| # taz.de -- Zwei Filme, ein Thema: Kernenergie: Ziemlich beste Fernsehfreunde | |
| > Mit zwei deutsch-französischen TV-Spielfilmen will Arte die | |
| > grenzüberschreitende Zusammenarbeit forcieren. Thema ist die Atomenergie. | |
| Bild: Die Franzosen haben mit „Das gespaltene Dorf“ eine Komödie gedreht. … | |
| Reto Matthäi, Chef einer Schweizer PR-Agentur, formuliert es so: „Wir | |
| müssen kreativ sein. Auch wenn Ihnen das ihrer Natur gemäß schwerfällt.“ | |
| Man kann sich vorstellen, dass dieser Satz schon in unzähligen Meetings, | |
| Sitzungen und Workshops für Programmplaner, Senderverantwortliche und | |
| TV-Redakteure gefallen sein muss. Es ist so eine Sache mit der Kreativität | |
| und der Verwaltung – die eine mag die andere nicht sonderlich, aber beide | |
| wissen, dass sie im System ohneeinander nicht weiterkommen. | |
| Dabei ändert es überhaupt nichts an der Treffsicherheit des Bonmot, dass es | |
| nicht im Kreis von Fernsehverantwortlichen fällt, sondern an die Direktion | |
| eines maroden Atomkraftwerks gerichtet ist, das jahrelang nukleare | |
| Zwischenfälle vor der Öffentlichkeit vertuscht hat. Es ist auch vollkommen | |
| unerheblich, dass Reto Matthäi keine reale Person ist, sondern eine | |
| Nebenfigur im Fernsehfilm „Tag der Wahrheit“. | |
| Öffentlich-rechtliche Fernsehsender leben die von ihnen geforderte | |
| Kreativität für fiktionale Produktionen häufig durch Themensetzung aus, | |
| also durch die Festsetzung einer vermeintlich gesellschaftlich relevanten | |
| Thematik, für die dann Produzenten und Drehbuchautoren – quasi „drumherum�… | |
| – einen entsprechenden Filmstoff entwickeln müssen. Die Kunst des dichten | |
| Erzählens, der Charakterzeichnungen und der Dialoge wird gern | |
| vernachlässigt, solange die Botschaft bildungsgerecht transportiert wird. | |
| Der deutsch-französische Kultursender Arte hat mit der Initiative „Tandem – | |
| Zwei Filme, ein Thema“ genau diese Vorgehensweise aufgegriffen. Was | |
| zunächst wenig kreativ klingt, wird durch den binationalen Charakter des | |
| Projekts interessant. Beide Länder produzieren jeweils einen Spielfilm zum | |
| selben Thema und werfen dafür nicht nur ihre Budgets zusammen, sondern auch | |
| Teile des Stabs und der Besetzung. Reizvoll ist die Idee auch deshalb, weil | |
| das erste gewählte Thema, „Atomenergie“, die unterschiedlichen Haltungen | |
| Deutschlands und Frankreichs zur Stromgewinnung durch Kernkraftwerke | |
| verdeutlicht. | |
| ## Heitere Provinzposse | |
| Die Franzosen haben mit „Das gespaltene Dorf“ eine Komödie gedreht, in der | |
| Ingenieur Antoine (Laurent Stocker) die Bewohner eines französischen | |
| Provinzdorfs von der Idee überzeugen muss, unter ihrem Ort ein atomares | |
| Endlager zu errichten. Doch die deutschstämmige Bürgermeisterin (Katja | |
| Riemann) versteht bei diesem Thema keinen Spaß. Regisseur Gabriel Le Bomin | |
| hat eine unterhaltsame Geschichte mit einigen skurrilen Einfällen und einem | |
| etwas plumpen Ende inszeniert. | |
| Es mag erst einmal gewagt klingen, dieses heikle Thema als heitere | |
| Provinzposse umzusetzen, doch da französische Komödien wie „Ziemlich beste | |
| Freunde“ oder „Willkommen bei den Sch’tis“ auch in Deutschland zu | |
| erfolgreichen Kinorennern wurden, war das Risiko der Produzenten sicher | |
| kalkulierbar. | |
| Demnach passt es ganz gut, dass das deutsche Pendant eine Art Kriminaldrama | |
| mit Thriller-Anleihen geworden ist. Darin versucht eine deutsche | |
| Staatsanwältin (Vicky Krieps) ein grenznahes französisches Atomkraftwerk | |
| vor einer Kernschmelze zu bewahren, die ein ehemaliger Mitarbeiter (Florian | |
| Lukas) aus Rache für den Leukämietod seiner Tochter herbeiführen will. „Er | |
| sagt: Für sie alle da draußen kommt der Strom einfach nur aus der | |
| Steckdose“, erklärt Regisseurin Anna Justice bei der Premiere in Berlin. | |
| „Unser Film wirft Fragen auf, und ich hoffe, dass er zum Nachdenken über | |
| die Situation anregt.“ | |
| ## Deutsch-französische Kopfgeburt | |
| Gelungen ist die Darstellung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die | |
| sich in der Sprachdualität der Protagonisten widerspiegelt und an die | |
| schwedisch-dänische Serie „Die Brücke“ erinnert. Leider ist die Story | |
| ziemlich holzschnittartig und als Thriller außerdem viel zu bieder | |
| inszeniert. Damit steht „Tag der Wahrheit“ in der Tradition zahlreicher | |
| inhaltlich bedeutungsvoll aufgeladener, letztendlich aber trister deutscher | |
| Fernsehfilme. | |
| Es bleibt die gute und wichtige Idee der Koproduktion beider Länder, die es | |
| überraschenderweise – bis auf einen Alleingang Volker Schlöndorffs für | |
| seinen Film „Das Meer am Morgen“ – in der 25-jährigen Geschichte des | |
| deutsch-französischen Senders noch nicht gegeben hat. Insofern haben Arte | |
| und der beteiligte SWR mit ihrem „Tandem“-Projekt wichtige Vorarbeit | |
| geleistet, weil sie eine zeitgemäße europäische Zusammenarbeit im | |
| fiktionalen deutschen Fernsehen darstellt. Die Nachteile einer solchen | |
| Vorgehensweise kennt auch Professor Dr. Andreas Schreitmüller, Leiter der | |
| Hauptabteilung Spiel- und Fernsehfilm für Arte, der in Berlin betont: „Das | |
| Konzept sollte keine Kopfgeburt bleiben.“ Man will ergänzen: auch wenn uns | |
| das unserer Natur gemäß schwerfällt. | |
| 8 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Mayer | |
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