# taz.de -- Debatte Pegida: Fehler der Konservativen | |
> Pegida antwortet mit einer Lüge auf Verlogenheit. Denn kein Islamist und | |
> kein Flüchtling hat die Sozialsysteme geschrumpft. | |
Bild: Legida-Demonstranten in Leipzig mit Gegendemonstrant | |
Die Pegida-Demonstrationen in Dresden sind ein Indiz für die innere | |
Kündigung gegenüber dem politischen System. Und sie sind Ausdruck eines | |
Kulturkampfes von rechts. | |
Dem Gedanken der Gleichheit aller – unabhängig von Herkunft, sexueller | |
Orientierung und Geschlecht – wird durch Pegida, AfD und Co. der Kampf | |
angesagt. | |
Pegida bemüht den Gestus des Empörten: „Das wird man ja wohl noch sagen | |
dürfen.“ Als ob Mut dazu gehören würde, rassistische Vorurteile zu | |
bedienen! Als ob die Abschottung Europas nicht längst Politik einer ganz | |
großen Koalition in Europa wäre! Wer sich nun, wie Angela Merkel und | |
Stanislav Tillich, hinstellt und von Weltoffenheit redet, während | |
gleichzeitig eine Mauer um Europa gebaut wird, dem ist Heuchelei | |
vorzuwerfen. | |
## Kein Angriff auf die Mächtigen | |
Der Hass jedoch, den Pegida verbreitet, trifft nicht die Mächtigen, sondern | |
Flüchtlinge, die sich montags kaum noch auf die Straße getrauen. Und | |
perspektivisch auch alle, die nicht ins nordische Raster passen. | |
Der Mob fragt nicht nach Kreditkarten, wenn er wüten will. Wer nach unten | |
tritt, wie Pegida, ist nicht mutig, sondern feige. Mutig wäre es, eine | |
Politik anzugreifen, die mit Waffenexporten, Stellvertreterkriegen und der | |
weltweiten Ausbeutung von Menschen und Ressourcen jenes Elend produziert, | |
das die Menschen zu Flüchtlingen macht. | |
Auf die Verlogenheit der Regierung, Deutschland ginge es gut, ist zu | |
antworten, dass dies eben nicht für alle zutrifft. Den Eindruck zu | |
erwecken, schuld daran seien die Flüchtlinge, ist wiederum eine Lüge. | |
Mit dem Zulauf zu Pegida hat sich auch das Publikum verändert. Hatte man es | |
zu Beginn überwiegend mit rechtsoffenen Teilen des Dresdner Sportfanmilieus | |
zu tun, erwiesen sich die Berichte über die Grausamkeiten des IS als | |
Volltreffer für die Rekrutierung verunsicherter Menschen ganz verschiedenen | |
Schlages. Und die brachten ihre restlichen – und oftmals völlig | |
berechtigten – Sorgen über den Zustand der Gesellschaft gleich mit. | |
Bachmann & Co. – wer genau das alles wirklich ist, wird wohl die Zukunft | |
noch zeigen – reagierten clever: Sie bauten die gesellschaftskritischen | |
Ansätze flugs in ihr Portfolio ein. | |
Und so taucht bei den Debatten um Pegida auch die Frage auf: Gibt es nicht | |
berechtigte Sorgen, die die Politik aufgreifen sollte? Nun, es gibt | |
berechtigte Sorgen. Die soziale Spaltung nimmt zu. Immer mehr sind von | |
Altersarmut bedroht. Existenzangst greift um sich. Und wo Existenzangst | |
zunimmt, verschärft sich das gesellschaftliche Klima. Es wird nach unten | |
getreten, nicht nach oben. | |
## Schrumpfung der Renten | |
An der Demontage der Rentenversicherung durch Förderung der Riesterrente, | |
die einher ging mit einer neuen Rentenformel, waren viele beteiligt. Zum | |
Beispiel die damalige rot-grüne Regierung und viele | |
Versicherungslobbyisten. Ganz bestimmt nicht daran beteiligt waren | |
Flüchtlinge. Das Gleiche gilt für die Zwangsfrühverrentung und das | |
Hartz-IV-Sanktionssystem. Auch diese wurden nicht von islamischen Predigern | |
oder Bürgerkriegsflüchtlingen eingeführt. | |
Und hier ist die herrschende Politik in einem Dilemma. Außer der | |
Linkspartei war jede Partei in Deutschland an den neoliberalen | |
Dreistigkeiten beteiligt. Dass die sächsische CDU nunmehr versucht, | |
Verständnis für Pegida aufzubringen, ohne sich selbst und die Politik, die | |
man 25 Jahre lang gemacht hat, infrage zu stellen, ist besonders dreist. | |
Insofern ist der glücklose Direktor der sächsischen Landeszentrale für | |
politische Bildung, Frank Richter, vor allem zu bemitleiden. Was die CDU | |
jahrelang versäumt hatte – sich mit Kritik auseinanderzusetzen, statt sie | |
abzubügeln –, sollte er nun richten. Und machte prompt genau das Falsche, | |
indem er mit Lutz Bachmann und Kathrin Oertel eben jenen ein Podium gab, | |
die die Ängste der Menschen nutzen, um den Kulturkampf der AfD von rechts | |
zu führen. | |
Auf die Frage zum Dialog mit Pegida gibt es für mich nur eine Antwort: Wer | |
beraten möchte, was gegen die zunehmende Altersarmut getan werden kann, ist | |
willkommen zu einem Gespräch. Wer beraten möchte, was getan werden kann, um | |
zu verdeutlichen, dass es Frieden in Europa nur mit aber nicht gegen | |
Russland geben wird, ist willkommen. | |
## „Viehzeuch“ und „Gelumpe“ | |
Wer jedoch, wie die Organisatoren von Pegida, gegen Flüchtlinge hetzt, mit | |
dem kann es keinen Dialog geben. Wer meint, mit den Pegida-Organisatoren | |
sei ein Gespräch möglich, dem sei ein Blick auf die menschenverachtenden | |
Facebook-Einträge vom Pegida-Gründer Lutz Bachmann empfohlen. Darin werden | |
Migrant_innen als „Viehzeuch“ und „Gelumpe“ bezeichnet. Diesem | |
Pegida-Gründer mangelt es an jeglichem Respekt vor Menschen. Die | |
Verharmlosung der Pegida-Organisatoren, indem man sie zu normalen | |
Dialogpartnern macht, hilft nicht weiter. Im Gegenteil. | |
Hilfreich und notwendig ist hingegen, sich folgenden drei Aufgaben zu | |
stellen: Erstens brauchen wir gelebte Willkommenskultur für Flüchtlinge. | |
Sei es, indem Kleingartenanlagen freie Sparten dem nächstliegenden | |
Flüchtlingsheim anbieten, sei es beim Begleiten von Flüchtlingen bei | |
Ämtergängen, sei es durch das Angebot von Sprachkursen. Jeder Mensch, der | |
nach solchen Begegnungen in seinem Umfeld davon berichtet, leistet wichtige | |
Maulwurfsarbeit gegen Rassismus. Denn: So werden die vermeintlich Fremden | |
plötzlich zu Menschen mit Gesichtern und Geschichten. | |
Zweitens heißt es, dem Rassismus und der Demokratieverachtung durch | |
Aufklärungsarbeit und breite Bündnisse entgegenzutreten. Drittens muss | |
endlich eine Entwicklung eingeleitet werden, die zu einer Gesellschaft | |
führt, die frei von Existenzängsten ist. Auch die schlimmste Armut ist | |
keine Entschuldigung für Rassismus. | |
Fakt ist jedoch, die zunehmende soziale Unsicherheit befördert | |
Abstiegsängste und führt zu einer Verrohung des gesellschaftlichen Klimas. | |
Auch um dem entgegenzuwirken, heißt das Gebot der Stunde: Ausbau von | |
sozialen Rechten und universeller Schutz vor Armut. Das mindert auch | |
Abstiegsängste und gräbt Rassisten das Wasser ab. | |
25 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Katja Kipping | |
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