# taz.de -- Ausgestellte Farbflecken: Systematiker des Designs | |
> Walter Dexel hat sein Leben der künstlerischen Form gewidmet, an der er | |
> auch die Handwerkerausbildung ausgerichtet sehen wollte. | |
Bild: Walter Dexel: Blick auf die Saale bei Jena, Öl auf Leinwand, 1914 | |
Ein Bild ist eine Ordnung von Farbflecken, sonst nichts. Wer sich als | |
Künstler derart respektlos ausdrückt, strotzt entweder vor | |
Selbstbewusstsein – oder zieht das Fazit aus einem Werk voll | |
widersprüchlicher Wechselfälle. Der Mann, der in seinem späten Leben so | |
sprach, war Walter Dexel (1890–1973). Er zitierte zwar nur einen seiner | |
Lehrer, meinte aber natürlich sein eigenes Oeuvre. Dexel war ein in vielen | |
Disziplinen schöpferisches Talent, und geriet, wie nicht wenige seiner | |
Zeitgenossen, in die ideologischen Verstrickungen des 20. Jahrhunderts. | |
Das städtische Museum Braunschweig widmet Walter Dexel derzeit eine | |
Werkschau, da er dem Haus und der Stadt seit den 1940er-Jahren eng | |
verbunden war. Die Formsammlung handwerklichen wie industriellen | |
Gebrauchsguts, deren Grundstock er während der NS-Zeit legte, ist | |
international renommiert, wohl einzigartig in ihrer typologischen | |
Systematik und zentral in Dexels Biografie. | |
Dessen Karriere begann fulminant. Der 1890 in München Geborene studierte | |
dort Kunstgeschichte, unter anderem bei Heinrich Wölfflin, der eine | |
vergleichende Formwissenschaft vertrat, und promovierte 1916 in Jena. | |
Während seines Studiums entdeckte er den Expressionismus der Brücke sowie | |
des Blauen Reiters, auch den Kubismus und Konstruktivismus, und begann | |
autodidaktisch mit Malerei und Druckgrafik. | |
Seine ehrenamtliche Tätigkeit als Ausstellungsleiter des Jenaer | |
Kunstvereins brachte ihn zwischen 1916 und 1928 in Kontakt mit der | |
internationalen Avantgarde und den Protagonisten des 1919 in Weimar | |
gegründeten Bauhauses. Ludwig Mies van der Rohe etwa skizzierte 1925 ein | |
Wohnhaus für Dexel. Die eigene Malerei schränkte Dexel ein, seine letzte | |
Ausstellung in Deutschland datiert von 1925. Stattdessen widmete er sich | |
der angewandten Kunst, etwa der Typografie, und wissenschaftlichen wie | |
pädagogischen Aufgaben. | |
Er entwickelte beispielsweise eine Reklameordnung für das Neue Frankfurt | |
unter Baustadtrat Ernst May. Dexel empfahl einheitlich hohe Bänder über den | |
Schaufenstern, entwarf Leuchtreklamen an Straßenlaternen und illuminierte | |
Werbesäulen. | |
Umgesetzt wurde davon wohl wenig. Zahlreiche Bucheinbände Dexels in | |
plakativer Geometrie aus Primärfarben und großen serifenfreien Schriften | |
reihten sich nahtlos ein in die zeitgleichen Entwürfe eines Kurt Schwitters | |
oder der Bauhausbücher. Eine eigene Publikation erschien 1928, zusammen mit | |
seiner Frau: Das Wohnhaus von heute. | |
Dexels pädagogische Ambition führte ihn an die Kunstgewerbe- und | |
Handwerkerschule Magdeburg. Hier verfestigte er seine Programmatik, dass | |
für die Ausbildung des Handwerkers eine künstlerische Erziehung wesentlich | |
sei, er eine Kenntnis der Form besitzen müsse. Zur Anschauung in einer | |
vergleichenden Formlehre schwebte Dexel eine nationale Belegsammlung | |
vorbildlichen Handwerksgutes vor, eine private Zusammenstellung verfolgte | |
er bereits. | |
Trotz des gemeinsamen Eintrittes des Magdeburger Kollegiums Anfang 1933 in | |
die NSDAP wurde Dexel 1935 entlassen. Seine Kontakte zu den | |
Gesinnungsgenossen des Bauhauses und Ernst May – seit 1930 mit seiner | |
Architekten-Brigade in der Sowjetunion tätig – sowie der Mangel an | |
eigenschöpferisch handwerklichem Können dienten als Begründung. Dexel | |
gelang der Wechsel auf eine außerplanmäßige Professur in Berlin, als 1937 | |
zwei seiner Bilder in der Münchener Ausstellung Entartete Kunst gezeigt | |
wurden. | |
Indem er sich von seiner schon lange nicht mehr praktizierten Malerei | |
distanzierte, konnte er erreichen, dass sie nicht mehr gezeigt wurden. | |
Zudem konkretisierte er seine Idee einer Lehrschau im Kontext der | |
SS-Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe: Die Volksform, das vom Handwerk der | |
Vergangenheit geschaffene schlichte Formgut erklärte er als dem verfemten | |
akademischen Stil überlegen. | |
Der Braunschweiger Oberbürgermeister Wilhelm Hesse, ein überzeugtes | |
Parteimitglied, nutzte die Gunst des Regimes, das die kulturelle Bedeutung | |
der Stadt stärken wollte. Er berief Dexel 1942 auf eine Beamtenstelle, | |
organisierte weitläufige Ausstellungsräume und umfangreiche Finanzmittel | |
zum Aufbau der Sammlung. Unter anderem in den von deutschen Truppen | |
besetzen Niederlanden, in Frankreich und Belgien traf Dexel einen | |
wohlsortierten Kunst- und Antiquitätenhandel an. Er bezahlte anstandslos, | |
ohne den Preis zu verhandeln. | |
Nach 1945 wurde Dexel entnazifiziert, konnte 1946 die Leitung der nun | |
Formsammlung geheißenen braunschweigischen Institution fortsetzen und an | |
der Werkkunstschule, der späteren Hochschule für bildende Künste, lehren. | |
Sein Sohn Thomas Dexel übernahm nach dem Ruhestand 1955 die Aufgaben. Er | |
erweiterte die Sammlung um zeitgenössisches Design auf geschätzte 5.500 | |
Objekte. | |
Der problematische Kern der Formsammlung wurde ab 2012 einer entlastenden | |
Provenienzforschung unterzogen, ist in der aktuellen Ausstellung aber nur | |
am Rande erwähnt. Sie wolle den ganzen Dexel als Künstler und | |
Wissenschaftler zeigen, sagt Museumsdirektorin Cecilie Hollberg. Dabei ist | |
sie sich der Lücken in ihrem Konzept mit rund 150 Exponaten bewusst. | |
Nirgends etwa wird die künstlerische Tätigkeit Dexels für die | |
Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) in den späten 1930er-Jahren | |
deutlich, der sich immerhin das legendäre Dexel-Ei, eine Serie kleiner | |
Glasvasen reiner Industrieform, verdankt. Dafür erhält Dexels künstlerische | |
Neupositionierung in den Jahren des Ruhestands den nötigen Raum. | |
Wie zur Versöhnung mit verleugneten Teilen seiner Biografie griff Dexel in | |
den 1960er-Jahren die Malerei wieder auf und seine frühen | |
konstruktivistischen Entwürfe. Er übersetzte sie in den Siebdruck, eine ihm | |
zeitadäquat erscheinende Technik für flächige Farbgeometrien, und erneuerte | |
das Kolorit. Statt Primärfarben treten in dem feinen Spätwerk nun gedämpfte | |
Misch- und Grautöne neben das markante Schwarz. Eine Rehabilitierung in der | |
Kunstwelt gelang Walter Dexel jedoch nicht mehr. | |
## Walter Dexel – Konstruierte Welten, bis zum 8. Februar 2015 im | |
Städtischen Museum Braunschweig; umfangreicher Katalog für 25 EUR | |
11 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
zeitgenössische Kunst | |
Bauhaus | |
Nationalsozialismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schweizer Künstlerin Heidi Bucher: Befreiungsrituale im Raum | |
Textil als Medium, patriarchalen Strukturen zu entwachsen: Das Haus der | |
Kunst in München widmet der Künstlerin Heidi Bucher eine Retrospektive. | |
Bauhaus und Designausbildung: Von Aurich nach Atlanta | |
Eine Ausstellung in Atlanta würdigt Hin Bredendieck: als Gründungsdirektor | |
des Instituts für Industriedesign an der Georgia Tech. | |
Bildende Kunst zur NS-Zeit: Lebenselement Freiheit | |
In einer Vortragsreihe der Stiftung Topographie des Terrors zur Kunst im | |
NS-Staat stellen Wissenschaftler aktuelle Forschungsergebnisse in Berlin | |
vor. |