# taz.de -- Wohnprojekt für männliche Gewaltopfer: Ort der Zuflucht | |
> Die wenigsten wollen Schwäche zeigen: Sind Männer die Opfer von | |
> häuslicher Gewalt, ist das fast immer ein Tabuthema. Ein Oldenburger | |
> Wohnprojekt nimmt Väter und andere Männer in prekären Lebenssituationen | |
> auf. | |
Bild: 60 Quadratmeter für einen Vater mit Kind oder zwei Kinderlose: In Oldenb… | |
OLDENBURG taz | Keine Namen von Bewohnern stehen an den Klingeln, lediglich | |
„Männersache“ heißt es an der Eingangstür des Mehrfamilienhauses. Inmitt… | |
eines unauffälligen Blocks im Oldenburger Stadtteil Dietrichsfeld befindet | |
sich ein einzigartiges Wohnprojekt: ein Zufluchtsort bei häuslicher Gewalt | |
– für Männer, die ihr Opfer geworden sind oder sich zumindest in einer | |
prekären Lebenssituation befinden. Das Männer-Haus ist dabei eher eine | |
Wohngemeinschaft: eine Drei-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock, rund 60 | |
Quadratmeter, die einen Vater mit seinem Kind oder zwei Männer beherbergen | |
kann. | |
Zurzeit bewohnen Michi und Bernhard die Wohnung. „Ich habe zwar keinen | |
Putzfimmel, aber ich bin ein ordentlicher Mensch“, sagt Michi. „Ich wohne | |
jetzt seit sechs Wochen hier und fühle mich richtig wohl.“ Und in der Tat: | |
Die Wohnung ist aufgeräumt und sehr sauber. Im Herbst vergangenen Jahres | |
kam der Vater eines Sohnes zurück nach Oldenburg, nach zwei Jahren in | |
Spanien. Dorthin hatte er sich 2012 geflüchtet – vor den verbalen Attacken | |
seiner psychisch erkrankten Lebensgefährtin. | |
## „Fühlte mich als Gewinner“ | |
„Damals wollte ich einfach nur weg, weil der Druck auf mich unerträglich | |
wurde“, erzählt Michi. „Dieses Gefühl zu wissen, in jedem Moment vor die | |
Tür gesetzt zu werden, bereitete mir Magenschmerzen.“ Zurück nach | |
Deutschland brachte ihn die Sehnsucht nach seinem Sohn. Und es schien, als | |
hätte sich die Sache mit seiner damaligen Lebensgefährtin entspannt, als | |
wolle sie ihn wieder bei sich aufnehmen. Nach drei Tagen habe sie ihn | |
erneut aus der Wohnung geschmissen, sagt Michi. | |
Durch einen Zufall wurde er dann auf das Angebot der Männer-Wohn-Hilfe | |
aufmerksam. Er habe angerufen und einen Termin zum Kennenlernen vereinbart | |
– und ein paar Tage später kam die Zusage. „Ich fühle mich dadurch nicht | |
als Schwächling, sondern mehr als Gewinner, weil ich der Konfrontation aus | |
dem Weg gegangen bin.“ Aber Michi weiß auch, wie schwer es für viele Männer | |
ist, Schwächen zu zeigen. | |
Walter Dinninghoff ist einer der Mitgründer des „Männer-Wohn-Hilfe e. V.“, | |
der das Wohnprojekt trägt. Im Jahr 2000 schloss er sich mit anderen | |
Sozialpädagogen und Kulturpädagogen zu dem Verein zusammen. „Ich arbeite | |
seit Langem im Gemeinwesen des hiesigen Stadtteils“, sagt Dinninghoff. | |
„Meine Kollegen und ich wurden oft mit prekären Familiensituationen | |
konfrontiert oder trafen Männer, die nicht wussten wohin.“ Aus diesem | |
Impuls entstand die Idee einer Einrichtung, die gerade Männern einen ersten | |
Zufluchtsort bietet. | |
Seit Bestehen der WG, es gibt sie seit 2001, steht das Telefon von Walter | |
Dinninghoff und seinen Kollegen nicht still. Bis auf wenige | |
Renovierungsphasen sei die Wohnung ständig bewohnt gewesen. Nahezu täglich | |
erreichen ihn Anrufe von Männern und Beratungsstellen aus ganz Deutschland, | |
die an einem Platz interessiert sind. Wirklich einziehen können am Ende | |
aber nur solche Suchenden, die ihren Lebensmittelpunkt in Oldenburg haben | |
und mindestens 25 Jahre alt sind. | |
Die Erfahrungswerte Dinninghoffs und des Vereins decken sich mit den Zahlen | |
einer Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamtes Niedersachsen: 40.000 | |
zufällig ausgewählte Menschen nahmen 2013 an der Befragung in Niedersachsen | |
teil, wovon 18.940 Personen – zu 51,3 Prozent Frauen – zu Erfahrungen | |
häuslicher Gewalt in Paarbeziehungen antworteten. Der Anteil der weiblichen | |
Opfer physischer wie psychischer Gewalt in Paarbeziehungen lag bei 9,4 | |
Prozent, der der männlichen bei 6,1 Prozent. Bei einer Zahl von 2,3 | |
Millionen männlichen Niedersachsen zwischen 20 und 60 Jahren ergäbe dies | |
eine Zahl von rund 140.000 Opfern. | |
Bis zu drei Monate steht Bedürftigen die Wohnung offen. „Das hat einfach | |
den Hintergrund, dass die Männer zur Ruhe kommen und sich sammeln sollen, | |
dabei jedoch alltags- und arbeitsfähig bleiben“, sagt Dinninghoff. „Wir | |
möchten allerdings auch, dass sich die Männer mit ihrer Situation aktiv | |
auseinandersetzen und dass sie sich innerhalb eines Vierteljahres eine neue | |
Wohnung suchen oder wieder zurückgehen.“ Tatsächlich kehrten aber die | |
wenigsten in ihr altes Umfeld zurück. Sozialpädagogen unterstützen die | |
Männer bei der Suche nach einer neuen Bleibe, einem Rechtsanwalt oder auch | |
bei der Kontaktaufnahme etwa zu Beratungsstellen. | |
90 Euro zahlen die Bewohner pro Woche, festgelegt ist das in einem | |
Nutzungsvertrag. Aus dieser Gebühr finanziert der Verein die | |
Betriebskosten, etwaige Renovierungsarbeiten und die Möblierung, aber auch | |
die Öffentlichkeitsarbeit. Miete zahlen muss die „Männer-Wohn-Hilfe“ selb… | |
keine: Die Wohnung stellt die GSG Wohnungsgesellschaft zur Verfügung. | |
Städtische oder staatliche Unterstützung bekommt das Projekt keine. Und so | |
stellt der Verein jedes Jahr wieder Anträge an die Stadt Oldenburg, um eine | |
finanzielle Förderung zu erhalten – und jedes Jahr wieder ohne Erfolg. „Ein | |
Angebot für Männer ist für viele gleich ein Angebot gegen Frauen“, sagt | |
Dinninghoff. „Gerade in politischen Kreisen stoßen wir auf Skepsis.“ | |
## Pochen aufs Prinzip Gleichstellung | |
Eine Skepsis, die auch Klaus Schönfeld, Gebietsvertreter des | |
„Väternotruf.de“ in Hamburg, kennt. Seit Jahren setzt er sich für die | |
Einrichtung eines Männerhauses in der Hansestadt ein. Dabei geht es ihm | |
nicht um eine Verharmlosung von Gewalttaten gegenüber Frauen, sondern um | |
das Prinzip der Gleichstellung. „Ein klares Grundrecht unserer Verfassung | |
ist die Gleichheit vor dem Gesetz, vor dem Staat und vor der Gesellschaft“, | |
sagt Schönfeld. Seine Erfahrungen, was den Bedarf an einem Männerhaus in | |
Hamburg angeht, sind mit denen aus Oldenburg zu vergleichen. Täglich habe | |
er es mit Vätern zu tun, die kurzfristig aus der gemeinsamen Wohnung | |
rausgeworfen würden, die häusliche Gewalt erführen. | |
Auch in Schleswig-Holstein könnte es besser stehen um die Befassung mit | |
Männern als Gewaltopfer in Partnerschaften: Zum 1. Januar musste in Kiel | |
die Beratungsstelle für missbrauchte Männer schließen, dabei hätten 65.000 | |
Euro gereicht für ein weiteres halbes Jahr – hätte sich bloß eine der | |
Fraktionen im Landtag für den Fortbestand ausgesprochen. Das aber tat | |
keine. | |
In Oldenburg hat Walter Dinninghoff bereits mit Fällen zu tun gehabt, in | |
denen Väter familienrechtlich benachteiligt wurden. „Dahinter steckt die | |
tiefe anachronistische Vorstellung, Mütter seien Kindern näher und | |
wichtiger als Väter“, sagt er, „und das ist natürlich heutzutage großer | |
Quatsch.“ | |
Das Sorgerecht hat Michi nicht mehr erstreiten müssen: Sein Sohn war zum | |
Zeitpunkt der Trennung alt genug, um selbst zu entscheiden, bei welchem | |
Elternteil er bleibt. Nun ist Michi auf der Suche nach einer neuen Bleibe. | |
In sechs Wochen muss er raus aus dem unauffälligen Mehrfamilienhaus. „Ich | |
suche momentan aktiv nach einer Wohnung und könnte mir auch wieder eine WG | |
vorstellen“, sagt er. Wenn demnächst sein Zimmer frei wird, hofft er, dass | |
sich „wieder Männer melden, die nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern | |
offensiv mit ihrem Problem umgehen“. Walter Dinninghoffs Telefon klingelt | |
jedenfalls schon wieder. | |
26 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Schulten | |
## TAGS | |
Tabuthema | |
häusliche Gewalt | |
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