# taz.de -- Keine Theater-Gemütlichkeit: Flüchtlinge in der Theaterhölle | |
> In der Bremer Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ | |
> kommen Flüchtlinge nur als Pappaufsteller vor. Doch ihr Elend wird umso | |
> greifbarer. | |
Bild: Den Mythos auf den Kopf gestellt: Europa (Karin Enzler) stemmt den Stier … | |
BREMEN taz | Flüchtlinge sind derzeit allgegenwärtig. Als konkrete | |
Menschen, über deren Unterbringung gestritten wird. Oder als grauenhafte | |
Zahl: Allein in diesem Jahr sind 3.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. | |
Aber auch mit den Überlebenden wird seltener gesprochen als über sie. Im | |
Bremer Theater stehen sie als lebensgroße, schweigende Pappaufsteller in | |
den Sitzreihen. Sie sind symbolische Wand und Requisit in [1][Elfriede | |
Jelineks] „Die Schutzbefohlenen“ – und Objekte grausamster Misshandlung. | |
Seine Uraufführung hat das Stück gerade zwei Monate zuvor im Hamburger | |
Thalia Theater erlebt. Hier waren auch Flüchtlinge beteiligt. Dass so kurz | |
darauf eine weitere Inszenierung im Norden folgt, mag eine Seltenheit sein, | |
beim Drängen des Themas aber keine überraschende. | |
In Bremen hat sich nun Regisseur Mirko Borscht des Stoffs angenommen. Er | |
ist bekannt für seine Jelinek-Inszenierungen und für aufwendige Spektakel | |
auf der Bühne. | |
Während seine Papp-Flüchtlinge den Zuschauerraum des Theaters besetzt | |
halten, nehmen Publikum und Darsteller auf der Bühne Platz. Sie suchen sich | |
einen im chaotischen Arrangement verschiedener Sitzmöbel: Sofas, | |
Klappstühle oder ausrangierte Massage-Sessel. Eine frühe Absage an die | |
Grenze zwischen Betrachtern und Akteuren. | |
Das Zwielicht auf der Bühne wird von einem kreisenden Leuchter bestimmt, | |
der an Suchscheinwerfer am Grenzzaun erinnert. Er bestimmt die Wahrnehmung: | |
Mal blendet das Licht, dann wieder macht es andere Besucher und | |
Schauspieler für kurze Momente sichtbar. | |
Um solche Strategien und Techniken der Vereinzelung geht es auch | |
inhaltlich. Also darum, aus dem Schutz einer Gruppe gerissen zu werden. | |
Hier der Flüchtling, der allein zurecht kommen muss, dort ein Europäer, der | |
plötzlich zum öffentlichen Individuum wird. Es ist eine unangenehme | |
Erfahrung, sich derart stellen zu müssen – einer Verantwortung vielleicht, | |
in jedem Fall aber der Aufmerksamkeit derer, die sich für den Moment in der | |
sicheren Dunkelheit verbergen dürfen. | |
Auf der Bühne findet eine Symbol-Schlacht statt. Seelenruhig stopft jemand | |
einen Pappaufsteller mit Flüchtlingsgesicht in einen Schredder. Irgendwo | |
zwischen den Sitzenden schreit jemand auf. Auch Jelineks Text übersteht den | |
Abend nicht unverletzt. Ihre endlosen Sätze werden vom Lärm überlagert oder | |
konkurrieren mit im ganzen Bühnenraum verteilten Handlungen. Es bleiben | |
Stichworte für eigene Assoziationen. | |
Alle hier sind Stellvertreter von etwas anderem: Schauspieler und Pappe | |
stehen für Flüchtlinge, die Besucher für die Bewohner des ungastlichen | |
Fluchtziels. Und letztlich steht auch das einzelne Opfer für Krieg und | |
Armut – als Symbol der Weltlage, aus der sie sich lösen müssen, um | |
überleben zu können. | |
Das szenische Spiel ist ein Durcheinander aus moralischen Fragen, | |
mehrdeutigen Symbolen und einer Handlung, der sich nicht immer folgen | |
lässt. Das ist beklemmend und macht Angst vor dem, was als Nächstes | |
passiert. Gleich, wenn der Scheinwerfer zurück kommt, wird aus dem Voyeur | |
wieder der Beobachtete. Und dann muss man sich zwischen Mitmachen oder | |
Verweigern entscheiden: Vom kurzen Paartanz mit den Akteuren bis zur | |
grässlichen Polonäse, die durch die vollgestellte Bühnenlandschaft walzt. | |
Die Ordnung des Ganzen mag nicht vorhersehbar sein, vorhanden ist sie aber | |
doch. Zwischendurch regnen Papiere auf die Bühne: Anträge, Formblätter und | |
die dazugehörigen Erläuterungen. Juristische Fragmente des Wahnsinns: Das | |
Bundesamt unterhalte für Vergewaltigte „speziell geschulte | |
Einzelentscheiderinnen“, heißt es auf einem Blatt. Dazu der Hinweis, | |
unbedingt die Antragsfrist zu wahren. Die Schreiben sind echt und stammen | |
aus einer Verwaltungsmaschinerie, der ebenso echte Flüchtlinge ausliefert | |
sind. | |
Auch, wer hier sitzt, wurde registriert: Wer in die Aufführung wollte, | |
musste allein durch eine Schleuse gehen und sich fotografieren lassen. | |
Diese Portraits tauchen später auf der Bühne auf. Sie werden auf die | |
Pappaufsteller geklebt und auf ein die Bühne umrundendes Bild des | |
Europaparlaments. Die Idee, die Gesichter der Zuschauer zu den Gesichtern | |
der Entscheider zu machen, mag platt erscheinen. Aber es wirkt, das eigene | |
Gesicht an dieser Stelle zu sehen. | |
Dabei drängt die Frage, was als Nächstes mit dem eigenen Bild oder dem | |
eigenen Körper veranstaltet wird. Wer sich nicht gerade ums eigene Wohl | |
sorgt, fühlt zumindest mit dem Schauspieler, der auf dem Klappstuhl nebenan | |
Platz genommen hat. | |
Diese Gratwanderung zwischen Empathie und Selbstmitleid gelingt der | |
Inszenierung – auch wenn diese zumindest einmal fast daneben geht. Da steht | |
eine mit Burka und Patronengurt bekleidete Frau und ruft das Ende der | |
westlichen Wohlstandsgesellschaft aus. Ein rassistisches Angstbild, das | |
hier tatsächlich apokalyptisch inszeniert und zumindest im Spiel auch wahr | |
wird: Das Publikum wird von seinen Plätzen vertrieben. Doch was sich kurz | |
wie eine fatale Pointe des Stücks anfühlt, bleibt doch nur eine Episode des | |
Irrsinns. Es mag unklar sein, wer hier die Täter sind – dass aber die | |
Flüchtlinge Opfer sind, steht außer Frage. | |
Nur kann man sich eben davon nicht einduseln lassen. Es gibt zwar Momente, | |
die dazu einladen. Da singt etwa jemand von herzzerreißendem Elend. Doch | |
sofort wird einem das Mitleid um die Ohren geschlagen: „Tut gut so ein | |
Sterben“, lautet die beißende Feststellung. Ein gemütlicher Theaterabend | |
sieht nicht nur anders aus – sondern wäre dem Thema auch nicht angemessen. | |
## Nächste Termine: 19. und 23. November, Theater am Goetheplatz, Bremen | |
17 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.elfriedejelinek.com | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
Yael Ronen | |
taz.gazete | |
Elfriede Jelinek | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Theaterstücke über Flucht und Migration: Die Frage, wer wir sein wollen | |
„Die Schutzbefohlenen“ und „Common Ground“ werden beim Berliner | |
Theatertreffen inszeniert. Beide gehören zu den besten Stücken der letzten | |
Spielzeit. | |
Theaterstück über Flucht: Brutale Geschichten am Bahnsteig | |
Viele Theater bringen das Thema Flüchtlinge auf die Bühne. Das Stück | |
„November und was weiter“ von der Gruppe Das Letzte Kleinod ist anders. | |
Jelinek-Inszenierungen in Hamburg: So eine Art deutsches Wesen | |
Zweimal Elfriede Jelinek zum Thema Migration: Was man hierzulande | |
Flüchtlingen abverlangt, ist Deutschen in der Ferne nicht zuzumuten. |