# taz.de -- Nominierung Mies van der Rohe-Preis: Das wilde Rückgrat des Parks | |
> Der Berliner Park am Gleisdreieck sollte als vorbildlich gelten für die | |
> Erneuerung der Stadt. Nun wird über ihn in Brüssel und Barcelona | |
> gesprochen. | |
Bild: Abendstimmung im Park am Gleisdreieck in Berlin | |
So selbstverständlich nahm alle Welt den 2014 weitgehend fertiggestellten | |
Park am Gleisdreieck in Gebrauch, dass darüber ganz vergessen wurde, über | |
ihn zu reden und ihn zu rühmen. Denn genau betrachtet müsste dieser Park | |
Schule machen, als vorbildlich gelten für die Erneuerung Berlins. So aber | |
nutzt man ihn, freut sich an ihm – und diskutiert über das Tempelhofer | |
Feld. Das doch nur beispielhaft ist für die Skepsis gegenüber jeglicher | |
Planung und den Verdruss, den wir über unsere Art, zu bauen und zu wohnen, | |
empfinden. | |
Aber wenn schon nicht in Berlin, dann wird jetzt in Brüssel und Barcelona | |
über den Park am Gleisdreieck und die Planer vom Atelier Loidl gesprochen. | |
Denn der Park ist für den Mies van der Rohe Preis nominiert, den European | |
Union Prize for Contemporary Architecture. Der von der Europäischen | |
Kommission und der Mies-van-der-Rohe-Stiftung in Barcelona mit 60.000 Euro | |
dotierte Preis wird alle zwei Jahre vergeben und gilt als der | |
renommierteste europäische Architekturpreis. | |
Wäre es nicht wunderbar, wenn er Leonard Grosch und Felix Schwarz vom | |
Atelier Loidl zugesprochen würde, die den Park entworfen und den Berlinern | |
ermöglicht haben, die Stadt zu überblicken – mitten in der Stadt –, indem | |
sie mit der Schaukel in die Luft steigen? | |
## Zunächst fällt das Rohe, Ungeschliffene, Wilde auf | |
Mit Spielplätzen, Skaterbowl, Sportanlagen, einer Vielzahl von Wegen, | |
Liegeflächen oder Tribünenbauten ist der Park durchaus kleinteilig | |
angelegt. Trotzdem fällt zunächst das Rohe, Ungeschliffene, Wilde auf, in | |
dem man das Rückgrat der gesamten Anlage zu erkennen meint: die von Bäumen | |
und Sträuchern überwucherten Gleisanlagen, die sich von Norden nach Süden | |
ziehen, das eine oder andere Stellwerk, das in einem kleinen Birkenwäldchen | |
vor sich hin rottet, die alten Werkhallen auf Höhe des Technikmuseums oder | |
die Kleingärten am Rand des Westparks. | |
Sie entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Gelände, das zuvor mit | |
dem Anhalter Güterbahnhof einen der zentralen Berliner Bahnhöfe beherbergt | |
hatte, als Brache verwilderte. Nur noch die U-Bahn rumpelte auf ihrer | |
Hochtrasse über das Gleisdreieck, über das inzwischen wieder, von Süden | |
kommend, der ICE den Hauptbahnhof ansteuert. | |
Nachdem die Pläne für den Ausbau einer Westtangente der Stadtautobahn | |
fallen gelassen wurden, traten in den 1980er Jahren erste Anwohner- und | |
Naturschutzinitiativen auf den Plan. Ähnlich wie die Leute heute beim | |
Tempelhofer Feld wollten sie eine Bebauung der riesigen Freifläche | |
verhindern, die sich vom Landwehrkanal am Potsdamer Platz bis zu den | |
Yorckbrücken und weiter bis zur Monumentenstraße nach Schöneberg hochzieht. | |
Allerdings war die Stimmung nicht restlos planungsfeindlich. | |
## Bürgerbeteiligung als Teil des Konzepts | |
„Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher“, sagt Felix Schwarz, | |
Projektleiter und gemeinsam mit Leonard Grosch Planer des Parks, „das wir | |
den Park in dieser Form hätten bauen können, wären wir fünf Jahre später | |
dran gewesen.“ So mussten sich die Landschaftsarchitekten zwar mit der | |
Bürgerbeteiligung als Teil des Konzepts arrangieren, aber sie konnten sich | |
auch in rund 100 Sitzungen mit der Arbeitsgruppe aus Anwohnern, | |
Naturschützern und interessierten Bürgern über die Gestaltung | |
auseinandersetzen. | |
Diese permanente Diskussion, so Leonard Grosch, „war ein Novum“. Und wie er | |
im Nachhinein feststellt, hat sie nicht unwesentlich zu dem komplex | |
geschichteten Bild beigetragen, das die Wahrnehmung des Parks so spannend | |
macht. Obwohl die Gespräche teils hochemotional und hart geführt wurden, | |
war es für die Architekten eine positive Erfahrung, ein echtes Interesse an | |
ihrer Planung zu sehen. „Die Leute haben ja unheimlich viel Zeit und | |
Energie in das Projekt gesteckt“, gibt Felix Schwarz zu bedenken. | |
Und Leonard Grosch erinnert sich, dass sie auch mal Sachen gemacht hätten, | |
„die wir zunächst verwunderlich fanden, wie beim Eingang an der Hornstraße, | |
wo ein großer Zürgelbaum steht. Wir wären nie auf die Idee gekommen, den | |
stehen zu lassen. Aber die Bürger haben das eingefordert, und jetzt ist | |
daraus eine ganz charmante pittoreske Situation entstanden.“ Auch die | |
Kleingärten, mit denen sie klarkommen mussten, finden sie heute gut. | |
## Die vielen Nutzungsweisen des Geländes | |
Gerade die Kleingärten zeigen, was das Gleisdreieck Tempelhof, aber ebenso | |
vielen Volksparks in Berlin voraus hat: Sie repräsentieren eine der vielen | |
Arten von Nutzung, die das Gelände über einen langen Zeitraum erfahren hat | |
und die noch immer sichtbar und lebendig sind, wobei neue Szenarien sie | |
ergänzen. | |
Man denke etwa an den großartigen Moment, wenn der ICE fast geräuschlos | |
neben den Joggern durch den Park dahinrollt. So viel zeitliche und damit | |
ästhetische Diversität der Gestaltungselemente eines Parks dürften selten | |
zu finden sein. | |
Einem möglichen Auseinanderfallen der Teile begegneten die Architekten mit | |
einem gestalterischen Programm, das darauf zielt, regelmäßig Situationen zu | |
schaffen, die die Parkbenutzer zusammenkommen lassen. Daher finden sich | |
immer wieder Bühnen- und Tribünenelemente im Park. | |
## Transformationsprozesse der Stadtgesellschaften | |
„Dass die Leute was machen und andere ihnen dabei zuschauen können, das ist | |
extrem wichtig“, meint Leonard Grosch. Dabei helfen die mehrfach kodierten | |
Orte und offenen Angebote, die eine Aktion animieren, aber nicht vorgeben, | |
etwa wie eine Kante, auf der man balancieren kann, oder Zäune, auf denen | |
man sitzen und zuschauen kann. | |
Und weil Stadtgesellschaften, wie Grosch anmerkt, derzeit erhebliche | |
Transformationsprozesse durchlaufen, ethnisch und kulturell vielfältiger | |
werden, aber auch älter, und sich die Milieus und Lebensstile weiter | |
ausdifferenzieren, baucht es mehr denn je integrative öffentliche | |
Freiräume. | |
Man kann also gar nicht genug über ihre Rolle und Ästhetik für das urbane | |
Wohlgefühl sprechen, zumal das Park-Vergnügen mitten in der Stadt gegenüber | |
anderen Bauvorhaben und -wiederertüchtigungen nicht viel kostet. 18 | |
Millionen Euro hat das Land Berlin für die Gestaltung des Gleisdreiecks | |
ausgegeben. Da schaukeln sich die nun rundweg positiven Emotionen gerne | |
noch ein bisschen hoch. | |
Leonard Grosch und die Landschaftsarchitektin Constanze A. Petrow planen, | |
im Sommer ein Buch herauszugeben, das sich mit den Prinzipien für den | |
Entwurf von Stadtparks am Beispiel des Gleisdreiecks beschäftigt | |
2 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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