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# taz.de -- Street-Art-Bild übermalt: „Eine Art ’Kill your darlings’“
> Derzeit gehe ein Epoche in Berlin zu Ende, sagt Lutz Henke. Von daher sei
> es nur angemessen, dass Werke wie jene an der Cuvrystraße auch wieder aus
> dem Stadtbild verschwinden.
Bild: Blu-schwarze Fassadenansicht in Kreuzberg.
taz: Herr Henke, Donnerstagnacht vor acht Tagen wurden die beiden
Kunstwerke von Blu an der Cuvrystraße übermalt. Waren Sie an der Aktion
beteiligt?
Lutz Henke: Ja. Die Künstlerinitiative Artitude war bereits an der
Entstehung der Werke beteiligt. Das eine der beiden, eine Kooperation von
JR und Blu, entstand im Jahr 2007 während unserer Ausstellung „Planet
Prozess“. Die zweite Wand kam spontan im November 2008 hinzu. Und es war
eigentlich immer klar, dass die Wände der Vergänglichkeit ausgesetzt sind,
beziehungsweise irgendwann wieder verschwinden würden.
Aber auf die Art und Weise, wie es jetzt geschah, war es nicht geplant?
Das hat sich geändert, wie auch der Kontext, in dem das Werk steht, sich
stetig verändert hat. In den letzten zwei, drei Jahren entstand der
Entschluss, dass wir das irgendwann wieder übermalen wollen.
Ist diese Entscheidung in Diskussion mit dem Künstler beziehungsweise den
beiden Künstlern gefallen, oder war es eine Entscheidung, die von den
Künstlern allein getroffen wurde?
JR hatte bei dem älteren Mural nur die Augen gestaltet – als die irgendwann
rausgefallen waren, hatte er mit der Sache nichts mehr zu tun. Die
Entscheidung hat sich dann im Dialog mit Blu entwickelt. Das Projekt ist
nun erst mal abgeschlossen. Im nächsten Jahr wird es zum Prozess dieser
Kunstwerke ein Buch von uns geben. Von der Entstehung bis hin zur
Übermalung ist das ja eine für das Berlin der letzten Jahre symptomatische
Geschichte.
Ein Sinnbild vor allem für die Veränderungen in Kreuzberg?
Es geht uns damit nicht nur um das Phänomen der Gentrifizierung – wir
wollen bestimmt nicht populistisch schreien „Alles wird schlecht“, ohne uns
mit den Prozessen auseinanderzusetzen. Es ist aber ein Symbol, an dem sich
sehr viel illustrieren und zeigen lässt. Man hat ein Narrativ für die
Entwicklung der Stadt, für misslungene Stadtentwicklung, den Umgang mit
Kunst in dieser Stadt. An den schwarzen Mauern lässt sich eine Berliner
Epoche gut erklären.
Die nun endet?
Man kann auf jeden Fall sagen, dass derzeit eine Epoche in Berlin zu Ende
geht. Von daher ist es nur angemessen, dass die Werke, die dafür stehen,
auch wieder verschwinden.
Haben Sie beim Übermalen des Murals selbst auch gepinselt?
Ja. Es ist schon ein Kindsmord, es fühlt sich schon an wie „Kill your
darlings“. Aber es ist wichtig, dass wir es selbst übermalt haben, weil wir
damit auch Verantwortung übernehmen für das, was wir geschaffen haben.
Zumal, wenn – wie bei uns – ganz viele Leute beteiligt sind, die sich mit
Kunst in der sozialen Sphäre und im öffentlichen Raum auseinandersetzen.
Was war am Ende ausschlaggebend für die Entscheidung? Gemutmaßt wurde, dass
das Kunstwerk in die Architektur des auf der Cuvrybrache entstehenden
Gebäudes eingebunden werden sollte und Blu verhindern wollte, dass sein
Werk auch noch die Wertsteigerung von Immobilien sorgt.
Diese Informationen hatten weder Blu noch wir. Ich würde die Aktion nicht
auf diesen einzelnen Investor oder auf die Räumung der Cuvrybrache beziehen
wollen. Es gibt eine permanente Verwertung der Street Art – von Seiten der
Stadt Berlin, von der Stadtvermarktung und der Kiezverwaltung zum Beispiel.
Im Bereich der Street Art ist eine Industrie entstanden, die einer
Verwertungslogik gehorcht; spätestens, seit es Street Art-Reiseführer gibt
oder Graffiti und Street Art im Stadtmarketing aufgegangen sind. Dass wir
uns nicht falsch verstehen: Diese Kunst ist da, um gesehen zu werden. Die
Kunst aber einerseits zu verwerten, es aber andererseits politisch nicht zu
schaffen, die Voraussetzungen für unabhängige Kunst in der Stadt zu
erhalten und dafür zu sorgen, dass diese Kunst zukünftig Raum hat, ist
widersinnig. Es sind ähnliche Phänomene, wie sie die Koalition Freie Szene
auch erlebt: Wir tragen aktiv zum Mehrwert der Stadt bei, aber es kommt
nichts zurück.
Gab es eigentlich von Ihrer Seite aus einen Dialog mit der Stadt Berlin?
Es gab zum Beispiel mal eine Anfrage zur Schirmherrschaft für das Kunstwerk
an die Stadt und an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit – er hat
auch diese ideelle Unterstützung abgelehnt.
Gab es denn in anderen Metropolen oder Großstädten ein Werk von
vergleichbarer Bedeutung, das ebenfalls übermalt wurde?
Nein, das ist mir nicht bekannt. Zumindest kenne ich nichts, das der
Schöpfer auch selbst übermalt hat.
Während manche seit Jahren proklamieren, die „restlichen Freiräume noch
verteidigen“ zu wollen, ändert sich an der Kulturpolitik und an der
Liegenschaftspolitik nicht viel. Was tun?
Verzweiflung und Kapitulation kann jedenfalls nicht die richtige Antwort
sein. Diese schwarze Wand soll auch kein Statement der Hilflosigkeit sein,
wie es schon gedeutet wurde. Im Gegenteil: Es soll eine Demonstration für
Handlungsfähigkeit sein. Gute Kunst oder gute Street Art zeichnet sich ja
auch dadurch aus, dass sie im Hinblick auf eine Situation funktioniert und
nicht nur illustrativ ist.
War es auch eine Demonstration von Macht? Zu zeigen, wie bedeutsam diese
Werke für die Stadt sind?
„Macht“ ist vielleicht ein bisschen zu stark. Aber es ist natürlich immer
ein aufdringlicher Akt, wenn man auf diese Weise im öffentlichen Raum
agiert.
19 Dec 2014
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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