# taz.de -- 100 Jahre Volksbühne Berlin: „Happy Birthday, altes Haus!“ | |
> Die Volksbühne in Berlin wird 100 und feiert sich selbst. Das | |
> geschichtsträchtige Haus hat in verschiedenen Epochen viel erlebt. | |
Bild: Der diskrete Charme des Totalitären: Arbeit am Volk an der Volksbühne. | |
Alle reden jetzt von Hundert Jahren Volksbühne. Besonders die Volksbühne | |
selber. Dabei präsentiert sie stets auch ein wenig stolz den diskreten | |
Charme des Totalitären, den das Gebäude bis heute verströmt. So als wolle | |
sie sagen: Wirklich, wir leben in lauen Zeiten! | |
Wesentlich verdankt das Haus seinen wuchtigen Pomp dem dunkelroten Marmor, | |
den die Sowjetische Militäradministration nach dem Zweiten Weltkrieg aus | |
Hitlers zerstörter Reichskanzlei abmontieren und in der total ausgebrannten | |
Volksbühne wieder anmontieren ließ. | |
Auch im U-Bahnhof Mohrenstraße wurde dieser Marmor verbaut. Und in der | |
Humboldt-Universität, wo nun die elfte von Karl Marx’ Feuerbachthesen auf | |
Herrn Hitlers rotem Marmor prangt. Sie wissen schon: „Die Philosophen haben | |
die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu | |
verändern.“ Wobei das Interpretieren – wie uns die Erfahrung des 20. | |
Jahrhunderts lehrt – meist weniger blutig verläuft. | |
Es hat damals durchaus eine gewisse Logik gehabt, dass die Kommunisten den | |
kostbaren Baustoff aus der Nazi-Machtzentrale Voßstraße/Ecke Wilhelmstraße | |
nun fürs Volk umwidmen, den nazistischen Bombast zeitgeistgerecht in | |
stalinistischen Bombast verwandeln wollten. | |
## Zielsichere Wiedereröffnung 1954 | |
Die Wiedereröffnung der Volksbühne nach dem Krieg fand dann am 21. April | |
1954 statt: also zielsicher genau am Tag zwischen Hitlers (20. 4.) und | |
Lenins (22. 4.) Geburtstag. Gegeben wurde Friedrich Schillers „Wilhelm | |
Tell“ in der Regie von Intendant Fritz Wisten. Kein ganz unverfängliches | |
Stück im Kalten Krieg übrigens, da der im Drama an zentraler Stelle | |
deklamierte Rütlischwur in der geteilten Stadt sehr dezidiert ein „einig | |
Volk von Brüdern“ beschwor. | |
1954, das wäre also auch ein Jubiläum, das in diesem Jahr zu feiern wäre: | |
sechzig Jahre Wiedereröffnung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Mit | |
seiner Eröffnung hatte Berlin-Ost übrigens eine Art erste Version eines | |
Palastes der Republik erhalten: Die moderne Pracht, die das wiedererbaute | |
Haus mit über 1.000 Plätzen dem Publikum bot, war bis dahin einzigartig in | |
Hauptstadt der DDR. | |
Gigantische Kronleuchter, Kristalllüster in den prächtigen Treppenhäusern | |
und Foyers, Hitlers Marmor an Wänden, Säulen und Böden, kostbare | |
Holzvertäfelungen, üppige Polstermöbel zum Verweilen und ein – inzwischen | |
verschwundener – Mittelrang, in dem es eine durch dunkelrote Vorhänge | |
abtrennbare Ehrenloge von enormem Ausmaß für die Staats- und Parteiführung | |
gab. Dort nahm immer wieder besonders gern der erste und einzige | |
DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck Platz, der ein großer Theaterfreund war. | |
## Aufwendiger Neuaufbau | |
Der Architekt, der den aufwendigen Wiederaufbau geplant und geleitet hat, | |
war Hans Richter, damals schon fast 70 Jahre alt. In den 1920er Jahren | |
hatte er zu den Pionieren und Stars des Neuen Bauens gehört. Der | |
Wiederaufbau der Volksbühne war das letzte Werk dieses Mannes, der am | |
Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem in Dresden bei Cornelius Gurlitt | |
Kunstgeschichte studierte, dem Großvater des gerade verstorbenen | |
umstrittenen Kunstsammlers. | |
Zu Richters Lehrern hat aber auch Paul Wallot, der Architekt des Berliner | |
Reichstags, gehört. Sein Werk wurde fast gänzlich im und vom Krieg | |
zerstört, er selbst 1934 von den Nazis mit Berufsverbot belegt. Auch seine | |
Hoffnung auf eine Wiederbelebung der verfemten und zerstörten Moderne in | |
der DDR begrub er bald. Als er 1971 fast 90-jährig in Dresden starb, war er | |
so gut wie vergessen. Vielleicht ein Grund, einmal auf ihn anzustoßen, wenn | |
am 30. Dezember die Volksbühne zur großen Party zum 100. Geburtstag unter | |
dem Motto „Happy Birthday, altes Haus!“ lädt. Denn es ist sein Geist, der | |
noch immer in vielen Ecken dieses Hauses wohnt, dem er seinen Stempel | |
aufdrückte, der zugleich der Stempel seines Jahrhunderts war. | |
Schade, aber das „Fest für alle, die hin- und reingehen“ am Dienstag ist | |
leider bereits ausverkauft. | |
30 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Esther Slevogt | |
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