |
in der DDR. Aber das gab es auch in der Bundesrepublik Deutschland.“ Oder: | |
„Wir hatten sehr starke ökonomische Probleme. Aber die DDR war zu keinem | |
Zeitpunkt pleite.“ Auch das Wort Unrechtsstaat greift er auf. „Das ist ein | |
Schmähbegriff, den es weder in der Politik noch in der Juristerei gibt.“ | |
Und zum Thema Reisefreiheit sagt er tatsächlich diesen Satz: „In den Osten | |
durfte man ja reisen. Das wird aber vergessen.“ Applaus. | |
Kritische Fragen muss Krenz im Café Sibylle nicht fürchten. „Es gab die | |
Chance der legalen Ausreise“, rechtfertigt ein Mann aus dem Publikum die | |
Mauertoten. Ein anderer will wissen, was Krenz über einen möglichen dritten | |
Weg denkt. Krenz holt eine Ausgabe des Neuen Deutschland vom 9. November | |
1989 heraus und hält sie hoch: „Die neue Führung, Positionen der SED und | |
Aktionsprogramm der Partei“, steht dort. Während er einige Sätze vorliest, | |
schweigt das Publikum so ehrfürchtig, als würde Krenz tatsächlich über | |
einen dritten Weg entscheiden. | |
## Es wird eifrig geklatscht | |
Ein weiterer Mann will nur etwas loswerden. „Ich koche immer, wenn das Wort | |
Banane fällt“, sagt er – obwohl das Wort gar nicht gefallen ist. Er stellt | |
sich als Handelsrat vor, der verantwortlich dafür war, dass tonnenweise | |
Bananen aus Afrika in die DDR eingeführt wurden, und beklagt die damit | |
verbundenen Schwierigkeiten. Krenz unterbricht den langwierigen Vortrag und | |
sagt ausnahmsweise etwas, dem auch Nichtgenossen zustimmen können: | |
„Trotzdem wäre es nicht schlecht gewesen, wir hätten Bananen gehabt.“ | |
Applaus für Krenz und die Bananen. | |
Zum Abschied bekommt der Ex-Staatsratsvorsitzende Rotwein überreicht, einen | |
Spätburgunder aus den Mertesdorfer Weinbergen bei Trier. Die Familie von | |
Karl Marx, der in Trier geboren wurde, besaß dort Weinberge. Bevor Krenz, | |
Träger des Karl-Marx-Ordens, dem bedeutendsten und höchstdotierten | |
Verdienstorden der DDR, wieder zurück an die Ostsee fährt, erfüllt er noch | |
Signierwünsche und schreibt seinen Namen in FDJ-Mitgliedsbücher und | |
Ausweispapiere, die längst ihre Gültigkeit verloren haben. | |
6 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
## TAGS | |
Ostberlin | |
Holocaust | |
Wende | |
Schwerpunkt Ostdeutschland | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Legendäres Café Sibylle in Berlin: Im Osten wird der Kaffee knapp | |
Das DDR-Kultcafé Sibylle auf der Karl-Marx-Allee steht vor dem Aus. In | |
wenigen Tagen endet der Mietvertrag, die Mitarbeiter sind gekündigt. | |
Stefan Kühl zur Soziologie des Holocaust: Handwerker des Todes | |
Psychische Schwäche, Alkohol, Kameraderie, Unterwerfung – von SA bis IS. | |
Soziologe Kühl erkundet Voraussetzungen für massenhaft praktizierten | |
Sadismus. | |
Kindheitserleben nach der Wende: Wir sind die Wossis | |
Luise Strothmanns Eltern zogen nach der Wende von Osnabrück in die Weite | |
Mecklenburgs. Philipp Brandstädters Mutter ging von Gera in den Westen. | |
Zwei Erinnerungen. | |
„Super Illu“ feiert das Ost-Lebensgefühl: Bräsiger Mix aus Käse- und Inf… | |
Früher zierten die „Super Illu“-Cover oft nackte Ost-Promis, heute sind sie | |
meist angezogen. Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall setzt man auf den | |
„Heimat-Code“. | |
Debatte Mauerfall und Migranten: Geteilte Erinnerung | |
Ostdeutsche und Migranten haben vieles gemein. Aber Einwanderer und ihre | |
Kinder waren die eigentlichen Wendeverlierer. |