# taz.de -- Sebastian Kienle über Triathlon: „Ich fühle mich wie ein Studen… | |
> Vor der Wahl zum „Sportler des Jahres“ spricht der | |
> Ironman-Hawaii-Gewinner über das Nischendasein seiner Sportart, | |
> Selbstbestimmung und Doping. | |
Bild: Sebastian Kienle nach seinem größten Triumph, dem Sieg beim Ironman Haw… | |
taz: Herr Kienle, was machen Sie am 21. Dezember? | |
Sebastian Kienle: Da bin ich bei der Sportlerehrung in Baden-Baden. Den | |
Termin habe ich seit Längerem fest geblockt. | |
Vor zehn Jahren hat der Hawaii-Sieger Normann Stadler nach der Wahl zum | |
„Sportler des Jahres“ mit despektierlichen Äußerungen über den vor ihm | |
platzierten Behindertensportler Wojtek Czyz einen Eklat produziert. | |
Ich wäre nicht enttäuscht oder sauer, wenn ein Weitspringer vor mir landen | |
würde. | |
Als Triathlet auf dem Höhepunkt seiner Karriere fühlte sich Stadler | |
angesichts seines Trainingsaufwands nicht angemessen gewürdigt. Geht das | |
Ihnen auch so? | |
So wird Sport eben nicht gemessen. Es geht um Angebot und Nachfrage – | |
Profisport ist Marktwirtschaft in ihrer extremsten Ausprägung. Deswegen | |
darf man bei solchen Wahlen nie danach gehen, wie viel ich für den Erfolg | |
gearbeitet habe. Und es ist interdisziplinär gar nicht möglich, sportliche | |
Leistung objektiv zu messen. | |
Sie würden also verstehen, wenn etwa wieder der Diskuswerfer Robert Harting | |
„Sportler des Jahres“ wird? | |
Ja, weil ich denke, dass es auch um den Einfluss des Sportlers über seine | |
Sportart hinaus geht – und da hat der Robert eine andere Durchschlagskraft | |
als ich. Und das liegt nicht nur daran, wie schnell er den Diskus aus dem | |
Ring feuert. | |
Haben Sie als vierter deutscher Hawaii-Sieger viele Ehrungen, Talkshows | |
etc. hinter sich? | |
Der Ironman Hawaii ist der einzige Erfolg, bei dem man aus dem Mikrokosmos | |
und Special-Interest-Bereich Triathlon ausbricht. Ich habe rund 40 | |
Interviews bislang gegeben, aber ich bin dabei auch selektiv vorgegangen | |
und habe unter anderem die Einladung ins Aktuelle Sportstudio des ZDF | |
abgesagt. | |
Mutig. | |
Ich hätte dafür mit meiner Freundin den Urlaub auf Hawaii und einen Trip | |
nach San Francisco absagen müssen. Sie wollten mich direkt nach dem Rennen | |
haben, in den nächsten zwei Wochen war ich wohl nicht mehr aktuell genug. | |
Und danach passt ein Triathlet nicht mehr ins Fußballstudio. | |
Der dritte Platz des Ironman-Einsteigers Jan Frodeno auf Hawaii ging fast | |
ein bisschen unter. Ihr Verhältnis gilt als ausgesprochen kollegial – ganz | |
anders als Norman Stadler und Faris Al-Sultan, die sich nicht leiden | |
konnten. Medial wäre eine große Rivalität sicherlich besser zu verkaufen? | |
Ich weiß, dass es dem Sport nichts wegnimmt, wenn man sich gut versteht. | |
Die Freundschaft rührt von dem Respekt, den wir füreinander empfinden. Und | |
ich habe sogar einen größeren Drang, Leute im Wettkampf zu schlagen, vor | |
denen ich das empfinde. | |
Was kann der Olympiasieger Frodeno dem Ironman bringen? | |
Er ist wortgewandt und eloquent, er hat Ausstrahlung und Charisma. Und er | |
sorgt dafür, dass alle wieder ein Stückchen mehr arbeiten müssen. Er legt | |
die Messlatte für alle extrem höher, denn in Frankfurt hatte er drei | |
Platten, in Kona einen. Dauerhaft will ich die Rennen so nicht gegen ihn | |
gewinnen (grinst). | |
Ist er einer, der 2015 schon den Ironman Hawaii gewinnen kann? | |
Ganz sicher! | |
Sie haben gerade am Nikolaustag noch am Challenge Bahrain über die | |
Mitteldistanz teilgenommen, wo Sie nach einem Reifenschaden aufgeben | |
mussten. Warum sind Sie dort noch gestartet? | |
Es ist kein Geheimnis, dass dieses Rennen sehr lukrativ war. | |
Wie steht es mit dem politischen Kalkül bei manchen Ihrer Reiseziele? | |
Für mich ist es erst einmal egal, ob ich nach Österreich, die USA oder eben | |
jetzt Bahrain fliege. Ich versuche mich vorher von allen Vorurteilen zu | |
lösen, um mir dann vor Ort selbst ein Bild zu machen. Das mag dann sicher | |
unvollständig sein, aber Sport trägt immer zur Verständigung und Öffnung | |
bei. | |
Dann würden Sie von Boykott im Sport abraten? | |
Ein Boykott würde doch nichts bewirken. Es gab Olympische Spiele in Peking | |
oder Sotschi, Formel 1 in Abu Dhabi, bald die Fußball-WM in Katar – was ist | |
denn bisher passiert? Gerade die deutschen Medien haben bei ihrer | |
Berichterstattung nicht die Scheuklappen auf, sondern sprechen auch die | |
Dinge links und rechts an. Ich glaube wir haben die größeren Probleme in | |
Ländern, in denen solche Sportveranstaltungen noch nicht stattfinden. | |
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer persönlichen Situation? | |
Viele Leute fliegen ja in ein Loch, wenn sie solch ein großes Ziel erreicht | |
haben. Ich denke, ich habe das bisher ganz gut geschafft. Ich habe kein | |
Team hinter mir, das mir alles abnimmt. Ich behaupte einmal, dass ich nicht | |
in einer Scheinwelt lebe, aus der ich mit 35 geschockt aufwache. Ich | |
glaube, dass es wenige Menschen gibt, die ihr Leben so selbstbestimmt | |
gestalten wie ich. | |
Wie oft stellen Sie sich im Training die Sinnfrage? | |
Oft. Würde ich das im Rennen tun, wäre das eine Katastrophe. Es kommt auch | |
mitunter vor, dass ich bei manchen Trainingseinheiten keine Antwort darauf | |
weiß, und dann höre ich einfach auf. Mein Hawaii-Sieg ist diesbezüglich | |
hilfreich, weil ich mir viele schöne Bilder in den Kopf gehämmert habe. | |
Die wenigsten Triathlon-Profis können von ihrem Sport gut leben. Sie haben | |
lange Physik studiert, dann aber auf ein Fernstudium Internationales | |
Management umgeschwenkt. | |
Ich bin Triathlet, aber ich fühle mich ein bisschen wie ein Student, weil | |
ich meinen Lebensstil seitdem nicht wahnsinnig geändert habe. Für mich ist | |
das Studieren vor allem eine Option: Wenn man gar nichts anderes hat als | |
den Sport, merkt man bei einer Verletzung erst, wie leer der ganze Tag auf | |
einmal erscheint. Dann findet man auch niemand, der um zehn Uhr in der | |
Woche mit einem frühstücken geht. | |
Außer dem Ironman Frankfurt und Hawaii und dem Triathlon in Roth sind die | |
Langdistanz-Wettkämpfe kaum in der öffentlichen Wahrnehmung. Was ist | |
dagegen zu tun? | |
Wir sind zwar keine Boom-Sportart, wachsen aber relativ konstant und haben | |
einen stabilen Unterbau. Skispringen und Roden sind zwar medial meilenweit | |
vor uns, aber besitzen gar nicht die Basis wie der Triathlon. Aber | |
natürlich muss sich bei uns vieles bessern: Die Übertragung unserer | |
Weltmeisterschaft aus Hawaii mit dem Livestream beispielsweise ist | |
vorsintflutlich. Aber es ist wohl eine Geldfrage für den Weltverband. | |
Der wollte einst Lance Armstrong als Zugpferd gewinnen. Sie haben sich | |
damals dagegen ausgesprochen. Warum? | |
Weil es eine typische Aktion gewesen wäre, nur kurzfristig die | |
Aufmerksamkeit zu erhöhen – aber massiv auf Kosten derjenigen Sportler, die | |
den Triathlon nach vorne gebracht haben. Und meine Bedenken haben sich ja | |
auch bewahrheitet … | |
… kurz danach kam sein Dopinggeständnis. | |
Ja, und das zeigt doch, dass sich der gesamte Triathlon daran die Finger | |
verbrannt hätte. Man kann nicht auf der einen Seite sagen, man will diese | |
Sportart dopingfrei halten und macht auf diesem Sektor einen guten Job, | |
aber auf der anderen Seite holt man jemand wie Lance da rein. Nein, der | |
hatte bei uns nichts verloren! | |
Waren Sie auch deshalb so argwöhnisch, weil Sie einst Jan Ullrich | |
angehimmelt haben und sich persönlich enttäuscht fühlten, als die Zweifel | |
aufkamen? | |
Alexander Winokurow fand ich früher fast noch besser. Damals war ich mehr | |
Sportkonsument als Spitzensportler, und in diesem Alter hat man sich | |
einfach Vorbilder gesucht. Ich habe damals immer die letzten Schulstunden | |
geschwänzt, nur um mir die Flachetappen in voller Länge reinzuziehen. Wenn | |
man dann irgendwann kapiert, was wirklich abläuft, ist das krass. Krass | |
enttäuschend. | |
Was können Sie vorbringen, dass im Triathlon zumindest bei Ihnen es sauber | |
abläuft, wenn Sie schwimmen, radeln, laufen? | |
Ich habe Verständnis für jeden Verdacht, aber ich kann immer nur wieder | |
sagen: Es würde alles konterkarieren, weshalb ich diesen Sport mache. Und | |
ich bin bestimmt nicht das absolute Jahrhunderttalent, aber ich habe den | |
wichtigsten Ironman der Welt gewonnen – wenn alle hinter mir gedopt hätten, | |
wäre das schon extrem erstaunlich. Aber es ist mein größtes Problem, dass | |
ich dies nicht schlussendlich beweisen kann. Aber im Triathlon gibt es | |
keine Parallelwelt wie im Radsport. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Bei uns wird der Ex-Doper nicht später noch Teamchef, Busfahrer, Mechaniker | |
oder Physiotherapeut und mischt weiter munter mit. Bei uns herrscht eher | |
die Atmosphäre, gegenüber denen, die Dreck am Stecken haben, hart zu sein. | |
Wir zeigen ihnen, dass sie nicht mehr willkommen sind. Welche wie Michael | |
Weiss oder Lisa Hütthaler haben es bei uns schwer, wieder Respekt zu | |
bekommen. Auch von mir. | |
21 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Frank Hellmann | |
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