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# taz.de -- Debatte Umgang mit Flüchtlingen: Bürgerliche Reinigungsfantasien
> Nach der Gewalt im Görlitzer Park in Berlin fordern viele ein rabiates
> Durchgreifen. Besser wäre: Flüchtlingen reguläre Arbeit zu ermöglichen
> und Gras zu legalisieren.
Bild: „Dem Erdboden gleichmachen“: Polizisten im Görlitzer Park.
Der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg ist ein soziales Kunstwerk. Alte
türkische Migrantinnen passieren eng umschlungene schwule Pärchen. Jogger
und Alkoholiker, spanische Touristinnen in Edelklamotten und Obdachlose,
die Papierkörbe durchstöbern –all das existiert auf engem urbanen Raum
weitgehend unfallfrei nebeneinander. Denn es gilt ein ungeschriebenes
Gesetz: Sieh nicht hin! Auf dem Eintrittsticket, das scheinbar alle gelöst
haben, steht: Ignoriere gerade das, was dich am meisten stört. Der
Görlitzer Park ist eine Metapher für ziviles Zusammenleben, für die
erstaunliche Fähigkeit, das andere zu ertragen. Oder muss man sagen – war?
Seit eine wachsende Zahl von Kleindealern, Flüchtlingen aus Afrika, den
Park dominieren, wächst die Gewalt. Zwischen Anwohnern und Dealern kam es
zu Messerstecherei und Brandstiftung. Das ist mehr als normale
Kriminalität. Wenn ein Kreislauf von Selbstjustiz, Gewalt und Gegengewalt
entsteht, zerbricht der unsichtbare Vertrag zivilen Zusammenlebens.
Im Görlitzer Park sind, wie unter einem Mikroskop, Widersprüche zu
erkennen, die es, weniger konzentriert, auch in anderen Großstädten gibt.
In den hippen, migrantisch geprägten Innenstadt-Bezirken der Metropolen
wächst die Kluft zwischen dem sozialen Oben und Unten. Gerade wo die
Partydichte höher ist, wo es lässiger als in den Vororten zugeht, schießen
Mieten und Wohnungspreise nach oben. Ärmere werden verdrängt. Und ganz
unten kommen Armutsflüchtlinge, oft Roma und Afrikaner, nach.
Besser verdienenden Ex-Alternativen geht es gehörig auf die Nerven, dass
Müll auf der Straße liegt und das Alltagsverhalten roher wird. Angesichts
der Dealerei brennen manchen Neobürgerlichen die Sicherungen durch. Den
Park, so eine Anwohnerin, müsse man „dem Erdboden gleich machen“. Das
klingt wie Sarkozy, der die Gewalt in der Pariser Banlieu mit einem Kärcher
ausrotten wollte.
## Legalize it!
Aber Reinigungsfantasien nutzen nichts. Im Gegenteil: Drogengesetze zu
verschärfen, damit die entnervte Polizei Kleindealer nicht sofort wieder
laufen lassen muss, wäre wie Feuer mit Benzin zu löschen. Es ist vielmehr
nötig, Drogen und Kriminalität zu entzerren – also Marihuana zu erlauben.
Das ist kein Zaubermittel, auch von Coffeeshops dominierte Straßenzeilen
können ziemlich trostlos sein. Aber es hilft, die Eskalationsroutinen zu
bremsen. Das zeigt die Legalisierung von weichen Drogen in einigen
US-Bundesstaaten, die offenbar den extrem gewalttätigen Drogenkartellen in
Mexiko schadet.
Manche träumen in den gentrifizierten Bezirken auch von der
Null-Toleranz-Politik, mit der die Polizei in den 90er Jahren New York
rabiat befriedete. Allerdings war die Lage in New York viel dramatischer:
Es gab damals 2.000 Morde im Jahr. Und: Was in den Lobeshymnen auf die
Null-Toleranz-Politik in New York gern ausgeblendet wird, ist: Die
Kriminalität sank in Manhattan und explodierte an den Rändern. Was nutzt
es, das Schaufenster hübsch aufzuräumen, wenn dafür das Lager verwüstet
wird?
## Lieber jobben als dealen
Das Wichtigste, um Druck aus dem Kessel zu lassen, wäre Flüchtlingen
schneller zu ermöglichen, legal zu arbeiten. Viele würden lieber jobben als
dealen. Das Arbeitsverbot für Asylbewerber ist zwar gerade gelockert
worden. Allerdings gibt es in der Praxis noch immer ein dichtes Gestrüpp
von bürokratischen Fallstricke, die verhindern, was die Große Koalition
unbedingt verhindern will. Dass Flüchtlinge, die hier sind, bleiben. Und
dass noch mehr kommen.
Die meisten Kreuzberger reagieren besonnen. Klug wäre, wie eine
Bürgerinitiative fordert, Parkwächter zu engagieren. Nur linksextreme
Holzköpfe wittern da Rassismus. Denn das hat nichts mit Bürgerwehr zu tun,
sondern mit Moderatorenteams, die Eskalationen erkennen. Falsch hingegen
ist es, achselzuckend den Dingen ihren Lauf lassen. Oder, schlimmer, auf
Tabula rasa Lösungen zu setzen.
22 Nov 2014
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Berlin
Görlitzer Park
Flüchtlinge
Drogen
Legalisierung
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Flüchtlingspolitik
Drogenhandel
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