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# taz.de -- Biograf & Verleger über Joseph C. Witsch: „Er hat sich nicht tie…
> Im „Dritten Reich“ säuberte er als Volksbibliothekar die Büchereien von
> Thüringen. Nun widmet sich ein Band aus seinem Verlag der Biografie von
> Joseph Caspar Witsch.
Bild: Joseph Caspar Witsch: erst Rädchen im Getriebe, dann passionierter Verle…
taz: Herr Malchow, Sie wurden einmal gefragt, ob ein Stalinist auch ein
guter Schriftsteller sein könne. Ihre Antwort war: „Ja, klar!“ Kann denn,
wer an Hitler geglaubt hat, auch ein guter Verleger werden?
Helge Malchow: Ja, das ist eines der Ergebnisse der sehr verdienstvollen
Arbeit von Frank Möller.
Sie hatten ursprünglich geplant, ein Buch von 250 Seiten über Joseph Caspar
Witsch, die große Gründungsfigur Ihres Verlages, zu veröffentlichen. Nun
sind es bald 800 Seiten geworden, ein zweiter Band wird folgen. War das
nötig?
Malchow: Frank Möller ist so sorgfältig in die Stollen des Bergwerks
herabgestiegen, dass daraus auch ein Buch über die Kultur-, Medien- und
Verlagsgeschichte der frühen Bundesrepublik wurde. Witsch war immer
Gegenstand von Gerüchten und Verdächtigungen. Da galt er als Nazi und
CIA-Agent, da war er SED-Mitglied und kalter Krieger. Und es kann keine
Haltung sein für einen Verlag, seinen Gründer in einem solchen
Schattenreich stehen zu lassen. Das musste erforscht werden, auch für unser
Selbstverständnis als Verlag in Gegenwart und Zukunft.
Und das Ergebnis …
Malchow: … war, dass er all das gewesen ist. Und zwar in einem Maße, wie
wir es vorher gar nicht wahrgenommen hatten. Er hat die Durchhalteparolen
verbreitet, er hat die Nazi-Reden gehalten, er hat als Bibliothekar die
Bibliotheken gesäubert. Er hat später Gelder von CIA-Institutionen bekommen
und undurchsichtige Geschäfte gemacht. Gleichzeitig verschwindet dabei
überhaupt nicht die leidenschaftliche Arbeit dieses Menschen für große
Literatur. Beide Aspekte seiner Persönlichkeit stehen seltsam
nebeneinander. Und man kann ihn weder auf die eine noch auf die andere
Seite reduzieren.
Herr Möller, Sie enthalten sich als Autor eines eindeutigen Urteils über
diese Figur. Warum?
Frank Möller: Herr Malchow und ich kommen da zu einer leicht anderen
Einschätzung. Du neigst eher dazu, einen Strich zu machen und zu sagen:
„Das und das war er!“ Oder?
Malchow: Nein, gar nicht. Ich setze nur andere Akzente. Mir ist klar
geworden, dass man Menschen, die in geschichtliche Prozesse eingebunden
sind, nicht auf einen Nenner bringen kann, ohne ihnen dabei Gewalt anzutun.
Es gibt ja noch andere Figuren, die mal feige waren, mal tapfer waren. Die
Zuordnung findet dann später statt: „Das war innere Immigration“, „das w…
Mitläufertum“ oder „Tätertum“. Die Wirklichkeit, und das kann man an di…
Buch sehr gut sehen, ist wesentlich komplexer.
Möller: Es ist ein Unterschied, ob man in der Geschichte steht oder mit
Abstand beurteilt wird. Meine Quellen sind so verlässlich, wie sie nur sein
können. Ich bin mir aber bewusst, dass meine Beurteilung dieser Quellen
eine Momentaufnahme ist.
Was ist für Sie ein Nazi?
Möller: Nationalsozialist ist für mich einer, der vor 1933 die NSDAP
gewählt hat. Danach vermischen sich Staat und Partei. Sie jetzt zu wählen
oder der Partei beizutreten ist nicht mehr zwangsläufig ein Bekenntnis aus
Überzeugung.
Sondern?
Möller: Es kann ein Anpassungsprozess sein. Wie heute jemand, der für eine
Tendenzorganisation wie beispielsweise die Kirche arbeiten will, das als
Atheist schlecht machen kann. Man muss kein Nazi gewesen sein, um als
Rädchen im Getriebe den Nationalsozialismus aufrechterhalten und ermöglicht
zu haben. Ein solches Rädchen ist Witsch mit Sicherheit gewesen.
Sie haben ihm also keine Vorwürfe zu machen?
Malchow: Doch, einiges. Vor allem aber, wie er nach 1945 mit seiner
Vergangenheit umgegangen ist. Da steht er auch wieder repräsentativ für die
herrschenden Kreise der frühen BRD: Verstrickungen wurden im Dunkel
gehalten. Wenn sie, wie jetzt mit diesem Buch, doch noch ans Licht
befördert werden, entsteht schnell ein Bild, in das man vielleicht gar
nicht gehört.
taz: Nach 1945 hat er sich nicht weggeduckt?
Möller: Er hat sich nicht tiefer geduckt als die Gesamtgesellschaft …
… und regt sich zugleich über den frühen Spiegel und die Nazis dort auf.
Wie passt das zusammen?
Möller: Er respektiert jene, die sich vom Nationalsozialismus abgewandt
haben und mit einer gewissen Demut im Stillen arbeiten. Aber diese
Spiegel-Leute, die haben eine große Klappe, die hatten sie auch schon vor
1945.
War Witsch nicht auch Opportunist, der sich in allen Regimen nützlich
gemacht hat?
Möller: Er zeigt in bestimmten Situationen anpasserische Eigenschaften, auf
die ich einen Menschen aber nicht reduzieren würde.
Auf welche denn dann?
Möller: Sehen Sie, Witsch kam – übrigens genauso wie der Linke Heinrich
Böll, den er entdeckt hat – aus kleinen Verhältnissen. Der wollte nach
oben, genauso wie Böll. Das ist ein prägender und durchgehender Zug, in
jedem Regime. Außerdem war er ein Autokrat und ein Patriarch, für den galt:
„Keine anderen Götter neben mir!“
Müssen die großen Verleger nicht Autokraten und Patriarchen sein?
Malchow: Heute nicht mehr. Was aber Leidenschaft für große Literatur und
große Autoren sowie Gewitztheit anging, steht dieser Verleger Figuren wie
Rowohlt, Fischer, Unseld in nichts nach. Die haben auch oft Theaterdonner
veranstaltet und sich wahnsinnig gut inszeniert. Aber sie waren
gleichzeitig gute Unternehmer und Kulturförderer. Die anderen hatten nur
eine bessere Startposition, weil sie aus dem „Dritten Reich“ mit einer
weißen Weste hervorgingen.
Herr Malchow, ist Ihnen diese Biografie nun Mahnung oder Verpflichtung?
Malchow: Beides. Ich bin ein alter Achtundsechziger und habe als Verleger
versucht, mich dieser Geschichte zu stellen, etwa mit Publikationen wie den
Tagebüchern von Rudi Dutschke oder Gerd Koenens „Das rote Jahrzehnt“. Das
beinhaltet auch eine kritische Auseinandersetzung damit, wie leicht
Individuen und ganze Generationen totalitären Fantasien verfallen, obwohl
sie zu Recht auf politische Missstände hinweisen und Unterdrückung
bekämpfen wollen.
Viele sind da auf einem Auge blind gewesen, ich auch. Und es ist schwer,
sich aus dieser Blindheit wieder herauszuarbeiten. Das fehlt mir bei
Witsch. Die Energie, die er in die Bekämpfung des Stalinismus gelegt hat,
ist eben auch ein Ablenkungsmanöver, ein Wegschauen von den eigenen
Verstrickungen. Zugleich ist für mich als Verleger aber auch meine
Bewunderung für ihn als Verleger angestiegen.
Was bewundern Sie an ihm?
Malchow: Ein Verleger ist jemand, der hohe Maßstäbe bei der Beurteilung von
Manuskripten anlegt und ein starkes Megafon hat, um die Bücher, für die er
sich einmal entschieden hat, in die Welt zu tragen. Witsch konnte das, an
diese Leidenschaft und Parteinahme für das eigene Programm erinnere ich
mich auch heute hin und wieder.
Geben Sie ein Beispiel?
Malchow: Als etwa Christian Kracht in die Nähe eines rechten Gedankenguts
gerückt werden sollte, habe ich mit Heftigkeit versucht, in der
Öffentlichkeit dieser Diskreditierung entgegenzuarbeiten.
Spielt politische Literatur noch eine Rolle in einem Diskurs, der von
Talkshows dominiert wird?
Malchow: Auch Belletristik kann politisch sein. Denken Sie an Frank
Schätzing, der mit „Breaking News“ einen Thriller über den Nahostkonflikt
geschrieben hat. Oder Dave Eggers, dessen Buch „The Circle“ aktuelle
Probleme der digitalen Überwachung literarisch verarbeitet.
Sind Sie froh, diesen Witsch nun so gut kennengelernt zu haben?
Malchow: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann den Weg in die Zukunft
nicht finden.
Möller: Woher nimmst du nur solche Sätze?
Malchow: Fiel mir gerade so ein.
Dürfen wir das zitieren?
Malchow: Nur wenn Sie in Klammern „lacht“ dazuschreiben!
8 Dec 2014
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Biografie
Verleger
Literatur
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