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# taz.de -- Schlagloch 12 Monate Verzicht: Reine Konsumwunschanfälle
> Dinge zu reparieren, hat unsere Autorin gelernt. Trotzdem ist sie beim
> Verzicht gescheitert. Der Kapitalismus hat das Soziale in Warenform
> gegossen.
Bild: Die meisten Kauf- und Besitzwünsche sind in Gemeinschaft gewachsen.
Die Blogosphäre ist voll von Leuten, die es geschafft haben. Menschen, die
angeblich keinen Müll mehr verursachen, und anderen, die ein ganzes Jahr
lang nichts kaufen. Kann ja nicht so schwer sein, dachte ich, und
verordnete mir für 2014 ein Jahr lang „keinen Konsum“. Mit zwei Ausnahmen:
Ich durfte Lebensmittel, Kosmetika und Haushaltszeug kaufen. Zweitens: Auch
Bücher sind Lebensmittel.
Milde Regeln. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe zwar einiges
gelernt, bin aber in anderem ziemlich gescheitert. Als Erstes lernte ich
naheliegenderweise das Reparieren und als Zweites, das mag überraschender
sein, das Aufheben. Völliger Blödsinn ist nämlich die in diversen
Konsum-Spar-Anleitungen kundgetane Regel, man solle aussortieren und
wegschmeißen. Analog zu dem spätprotestantischen Vergnügen, Fastenwochen
einzulegen und mit speziellen südostasiatischen Tees zu entschlacken,
„entschlackt“ man heutzutage gerne die Regale.
Aber das Problem für die Umwelt sind weniger die Dinge, die man im Schrank
hat, als vielmehr die, die hergestellt werden – oder die man wegwirft.
Tatsächlich bildet das Ausrangieren einen perfekten Kreislauf mit dem
Konsumabkurbeln, denn all diese Dinge, die man wegwirft oder „spendet“,
machen den Platz frei für neue Dinge, die man später guten Gewissens kaufen
kann.
## Nicht retro, sondern einfach alt
Der wahre Anti-Konsum-Trick besteht daher nicht im Wegwerfen, sondern wie
gesagt im Reparieren, aber auch im noch viel unüblicheren
„Gut-in-Schuss-Halten“, Pflegen und Wiederverwenden. Im Haushalt meiner Oma
wurde jede Tüte und jeder Gummiring aufgehoben, aber die meisten von uns
sind damit aufgewachsen, dass der Neukauf so wenig kostet, dass wir es uns
leisten können, nicht einmal zu wissen, wieviel wir besitzen.
Auch mögen wir es nicht, Dinge zu verwenden, die „alt“ aussehen. Retro ist
chic, aber richtig oll ist das Design von vor fünf Jahren! Dennoch musste
ich in diesem Jahr meinen Wasserkocher behalten, dem ein Eckchen fehlt –
tja, aber er kocht halt hervorragend Wasser. Von meinem Opa habe ich einst
ein Tischchen geerbt, dem war mal ein Bein abgebrochen; Opa hat es
sorgfältig mit einem Holznagel befestigt und verleimt. Dieser Tisch ist
nicht derart retro, dass man ihn in einem hippen Laden kaufen könnte. Er
ist einfach nur aus der Mode. Aber nun einmal unverwüstlich, und ich werde
ihn wohl ewig behalten.
Trotz aller „Werbung – nein danke!“-Aufkleber werde ich kontinuierlich mit
Katalogen beliefert, doch erst durch das Nichtkaufen fiel mir auf, für wie
viele tägliche Probleme unsere Warenwelt Lösungen anbietet, obwohl die
entsprechenden Probleme fast nie auftreten. Ich denke hier an die Welt der
Mini-Erfindungen und Nischenpatente wie solarbetriebene
Spezialwischdingsbumse oder ausgetüftelte Obstschäler für jede exotische
Fruchtsorte einzeln.
## Die Omaschuhe fielen durch
Nun aber zum Scheitern. Einmal brach ich die Regeln, weil ich schlicht
nicht wusste, wie sie ohne Gesichtsverlust durchhalten: Für ein paar
öffentliche Auftritte brauchte ich neue Schuhe. All meine bisherigen Schuhe
stammen noch aus der Zeit, als Schuhe vorne stumpf waren; danach kam die
Zeit, in der sie spitz waren; danach wieder stumpf; jetzt sind sie
gerundet. Ich mag meine alten, abgestumpften Schuhe und nehme an, dass sie
in spätestens zwei Jahren zum dritten Mal modern werden – aber nachdem ein
Freund höflich gefragt hatte, ob ich auch beim nächsten Mal wieder „diese
Omaschuhe“ tragen wolle, kaufte ich mir ein Paar Pseudoballerinas.
Von Zeit zu Zeit befielen mich auch reine Konsumwunschanfälle, die ich
früher so nie hatte. Auf dem Gebiet der Kosmetika hatten meine Regeln
Lücken gelassen. Wenn ich also einen unbändigen Wunsch verspürte, sinnlos
Geld für etwas auszugeben, wodurch ich mich feminin und lebendig fühlen
würde (hier musste ich an Eva Illouz’ Arbeiten zu „Gefühlen in Zeiten des
Kapitalismus“ denken), dann kaufte ich Nagellacke und Lippenstifte. Mit
einer Mischung aus Freude und schlechtem Gewissen trug ich sie heim und
benutzte viele davon kein einziges Mal.
Seither konfrontiert mich diese bunte Riege im Badezimmer mit der Frage, ob
es sich um eine Art anthropologische Konstante handelt (die ständige Furcht
des Menschen vor Versorgungsengpässen, der Stolz über den Vorrat in
heimischer Höhle) oder um ein Zeugnis davon, wie tief selbst unser Körper-
und Lustempfinden vom Kapitalismus durchdrungen ist.
## Als Mitglied der Ingroup vergewissern
Meine wichtigste Erkenntnis wiederum ist kein bisschen neu, aber angesichts
der vielen eingangs erwähnten Berichte von geglücktem Konsumausstiegen
möchte ich sie doch erwähnen. Wir Menschen sind soziale Wesen: Was wir
wollen, was wir schön finden, was wir „brauchen“, was wir benötigen, um u…
als Mitglied unserer Ingroups zu vergewissern – das bestimmen wir nicht
allein. Ein Mensch kann für sich die Mode ignorieren, aber die anderen
finden ihn/sie dann „unmöglich angezogen“. Die meisten Kauf- und
Besitzwünsche sind in Gemeinschaft gewachsen und wir können den Ausstieg
nur gemeinsam schaffen.
Bei der Hard- und Software, die wir zur Datenverarbeitung und
-weiterleitung brauchen, ist es ähnlich. Zum Abschluss meines letztlich
gescheiterten konsumfreien Jahres kaufte ich mir das Tablet, auf dem ich
eben dies schreibe. Denn meine beiden bisherigen Geräte haben gerade den
Geist aufgegeben. Zwar sind sie zur Reparatur, ich will ihnen noch eine
Chance geben. Aber ich habe den Reparateuren gesagt: Wenn sie nicht
schneller werden, werden sie ersetzt – mensch muss ja anschlussfähig
bleiben.
So konsequent nämlich hat der Kapitalismus das Soziale in Warenform
gegossen, dass wir Heutigen sogar für die einfachsten Dinge, die uns
Menschen seit Urzeiten begleiten – zu einer Gruppe gehören, mit den Lieben
Kontakt halten, kommunizieren –, nicht mehr leben können, ohne seine
verflixten, modeabhängigen, sich ständig durch Updates unverzichtbar
machenden Waren zu kaufen.
14 Dec 2014
## AUTOREN
Hilal Sezgin
## TAGS
Konsum
Konsumkritik
Verzicht
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