Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Syrischer Regisseur über IS und Flucht: „Ein Syrien für alle“
> Ziad Homsi, Exkämpfer der Freien Syrischen Armee, über seine filmreife
> Flucht mit dem Intellektuellen Yassin al-Haj Saleh und die Fehler der
> Assad-Gegner.
Bild: Raqqa: das Ziel einer 28-tägigen Flucht (Archivbild)
taz: Herr Homsi, Sie haben einen der einflussreichsten syrischen linken
Intellektuellen, Yassin al Haj Saleh, auf seiner Flucht zu Fuß aus Douma
(bei Damaskus) durch die Wüste nach Raqqa begleitet, die Hauptstadt des
„Islamischen Staates“ (IS). 28 Tage waren sie gemeinsam auf dieser
lebensgefährlichen Reise unterwegs. Wie kam es dazu?
Ziad Homsi: Relativ spontan. Eigentlich war mir erst eine halbe Stunde vor
Abreise klar, dass ich wirklich mitgehen würde. Ich bin mit seiner Frau,
Samira al-Khalil, befreundet – sie hatte mich darum gebeten.
Sie haben dafür Ihre Kameraden und Familie zurückgelassen. Heißt Krieg
auch, dass jede Entscheidung für einen Menschen bedeutet, einen anderen im
Stich zu lassen?
Im Krieg muss man immer wieder dafür sorgen, Distanz zwischen sich und den
Geschehnissen zu schaffen. Für mich ging es auch weniger um eine
Entscheidung für oder gegen einen Menschen, als um die Entscheidung für
eine bestimmte Sache. Ich wollte buchstäblich diesen langen Weg
dokumentieren: von der Arbeit an der Revolution bis hin zur Flucht. Yassin
Saleh lebt heute ja in Istanbul.
Zu Beginn Ihres Dokumentarfilms „Our terrible Country“ begegnet man Ihnen
als Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA), der auf einen feindlichen
Scharfschützen schießt. Warum haben Sie sich für den bewaffneten Kampf
entschieden?
Knapp einen Monat nach Ausbruch der Revolution, im April 2011, wurde ich
bei mir zu Hause von der syrischen Armee festgenommen. Damals war ich noch
kein Kämpfer, sondern nur Student. Sie haben mich massiv gefoltert. Nach
all den Schmerzen und dem psychischen Druck war für mich klar, dass es hier
um Sein oder Nichtsein geht, und ich schloss mich der FSA an. Neben den
desertierten Soldaten gab es dort viele Kämpfertruppen, die sich aus
ehemaligen Zivilisten zusammensetzten.
Wie kamen Sie wieder heraus aus dem Gefängnis?
Im Zuge einer Amnestie. Ich wurde nach zwei Monaten entlassen. Das war
Kalkül. Sie wollten, dass wir unseren Mitstreitern erzählen, was ihnen
blüht, wenn sie weiter demonstrieren und verhaftet werden. Gleichzeitig
setzte das Regime darauf, dass sich die friedlichen Proteste militarisieren
würden. Denn nur militärisch können sie uns besiegen. Ihre Rechnung ist
aufgegangen.
Hätten die Proteste angesichts der Gewalt des Regimes denn friedlich
bleiben können?
Darauf habe ich keine klare Antwort. Für mich ist jetzt aber auch das
Wichtigste, Fragen zu stellen. Ein Problem der Revolution war, dass wir
immer nur Antworten hatten. Assad wirft Bomben, und wir schießen zurück.
Immer der gleiche Mechanismus.
Was wäre denn die Alternative gewesen?
Wir haben uns viel zu spät von den undemokratischen bewaffneten Gruppen
abgegrenzt. Stur haben wir am Dogma Pluralismus festgehalten: Wir dachten,
wir müssen all diese Widersprüche aushalten, denn wir haben ja einen
gemeinsamen Feind. Und so hatten wir am Ende 1.000 Feinde. Wir waren viel
zu naiv und haben zu vielen Gruppen zu viele gute Absichten unterstellt.
Haben die USA also recht damit, die FSA nicht weiter bewaffnen zu wollen?
Nach wie vor ist es möglich, die FSA durch Anreize dazu zu bewegen, sich zu
vereinheitlichen und unter ein zentrales Kommando stellen zu lassen. Es
gibt dort noch immer viele, die der Ursprungsidee verpflichtet sind,
nämlich die Bevölkerung zu schützen. Sie muss man militärisch, aber auch
zivil unterstützen. Die FSA ist nicht pauschal gut oder schlecht, sie ist
heterogen. Die zentrale Frage, die sich die USA und andere stellen sollten,
ist doch: Was kann man tun, damit es in Syrien wieder vorangeht? Mit Assad
zu koalieren, wird keine Lösung bringen.
Ihrer Dokumentation ist das Motto vorangestellt: „Wie macht man einen Film
über Gewalt, ohne diese direkt zu zeigen?“ Warum?
Zeigt man unmittelbar, wie ein Mensch gefoltert oder erschossen wird, dann
respektiert man seine Würde und seinen Willen ein zweites Mal nicht. Man
wiederholt stattdessen seine Erniedrigung. Und auch die Zuschauer dürften
die Gewalt nur in den wenigsten Fällen aushalten und sich daher abwenden.
Aber wir wollen, dass sie hinsehen. Wir wollen zeigen, was Gewalt mit
Menschen macht, wie sie darauf reagieren, wie sie sich verändern und wie
sie dann mit ihrer Veränderung umgehen.
Das Gegenargument ist, dass das westliche Publikum sich bereits bei der
kleinsten Kleinigkeit – gemessen an der Realität – überfordert abwendet. …
so wichtiger sei es, es mit der Wirklichkeit zu konfrontieren.
Die Bilder, die 1:1 den Schrecken abbilden, der in Syrien Alltag ist,
existieren ja im Netz. Jeder kann sie sich ansehen. Doch das stumpft vor
allem ab. So viele Syrer empfinden bei den Bildern von toten, zerschossenen
oder gefolterten Menschen nichts mehr. Sie erzeugen bei ihnen keine Gefühle
mehr. Ich aber möchte mit meinen Fotos und auch Filmen Emotionen wecken.
Was bewegt Sie am meisten?
Vor allem 2 Fragen: Was haben wir falsch gemacht? Und: Wie geht es weiter
mit uns und mit Syrien? Der Terror durch Assad und IS wird schlimmer und
schlimmer. Das Land ist zerstört. Wir können erst mal nicht zurück. Wie
können wir trotzdem weiter an der Revolution arbeiten?
Wie halten Sie diese bittere Bilanz aus?
Mit Hoffnung.
Hoffnung?
Ich kann nur weiterleben, weil ich immer noch hoffe, dass sich dieses Land
eines Tages doch noch von einem Syrien für die Assad-Familie in ein Syrien
für alle verwandeln kann.
Am Ende des Films erklärt Yassin Saleh: „Kein anderes Land, wird je
freundlicher zu uns sein als dieses schreckliche Land.“ Ihr Vater sitzt
seit 13 Jahren im Gefängnis, ihr Bruder wurde während der Reise verhaftet:
Können Sie diesen Satz unterschreiben?
Ja. Denn trotz allem habe ich viele wunderschöne Erinnerungen an meine
Wohnung, an meine Straße, an mein Viertel, in dem ich aufgewachsen bin.
Assad und Bagdadhi (der IS-Führer, d. Red.) verwandeln Syrien in ein
schreckliches Land, trotzdem wird kein anderes je so zärtlich zu mir sein,
wie meine Heimat. Es ist sentimental, doch das Gefühl für mein Land hält
mich am Leben.
4 Jan 2015
## AUTOREN
Ines Kappert
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Syrischer Bürgerkrieg
Thomas de Maizière
Schwerpunkt Syrien
Polizei
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Iran
Flüchtlinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Der rote Faden: Kirchen sind auch zu muslimisch
Der Innenminister wirft den Kirchen eine Scharia-Mentalität vor und beweist
damit Originalität. Das Kirchenasyl gehöre dringend abgeschafft.
Literatur aus Syrien: Dann ist er vielleicht ein Agent
Dima Wannous’ „Dunkle Wolken über Damaskus“ und der von Larissa Bender
zusammengestellte Band „Innenansichten aus Syrien“.
Islamischer Staat in Syrien: Der kopflose Henker
Ein Mitglied der Dschihadisten wurde enthauptet aufgefunden. Der Ägypter
hatte für den IS selbst Enthauptungen vorgenommen.
Gewalt in Syrien: Schwer umkämpfte Städte
Beim Kampf gegen den IS sthehen nun Luftangriffe auf die Stadt Rakka im
Vordergrund. Währenddessen sterben bei Angriffen in Aleppo 19 Menschen.
Bürgerkrieg in Syrien 2014: Mehr als 76.000 Tote
Rund 76.000 Menschen starben 2014 im syrischen Bürgerkrieg, auch viele
Kämpfer des Regimes. Machthaber Assad besuchte am Jahresende seine Truppen.
Machtverschiebung im Nahen Osten: Nicht ohne Teheran und Riad
Früher gaben die USA in der Region den Ton an. Seit 2011 und dem Erstarken
des IS haben der Iran und Saudi-Arabien an Einfluss gewonnen.
UN-Flüchtlingskommissar zu Syrien: „Keine schnellen Lösungen“
Libanon und Jordanien sind mit der Flucht vor dem Assad-Regime überfordert.
António Guterres über die Hilfe der UN, die Aufnahmebereitschaft
Deutschlands und „Triton“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.