# taz.de -- Zukunft des Flughafens Tegel: Wie Berlin seine Zukunft verplant | |
> Der Senat will ein Industriegebiet in der Stadt bauen – dabei könnte man | |
> hier alle Probleme mit steigenden Mieten auf einen Schlag lösen. | |
Bild: Rund um das Terminal des Flughafens Tegel sollen sich Fabriken ansiedeln.… | |
Die Planungen des Senats für das Gelände des jetzigen Flughafens Tegel sind | |
unverantwortlich und müssen sofort gestoppt werden. Nach der Eröffnung des | |
BER und der Schließung des Flughafens Tegel wird hier eine riesige Fläche | |
frei, ein ungeschliffener Juwel für die weitere Entwicklung der Stadt. Und | |
was will der Senat daraus machen: Ein Industriegebiet. Es ist nicht zu | |
fassen! | |
Für Dienstagabend um 17 Uhr hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
die Öffentlichkeit in eine Industriehalle am Humboldthain geladen. Auf | |
dieser „Standortkonferenz zur Nachnutzung des Flughafens Tegel“ wollte sie | |
ihre Planungen vorstellen und – so hieß es in der Einladung – „die | |
Berlinerinnen und Berliner an der Diskussion beteiligen“, schließlich sei | |
man „offen für Ideen und den stadtweiten Dialog“. | |
Rund 200 Menschen kamen – und mussten lange warten, bis sie zu Wort kommen | |
durften. Denn die ersten drei Stunden und zehn Minuten hieß es: Warten, | |
Reden anhören, Imagevideos schauen, die Diskussionen der geladenen Gäste | |
anhören. | |
Viel verheerender als der Ablauf der Veranstaltung waren aber ihre Inhalte, | |
also die Planungen für das Gelände, die sich erstaunlich weit entfernt | |
haben von den ersten Überlegungen im Jahr 2004. Damals erstellte die | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das „[1][Planwerk Westraum Berlin]“ | |
(PDF). Darin wurde sehr zutreffend analysiert, das Flughafengelände sei von | |
„zentraler Lage im Stadtgebiet“ und habe eine „gesamtstädtische Bedeutun… | |
## 2004 war noch viel Wohnen geplant | |
Damals war die Planung für die Fläche noch stringent und nachvollziehbar: | |
Die Stadt solle von Osten her auf das Flugfeld wachsen, bis fast zum | |
Terminalgebäude: „Es können Wohn- und Erholungsgebiete außerordentlicher | |
Qualität entstehen, ein attraktiver wald- und wassergeprägter Siedlungsraum | |
mit vielfältigen Angeboten für das vorstädtische Wohnen. Der | |
Kurt-Schumacher-Platz würde als Zentrum des neuen Stadtraums | |
Erweiterungsmöglichkeiten erhalten. Das Terminalgebäude könnte | |
Anziehungspunkt im Norden Berlins werden“. Für das Terminal seien so etwa | |
Firmenzentralen, Entertainmentcenter oder ein Themenpark denkbar. | |
Allerdings wird in den Unterlagen mehrfach betont, es sei noch eine | |
Marktanalyse notwendig, ob die Flächen für den Zweck überhaupt gebraucht | |
werden. | |
Im Jahr 2008 organisierte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine | |
erste "Standortkonferenz". Michael Braum von der Bundesstiftung Baukultur | |
[2][sagte] (PDF): „Es gibt niemanden hier im Raum, der in der Tat behaupten | |
würde, dass Berlin auch nur mittelfristig eine weitere Umbaufläche – und | |
mit 450 Hektar ist Tegel wohl die größte der aktuell diskutierten Flächen – | |
wirklich benötigt“. Was soll also geschehen mit der Fläche, die keiner | |
braucht? | |
## Keine angespannte Wohnungslage | |
Zu diesem Zweck machte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine | |
„[3][Grundlagenermittlung]“ (PDF), die sie 2009 veröffentlichte. Dort | |
werden einzelne Optionen geprüft. Gegen Wohnungen spricht, dass der | |
Wohnungsmarkt von „einer starken Angebotsausweitung Mitte der Neunziger | |
Jahre geprägt“ sei, als viele neue Häuser gebaut wurden. Inzwischen würden | |
zwar Indikatoren auf steigende Anspannungen in Teilen des Wohnungsmarktes | |
hinweisen, doch es gebe auch eine „relativ hohe Leerstandsrate“. Unter dem | |
Strich jedenfalls „ist Berlin noch weit entfernt von einer insgesamt | |
angespannten Marktlage“. Zumal ja auch auf anderen Flächen noch Wohnungsbau | |
möglich sei, etwa bei der „Flughafennachnutzung Tempelhof“. | |
Diese „Grundlagenermittlung“ war seinerzeit auch korrekt. Im Jahr 2009 | |
stieg die Bevölkerung gerade mal um 11.000 Menschen. Fünf Jahre zuvor war | |
sie sogar noch geschrumpft (siehe [4][Bevölkerungsentwicklung]). Es war | |
nicht abzusehen, dass sich dies sehr schnell sehr grundlegend ändern würde. | |
## Industrie schrumpft bisher | |
Also prüfte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung damals auch noch | |
weitere Optionen für die Fläche, die niemand brauchte: Man könnte dort | |
einen Wald pflanzen, Solarzellen hinstellen, das Gebiet könnte für | |
Großveranstaltungen geeignet sein, als Behördenstandort oder | |
Industriegebiet. Gegen letzteres sprach allerdings: „Für eine Entwicklung | |
als Industriepark steht der Standort in Konkurrenz zu Flächen in | |
Pankow-Nord, wo bereits ein Gewerbegebiet mit ca. 70 Hektar vorhanden ist“. | |
Zumal die Industrie zuletzt nicht boomte, im Gegenteil: „Es wurden | |
zahlreiche Industrieflächen aufgegeben beziehungsweise Standorte | |
verkleinert“. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, und so entstand in der | |
Folgezeit doch noch die Idee, hier ein Industriegebiet für | |
Zukunftstechnologien zu bauen, die „[5][Urban Tech Republic]“. Größere | |
Firmen, die auf das Gelände ziehen wollen, kann bis heute allerdings | |
niemand nennen. | |
Doch dann kam etwas dazwischen: Der Flughafen BER wurde nicht fertig. Tegel | |
wird also noch ein paar Jahre als Flughafen gebraucht. | |
## Ein paar ganz einfache Fragen | |
Ein echter Glücksfall für die Stadt. Denn es eröffnet die Chance, ein paar | |
ganz einfache Fragen zu stellen: Ist die „Grundlagenermittlung“ von 2009 | |
eigentlich heute noch aktuell? Hat sich in dieser Stadt inzwischen etwas | |
verändert? Stagniert die Bevölkerungszahl immer noch, oder steigt sie | |
[6][inzwischen jährlich um 50.000 Menschen]? Hat man in den letzten Jahren | |
in der Stadt häufiger mal gehört, dass nun doch Flächen dringend benötigt | |
würden? Zum Wohnen vielleicht??? | |
Diese Fragen werden aber nicht gestellt, sondern man nimmt einfach das alte | |
Konzept wieder aus der Schublade und plant ein neues Industriegebiet mitten | |
in Berlin. Ein Industriegebiet ohne Schienenanbindung übrigens, so dass | |
alle Güter mit dem Lkw transportiert werden müssen. | |
## Dieser Quatsch muss gestoppt werden! | |
Das kann man natürlich machen. Vielleicht geht das Konzept sogar auf. Wenn | |
das Land eine gute Infrastruktur bereitstellt und genug | |
Wirtschaftsförderung zahlt, finden sich bestimmt Firmen, die sich hier | |
ansiedeln - dann bleiben eben die Flächen in anderen Industriegebieten | |
leer. Es bedeutet dann aber, jede künftige Stadtentwicklung in diese | |
Himmelsrichtung zu verbauen. Dabei könnte man hier das Problem mit knappem | |
Wohnraum und steigenden Mieten lösen. Und zwar auf einen Schlag und für die | |
nächsten Jahrzehnte. | |
Das Gebiet ist geradezu zum Wohnen prädestiniert, denn es ist bereits an | |
die U6 angeschlossen und liegt unglaublich zentrumsnah: Vom Brandenburger | |
Tor ist [7][das Terminal genauso weit entfernt wie] der S-Bahnhof Neukölln, | |
das Ostkreuz, der Theodor-Heuss-Platz oder das Rathaus Steglitz. An allen | |
diesen Stellen weitet sich die Stadt noch weit aus. Nur in Richtung Tegel | |
soll sie so schnell schon zu Ende sein? Zumal die Stadt auch in Zukunft | |
nicht an das Industriegebiet heranwachsen kann: Wegen des Lärms der Tag und | |
Nacht arbeitenden Maschinen müssen die Häuser auf Abstand bleiben zu den | |
Fabriken. Die Stadt wird sich also andere Stellen suchen müssen, an denen | |
sie weiter wachsen kann. Stellen, die weiter draußen liegen, nicht an die | |
U-Bahn angeschlossen sind und von denen die Menschen dann zur Arbeit im | |
Industriegebiet in der Innenstadt pendeln. Und das alles, weil man auch im | |
Jahr 2015 noch eine erkennbar veraltete Grundlagenermittlung von 2009 | |
zugrunde legt, anstatt sie zu aktualisieren und die Konsequenzen zu ziehen. | |
Dieser Quatsch muss gestoppt werden, um alles neu zu sortieren: Industrie | |
gehört nach draußen, Wohnen gehört nach drinnen und die Senatsverwaltung | |
für Stadtentwicklung gehört auf den Mond geschossen. Da ist genug Platz für | |
so einen Irrsinn. | |
22 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/planwerke/de/planwerk_westraum… | |
[2] http://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/projekte/tegel/de/download… | |
[3] http://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/projekte/tegel/de/download… | |
[4] http://docs.google.com/spreadsheets/d/193vk3FMabO_9yFbRjBg_TYp-sMjmcmRMX1sA… | |
[5] http://www.berlintxl.de/ | |
[6] http://docs.google.com/spreadsheets/d/193vk3FMabO_9yFbRjBg_TYp-sMjmcmRMX1sA… | |
[7] http://www.freemaptools.com/radius-around-point.htm?clat=52.516155574966554… | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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