# taz.de -- Prozess im Todesfall Diren Dede: „Bumm, bumm, bumm, bumm“ | |
> Die Anklage warf Markus K. vor, den deutschen Austauschschüler Diren Dede | |
> gezielt getötet zu haben. Aus dem Gerichtssaal in Missoula. | |
Bild: Markus K. zog es vor, im Gericht zu schweigen. | |
MISSOULA taz | Vielleicht wäre Diren Dede noch am Leben, hätte die Frisörin | |
Tanya Colby an einem Frühlingstag die Gewaltdrohungen eines Kunden ernst | |
genommen. | |
Vielleicht säßen seine Eltern heute nicht in einem Gerichtssaal in | |
Missoula, hätte die Polizei zwei jugendliche Diebe früher gefasst. | |
Vielleicht waren die Todesschüsse auf den 17-jährigen Austauschschüler aus | |
Hamburg die Tat eines Paranoikers, der von seiner Freundin angestachelt | |
wurde. | |
Vielleicht aber, denkt Mike Frellick, nahm das Unglück seinen Lauf, als er | |
eine Frage seiner neuen Nachbarin nach den Notwehrparagrafen beantwortete. | |
Ja, sagte der pensionierte Polizeibeamte zu Janelle P., auch in Montana | |
dürften Hausbesitzer tödliche Gewalt gegen Eindringlinge anwenden. | |
„Hinterher habe ich meine Worte bereut.“ | |
Das Gerichtsgebäude von Missoula, in dem der Fall des Hausbesitzers Markus | |
K. verhandelt wurde, passt zu einer Stadt, in der Akademiker die Holzfäller | |
verdrängen und jede Behörde aus den Nähten platzt. Vorn ein | |
denkmalgeschützter Bau mit Glockentürmchen, hinten Platte. Im Gerichtssaal | |
ein Mischmasch aus Antiquitäten und modernen Büromöbeln. Die Atmosphäre ist | |
formlos: Die Staatsanwälte reden den Richter mit „Judge“ an statt mit „E… | |
Ehren“. | |
Zehn Fahrminuten entfernt liegt das Villenviertel, in dem Täter und Opfer | |
lebten. Hier, wo nachts schon mal ein Puma gesichtet wird, ziehen | |
Zahnärzte, Anwälte und Banker ihre Kinder groß. Man kennt und mag sich am | |
Prospect Drive. Man fühlt sich sicher. Protzen ist verpönt. | |
## Diren kickte für das Fuißballteam der High School | |
Im Spätsommer 2013 kam der 17-jährige Diren aus Hamburg zum | |
Schüleraustausch nach Missoula. Das Ehepaar, das ihn aufnahm, wohnt am | |
Prospect Drive. Während er sich einlebte – er kickte für das Fußballteam | |
der Big Sky High School und schloss Freundschaft mit Robby, einem anderen | |
Austauschschüler – zog eine neue Familie ein paar Straßen weiter ein. | |
Markus K. und seine Lebensgefährtin Janelle P. passten nicht so recht in | |
die wohlhabende Gegend. K. war nicht gerade gesellig und zog sich zum | |
Rauchen – Zigaretten und Joints – gern in seine Garage zurück. Nachbarn | |
gegenüber hatte er vor allem ein Thema: Kriminalität. Im Dezember | |
beschwerte er sich, ihm seien 700 Dollar gestohlen worden. Er war | |
versehentlich mit dem Geld auf dem Dach losgefahren. Das Portemonnaie kam | |
leer zurück. | |
Etwa um diese Zeit kamen Diren und Robby erstmals mit Garage Hopping in | |
Berührung. Sie fuhren mit Gleichaltrigen durch die Straßen, auf der Suche | |
nach offenen Garagen mit Biervorräten. Alkohol ist in den USA erst ab 21 | |
erlaubt. Diren habe mitgemacht, um seinen Mut zu beweisen, sagt Robby. | |
„Niemand hat uns gesagt, dass man dabei erschossen werden kann.“ | |
## Eine Garage mit Bier und Marihuana | |
Die meisten Jungen in Direns Clique waren Fußballer, gehörten zur Elite der | |
High School. Mitschüler Tristan S. dagegen war Außenseiter und mit 18 | |
polizeibekannt. Mitte April fuhr er mit einem Kumpel durch das Viertel am | |
Prospect Drive. Dort sollte es eine Garage geben, in der nicht nur Bier, | |
sondern auch Marihuana zu finden sei. | |
In der Nacht zum 18. April wurde bei Markus K. und Janelle P. eingebrochen. | |
Geld, Kreditkarten, Handy und Marihuana weg. Noch während die Streife vor | |
Ort war, stellte P. fest, dass die Kreditkarte an einer Tankstelle und in | |
einem Restaurant benutzt wurde. Sie rief das gestohlene Handy an und droht | |
den Dieben, sie umzubringen. Der Streifenbeamte, sagt ein Nachbar vor | |
Gericht, habe sich taub gestellt. | |
Sauer über die Untätigkeit der Polizei, beschloss das Paar, das Recht in | |
die eigenen Hände zu nehmen. P. installierte in der Garage zur Überwachung | |
ein Babyfon. Sie alarmierte auch Nachbarn wie Mike Frellick, der versprach, | |
seine Kontakte zur Polizei zu nutzen, um die Ermittlungen in Gang zu | |
bringen. Doch die zuständige Kriminalbeamtin hatte frei, und ein | |
Software-Update blockierte die Datenbank. | |
## Markus K. holt die Pumpgun aus dem Keller | |
Markus K. holte mittlerweile die Pumpgun aus dem Keller – eine Mossberg | |
500. Am 23. April stand er splitternackt mit der Waffe im Anschlag in | |
seiner Garageneinfahrt und erschreckte den Angestellten einer Gartenfirma | |
fast zu Tode. Völlig übernächtigt stieß er beim Frisör wilde Drohungen | |
gegen Kids und Cops aus. | |
Im Gericht sitzt K. völlig ruhig im Anzug und mit frisch gebügeltem Hemd | |
zwischen seinen fünf Anwälten. Mit gespitzten Lippen lutscht er ein Bonbon | |
nach dem anderen, die Augenbrauen scheinbar ständig hochgezogen. K. leide | |
unter Angststörungen, sagt sein Verteidiger. Er habe sich verpflichtet | |
gefühlt, sie und ihr Kind zu beschützen, sagt seine Lebensgefährtin, die | |
sich nicht mehr erinnern will, wer die Garage in der Nacht zum 27. April | |
offen gelassen hat. | |
Das Paar saß im dunklen Wohnzimmer vor dem Fernseher, als Diren und sein | |
Freund Robby am Haus vorbeikamen. Mit dem Babyfon lauschte Janelle P., wie | |
einer in die Garage ging. Der Rest geschah binnen Sekunden – Markus K. nahm | |
seine Mossberg, ging aus dem Haus zum Garagentor und feuerte hinein. Der | |
vierte Schuss war tödlich. Mehrere Nachbarn wollen eine Pause gehört haben. | |
Bumm, bumm, bumm. Pause. Bumm. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass | |
K. innehielt, sich neu positionierte und auf den Kopf schoss. Die | |
Spurensicherung lässt diese Vermutung zu – es bleibt aber eine Vermutung. | |
## Ein paar teure Experten | |
Markus K. sagt kein Wort. Die Verteidigung verzichtet darauf, ihn in den | |
Zeugenstand zu rufen, wie sie überhaupt verzichtet, ihre Theorien über das | |
Tatmotiv zu untermauern. Als Entlastungszeugen ruft sie lediglich ein paar | |
teure Experten auf. | |
Die Stimme des Angeklagten ist im Gericht nur zu vernehmen, wenn Videos von | |
seiner polizeilichen Vernehmung oder Mitschnitte von Telefonaten aus der | |
U-Haft vorgespielt werden. Im Verhör sagte K., er habe in der Garage | |
überhaupt nichts sehen können. „Ich guckte gar nicht ins Zielrohr. Bumm, | |
bumm, bumm, bumm.“ Als die Kriminalbeamten mitteilten, er werde unter | |
Anklage gestellt, schluchzte er. „Ich hab’ doch kooperiert. Wie kann das | |
vorsätzliche Tötung sein?“ | |
Seit dem 19. Jahrhundert dürfen die Bürger von Montana einen Angreifer | |
erschießen, wenn sie um Leib und Leben fürchten. Doch erst 2009 erstritt | |
die Waffenlobby eine Änderung der Strafprozessordnung, die es Todesschützen | |
wesentlich erleichtert, sich auf Notwehr zu berufen. Seither machen immer | |
mehr geltend, dass sie sich nur mit tödlicher Gewalt verteidigen konnten. | |
Das gilt auch für den Schutz des eigenen Heims. | |
## Die Waffenlobby geht auf Distanz | |
Gary Marbut, der Vorsitzende der Schützenvereinigung von Montana, tritt | |
häufig als Experte in Verfahren auf, die sich um Waffengewalt drehen. Im | |
Prozess gegen Markus K. bleibt er draußen. Die Staatsanwaltschaft hat ihn | |
nicht gebucht, und für die Verteidigung wollte er nicht in den Zeugenstand. | |
Das ist das Merkwürdige: Die Waffenlobby distanziert sich von Markus K. | |
Natürlich hat Marbut nichts dagegen, dass sich Hausbesitzer mit Waffen | |
verteidigen. Aber er verlangt, dass sie die Regeln aus seinem Schießkurs | |
einhalten. Zum Beispiel müssten sie die Entfernung des Angreifers und | |
dessen Absichten einschätzen können. „Aber der Angeklagte sagt ja, er | |
konnte überhaupt nichts sehen.“ Damit sitzt K. in der Zwickmühle: Wenn es | |
wirklich dunkel war, dann hätte er nach den Regeln nicht schießen dürfen. | |
Wenn er doch etwas sehen konnte, dann feuerte er gezielt auf einen | |
Eindringling, der nicht bewaffnet und auch sonst nicht bedrohlich war. | |
Der Psychologe Douglas Johnson lässt solche Argumente nicht gelten. Von der | |
Verteidigung als Entlastungszeuge aufgerufen, erläutert er, wie Stress die | |
Urteilsfähigkeit selbst des umsichtigsten Schützen vermindern kann. Die | |
Geschworenen folgen gebannt dem Vortrag, der K.s Verhalten und die | |
widersprüchlichen Aussagen seiner Lebensgefährtin nach der Tat erklären | |
soll. Die Verteidigung hofft, dass sich mindestens einer von ihnen mit K. | |
identifiziert. | |
## Führung durch die Garage | |
In Missoula ist die Bevölkerung überwiegend gegen K. eingestellt. Jeder hat | |
mal wie Diren einen Dumme-Jungen-Streich begangen, auch wenn er inzwischen | |
selbst den Revolver im Nachttisch liegen hat. Der Zahnarzt Terry Klise | |
schildert im Zeugenstand, wie Janelle P. ihm am Tag nach der Tat die | |
Einschüsse in ihrer Speisekammer zeigte und ihm dann eine Führung durch die | |
blutbefleckte Garage anbot, was er schaudernd ablehnte. Der | |
Strafverteidiger Brian Smith versucht daraufhin, Klise als Beispiel dafür | |
vorzuführen, dass K. in Missoula nicht auf Gerechtigkeit hoffen könne. | |
„Sie mögen Markus nicht.“ – „Das habe ich nicht gesagt. Ich mag Janelle | |
nicht.“ – „Sie wollen Markus nicht helfen. Sie werden sich hüten, etwas … | |
sagen, das zu seinen Gunsten wirken könnte.“ – „Das ist nicht wahr.“ | |
Wie die meisten Bürger Missoulas stellte auch die Staatsanwaltschaft im | |
Prozess nicht die Systemfrage. Das Recht auf Waffen zweifelte schon gar | |
keiner an. „Bitte sagen Sie dem Angeklagten, dass wir zwar in einem | |
Bundesstaat mit einer ausgeprägten Waffenkultur, aber nicht der | |
Rechtlosigkeit und der Selbstjustiz leben“, appellierte Staatsanwältin | |
Karla Painter an die Jury. | |
Ein Schuldspruch könnte schießwütige Bürger zum Innehalten bewegen. | |
Vielleicht. Wahrscheinlich ist es nicht. | |
Update (18. Dezember 2014): Markus K. wurde [1][schuldig gesprochen]. | |
17 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Taeter-im-Diren-Prozess-verurteilt/!151509/ | |
## AUTOREN | |
Henriette Löwisch | |
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