# taz.de -- Kongress des Chaos Computer Clubs: Zehntausend Autonome | |
> Über 10.000 Menschen treffen sich auf dem 31C3 – dem größten | |
> Autonomen-Kongress der Republik. Hier ist der Ort um über | |
> Selbstbestimmung zu reden. | |
Bild: Zwei autonome Systeme. | |
HAMBURG taz | Es gibt einen Mann, der heute etwas gebrochen scheint, aber | |
gerade deshalb zu einer Erklärung taugt. Er war Haschrebell, Bombenbauer, | |
ein Verlorener und sicher auch ein Autonomer. Vor einigen Jahren legte sich | |
Bommi Baumann, einst Mitglied der terroristischen Bewegung 2. Juni, eine | |
Krawattensammlung zu und einige grob karierte Hemden. | |
Wenn er und seine Weggefährten von früher redeten, dann tauchte oft diese | |
Anekdote von damals auf, als ein paar Leute eine Bank überfielen und dann | |
Hundertmarkscheine an Passanten verteilten. Das war Robin Hood und | |
Anarchie, ein bisschen Spinnerei, ein Hauch von Revolution, gegen den | |
Staat, das Kapital und sowieso Unterdrückung an sich. | |
Wer aber heute in Deutschland nach den Autonomen sucht, kommt nicht umhin, | |
einen Ort zu erkunden, an dem die endlosen Läufe rotbrauner Teppichbeläge | |
wie die Kaffeeabtropfböden gigantischer Ärztekongresse wirken. | |
Kongresszentrum Hamburg-Dammtor. Es ist der 31. Jahreskongress des Chaos | |
Computer Clubs, kurz 31C3. Über zehntausend Besucher sind aus allen Teilen | |
der Welt gekommen, das ist ein Rekord. | |
Kaum ein politischer Kongress in Deutschland zieht so viele Menschen an. | |
Und einiges spricht dafür, dass diese Leute hier zu den mächtigsten | |
Autonomen der Jetztzeit zählen. Aber kann es wirklich sein, dass diese | |
Computertypen, manche mit ihren Hängebäuchen, Kragenhemden und | |
Knabenfrisuren, als die neuen Autonomen durchgehen sollen? | |
Ja, klar kann das sein. | |
Und nein, natürlich nicht. | |
Die Geschichte der Autonomen beruht vor allem auf einer einfachen Frage. Es | |
ist die Frage nach einem selbstbestimmten Leben. Heute, spätestens seit der | |
verstorbene Publizist Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen | |
Zeitung einen folgenschweren Gesellschaftsdiskurs auslöste, muss diese | |
Frage neu beantwortet werden: Wer als Mensch in einer gänzlich | |
technologisierten Welt bestehen will, muss sagen können, ob und wie die | |
digitale Selbstbestimmung der Menschen jemals wiederherzustellen sein wird. | |
Darum geht es hier in Hamburg, und damit geht es, natürlich, auch um Staat, | |
um Kapital, um Unterdrückung. | |
1984 fand der erste Chaos Communication Congress statt, damals im | |
Eidelstedter Bürgerhaus in Hamburg. Als zuvor, am 12. September 1981, der | |
Chaos Computer Club am Tisch der Kommune 1 in den Redaktionsräumen der taz | |
in Berlin gegründet wurde, spielte ein Mann eine besondere Rolle. | |
Sein Name war Wau Holland, und er war ein treuer Anarchist. Technik als | |
Selbstbestimmungsinstrument – das war die Vision dieses Rudels vom „Club“, | |
der viele Jahre als einer der unzähligen Freak-Vereine der Republik abgetan | |
wurde. Heute hätte Wau Holland, der 2001 starb, sicher seine Freude an | |
einem Spaziergang durch dieses Kongresszentrum. | |
## Kindergeburtstag der Aktivisten | |
Sieben kreisrunde Tische stehen in der Ecke im verdunkelten Erdgeschoss, | |
darauf liegen Lötkolben mit blauen Griffen, Abklemm- und Isolierzangen. Ein | |
paar Leute löten Platinen zusammen, Leuchtdioden, kleine Widerstände. Sie | |
basteln an komischen Kisten, die wirre Geräusche machen, und nennen es | |
„Noise Toys“. Eines davon lässt sich mit den Fingern spielen: „Je nach | |
Druck und Feuchtigkeit der Haut verändert sich der Widerstandswert“, sagt | |
Alwin aus Dresden. Er meint den technischen Widerstand. | |
Ein paar Meter weiter programmiert ein Mann eine Nähmaschine, ein Kind hält | |
einen Staubsauger in gelbe Plastikschläuche, die durch den riesigen Raum | |
verteilt an der Decke hängen. Da vorne sind die Lockpicker, die hobbymäßig | |
Schlösser aufknacken. In Dutzenden „Assemblies“ diskutieren Kleingruppen | |
mal über ihre Ortsgruppe in Baden-Württemberg, mal über Feminismus. | |
Oben im großen Saal gibt es gerade wieder einen Hacker-Vortrag. Jan | |
Krissler sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Ehe sein Vortrag beginnt, | |
sorgen Ordner minutenlang dafür, dass in den Reihen kein einziger Platz | |
mehr frei bleibt. Alle sollen aufstehen und auf die leeren Plätze nach | |
innen rücken. Die frei werdenden Plätze am Rand werden nachbesetzt. Niemand | |
darf auf dem Boden sitzen, sie wissen schon, die Fluchtwege. Am Ende ist | |
kein einziger der rund 2.000 Plätze mehr frei. Wahrlich: kein einziger. | |
Komische Autonome. | |
Es ist, natürlich, eine Verklärung, aus diesem Kongress ein reines | |
Autonomen-Happening zu machen. Allein diese Diskussion auf Twitter beweist | |
es doch: Da regt sich einer darüber auf, auf dem Kongress seien zu viele | |
„Antifa-Ratten“. Wieder andere lassen sich spöttisch über „die | |
Feministinnen“ aus. Natürlich sind hier in Hamburg auch all die anderen: | |
die Sachbearbeiter, die liberalen Profiprogrammierer, auch die | |
intellektuell Untersetzten. Und doch: Wenn es um Selbstbestimmung geht und | |
um Aneignung, dann ist dies der Ort des Jahres. | |
Im großen Saal beginnt Jan Krissler, der sich „starbug“ nennt, seinen | |
Vortrag. 2008 schaffte er es auf die erste Seite der Bild. Damals war es | |
ihm gelungen, Wolfgang Schäubles Fingerabdruck nachzubilden. Dieser hatte | |
bei einem Vortrag ein Wasserglas angefasst, Krissler nutzte das aus. | |
Heute erzählt Krissler noch mehr. Ein Foto von Ursula von der Leyens Händen | |
genügte ihm, um damit den Fingerabdruck der Verteidigungsministerin fast | |
vollständig nachzubilden. Seine Botschaft: Sicherungssysteme, die auf | |
Fingerabdrücken basieren, sind nicht mehr sicher. Die Menge ist begeistert. | |
## Erinnerungen an Metzingen | |
Zwei Etagen unterhalb bilden Dutzende Schiffscontainer die Kulisse dieses | |
Anarcho-Raums. Mit rohen Holzplanken haben Aktivisten Emporen gebaut, die | |
Bassboxen dröhnen, es riecht nach Marihuana, und alles erinnert an die | |
kalten Nächte dort, im Widerstandscamp Metzingen, wo, wenn in der | |
Vergangenheit der Castor mit seinem nuklearen Material durch das Wendland | |
rollte, sich die autonome Szene ihr Stelldichein gab. | |
Linus Neumann ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs. Es ist weit | |
nach Mitternacht, und sein Tag war lang. Am Abend liefen Neumanns | |
Statements in der „Tagesschau“. „Zehntausend Autonome?“, fragt er. „N… | |
die gibt es hier nicht. Es gibt hier aber“, sagt Neumann, „zehntausend | |
autonome Systeme.“ | |
Es ist ein kluges Wortspiel. Autonome Systeme bilden die Grundlage des | |
Internets. Man benötigt ein autonomes System, um es mit anderen zu | |
verknüpfen. Wenn sich viele autonome Systeme verknüpfen, entsteht ein Netz. | |
In der digitalen Welt entsteht so das Internet. In Hamburg entsteht so ein | |
Widerstand. Und wenn der Druck groß ist und die Finger feucht sind, das | |
sagte ja schon Alwin aus Dresden, wächst auch der Widerstand. | |
28 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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