Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Alle Hautfarben
> Die Nacht beginnt in einer Bar, in der nackte Puppen von der Decke
> hängen. Ein Abend mit Barbies und Make-up-Vorschlägen von Fremden.
Bild: Auch ziemlich morbid – Barbies am Stiel auf einer Spielwarenmesse in N�…
Eine Million Menschen sollen am Wochenende zum 25. Jubiläum des Mauerfalls
in Berlin gewesen sein. Samstagabend will etwa die Hälfte davon am
Schlesischen Tor mit mir in dieselbe Bahn steigen. Solche Massen sieht man
sonst nur am 1. Mai – wobei sie da weniger an und mehr intus haben. Ich bin
keine Freundin des intensiven Körperkontakts mit Fremden und warte auf den
nächsten Zug, was sich als komplett sinnfrei erweist. Als er dann kommt,
stoße ich aus Versehen mit einem Mann zusammen. Ich entschuldige mich. Er
guckt böse. Etwas unhöflich, wie ich finde.
Weil die BVG dachte, es wäre eine gute Idee, die ebenfalls 25-jährigen
Gleise der U7 ausgerechnet an diesem Wochenende zu bearbeiten, herrscht am
Halleschen Tor ein nicht minder großes Chaos, als da plötzlich statt der U6
die U7 steht. Gedränge, Gesuche, Gefrage – langer Rede kurzer Sinn: Meine
Freundin S. muss eine halbe Stunde auf mich warten. Wir sind im Molinari
nahe der Bergmannstraße zum Essen verabredet. Mir ist der Appetit auf dem
Weg vergangen, also ziehen wir bald weiter.
Am Chamissoplatz hat fast alles zu. Auf der Suche nach einer Raucherbar
spazieren wir über die Fidicinstraße wieder zum Mehringdamm zurück. Wir
sprechen über unzurechnungsfähige Bekanntschaften, als ein beleibter Mann
meine Freundin S. im Vorbeigehen mit einer Wucht anrempelt, dass es ihr den
Tabak aus der fast fertig gedrehten Zigarette hebt. Er geht weiter, ohne
ein Wort zu sagen. Mehr als unhöflich, wie ich finde.
## Morbide Barbie-Puppen
Neben einer Änderungsschneiderei, die nun als Gebetsraum dient, und einem
queer-feministisch-ökologisch-veganen Sexladen, der uns eine Weile an sein
Schaufenster fesselt, stoßen wir auf die Barbie Bar, die für einen Samstag
bemerkenswert leer ist. Vielleicht liegt es an dem nicht gerade innigen
Verhältnis zwischen Berlin und der ewig lächelnden Tussi-Puppe. Drinnen
hängen einige Barbies nackt und angestaubt an einem Luster von der Decke,
was S. für etwas morbid hält.
Vor der Columbiahalle treffen wir später meine Freundin L. Wir wollen uns
ein Konzert von Alle Farben ansehen, ein Freund hat uns eingeladen. Alle
Farben war auch vor einem Jahr kein unbekannter DJ, aber in der
ausverkauften Columbiahalle aufzutreten ist doch ein beachtlicher Sprung.
Seit seinem Sommerhit „She Moves“, der von allen Radiosendern bis über die
Grenze des Erträglichen wiederholt wurde, spielt der Kreuzberger DJ in
einer anderen Liga. Das Publikum ist jünger als früher. Oder wir sind älter
als früher.
Ein paar Frauen Anfang zwanzig kreischen schon, bevor es losgeht, vor
schierer Begeisterung und kleben sich Promo-Sticker an alle möglichen und
unmöglichen Stellen. Das Konzert wird von einer aufwändigen Lichtshow
begleitet, mal steht Johannes Popp mit Trompete auf der Bühne, mal singt
Graham Candy oder Jenny Rossander zu den Electropopbeats. Alles in allem
ist es eine stimmige Show ohne große Überraschungen.
## „Du bist doch dunkelhäutig“
Als wir später unsere Jacken holen, streckt mir ein Mann eine Visitenkarte
hin und sagt: „Hier, wir haben auch Make-Up für Dunkelhäutige.“ Ich gucke
verdutzt. S. und L. sehen mich mit einer undefinierbaren Erwartung in den
Augen an. Mein Gesichtsausdruck lässt den jungen Mann wohl an seinem
Vorschlag zweifeln. „Du bist doch dunkelhäutig“, fragt er.
Die Frage an sich irritiert mich mehr, als ich es in diesem Moment
ausdrücken kann, also nicke ich unentschieden. „Okay, dann sieh dir das
doch mal an“, sagt er und geht. S. schüttelt lachend den Kopf. „Du warst
erstaunlich wortkarg“, sagt sie.
Ich weiß nicht genau, woran das lag. Der Hinweis war vielleicht
tolpatschig, aber bestimmt nett gemeint. Denn Frauen mit dunkler Haut
werden von der mitteleuropäischen Kosmetikindustrie tatsächlich kaum
wahrgenommen. Vielleicht hat es mir aber auch aus einem anderen Grund die
Sprache verschlagen. Denn einer Frau nahezulegen, sie sollte sich das
Gesicht mit Abdeckmasse zukleistern, ist doch ein bisschen unhöflich, wie
ich finde.
11 Nov 2014
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Mauerfall
Barbie
Ausgehen und Rumstehen
Ausgehen und Rumstehen
DJ
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Ausgehen und Rumstehen: What happened to my Rock ’n’ Roll?
Bei der Ostkreuz-Party ist gut Kirschen essen, aber sonst leider nichts.
Black Rebel Motorcycle Club langweilen und Roxette machen nostalgisch.
Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Ich habe nichts gegen Ausländer
„Assimilierte Wichser“, die hingehen sollen, wo sie herkommen. Im Berliner
Theater Hebbel am Ufer feierte „Hate Poetry“ dritten Geburtstag.
DJ-Sets im Online-Livestream: Zukunft der Clubkultur ist zu Hause
Das Projekt „Boiler Room“ veranstaltet DJ-Sets vor ausgewählten Zuschauern.
Und überträgt sie live im Netz für Hunderttausende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.