# taz.de -- Präsidentenwahl in Tunesien: 88-Jähriger gegen 69-Jährigen | |
> Der nächste Präsident ist entweder im Greisenalter oder er wird dank der | |
> Islamisten gewählt. Die Demokratie funktioniert dennoch. | |
Bild: Unspektakulärer Wahlkampf: Moncef Marzouki und Béji Caïd Essebsi. | |
MADRID taz | Tunesien beendet am Sonntag einen Wahlmarathon. Mit der | |
Stichwahl um das Präsidentenamt wird das Land, in dem vor vier Jahren der | |
Arabische Frühling begann, nach dem Parlament auch die Staatsspitze neu | |
besetzen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem scheidenden | |
Übergangspräsidenten Moncef Marzouki und dem Vorsitzenden der im Oktober | |
bei den Parlamentswahlen siegreichen Nidaa Tounes (Der Ruf Tunesiens), Béji | |
Caïd Essebsi, erhitzt die Gemüter der 5,2 Millionen Wahlberechtigten. | |
Der 88-jährige Essebsi geht als Favorit ins Rennen. Bei der ersten Runde | |
vor einem Monat konnte er 39,46 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. | |
Sein Kontrahent Marzouki musste sich mit sechs Prozent weniger zufrieden | |
geben. Essebsi schreibt sich ein „modernes, säkulares Tunesien“ auf die | |
Fahne. Er führt seine lange politische Erfahrung ins Feld und verspricht | |
Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. | |
Er war unter Habib Bourgiba, dem ersten Präsidenten Tunesiens nach der | |
Unabhängigkeit von Frankreich 1956, Innen-, später Außenminister. Unter Ben | |
Ali stand er zwei Jahre dem völlig machtlosen Parlament vor, bevor er sich | |
aus der ersten Linie der Politik zurückzog. Nach dem Sturz Ben Alis wurde | |
der politische Veteran Chef der Übergangsregierung und führte Tunesien zur | |
Wahl der verfassunggebenden Versammlung im Oktober 2011, die die | |
islamistische Ennahda gewann. | |
Es ist dieser Werdegang und die Tatsache, dass er ehemalige führende | |
Mitglieder der aufgelösten Einheitspartei RCD um sich schart, die sein | |
Gegner Marzouki im Wahlkampf nutzt. Er warnt vor „der Rückkehr des alten | |
Regimes“, verspricht, die „Werte der Revolution“ zu verteidigen. Die | |
Strategie ging im ersten Durchgang auf. | |
## „Politisch Toter, der dank Ennahda wiederauferstanden ist“ | |
Der 69-jährige ehemalige Oppositionelle und Menschenrechtler kam auf Platz | |
2, obwohl er keine eigene Hausmacht hat. Seine kleine säkulare Partei, | |
Kongress für die Republik (CpR), unterstützte nach den Wahlen 2011 die | |
siegreiche Ennahda. Dadurch wurde Marzouki zum Übergangsstaatschef. | |
Vergangenen Oktober straften die Wähler ihn dafür ab. Der CpR verlor 25 | |
seiner 29 Parlamentssitze. Dass er dennoch gegen Essebsi in die Stichwahl | |
kam, verdankt Marzouki vor allem den Ennahda-Wählern, um die er wirbt. | |
Denn die Islamisten schickten keinen eigenen Kandidaten ins Rennen. Als | |
„politisch Toter, der dank Ennahda wiederauferstanden ist“, bezeichnet | |
Essebsi Marzouki und stellt ihn damit in die Ecke der Islamisten. Aus dem | |
Rennen zweier von Haus aus säkularer Politiker wird dadurch erneut ein | |
Kampf zwischen religiösem und weltlichem Politikverständnis. Ein Konflikt, | |
in dem sich Essebsi gerne und erfolgreich bewegt. | |
Mehrere kleinere liberale, sozialdemokratische und säkularen Parteien | |
unterstützen Essebsi in der zweiten Runde. Die linke Volksfront unter Hama | |
Hammami, der beim ersten Durchgang Dritter wurde, empfiehlt ihren | |
Anhängern, auf keinen Fall Marzouki zu wählen. „Er ist der Kandidat der | |
Islamisten“, warnt auch die Volksfront, ohne zur Wahl Essebsis aufzurufen. | |
Marzouki wirbt vor allem um die Jugend, die einst die Revolution trug. | |
Dabei wendet er auch schmutzige Tricks an. „Wenn wir nicht gewinnen, dann | |
war Wahlbetrug im Spiel“, erklärte er im Voraus. Die tunesische | |
Wahlkommission, die international für ihre Arbeit gelobt wurde, kritisierte | |
Marzouki scharf. | |
21 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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