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# taz.de -- Kolumne Down: Er wurde böse, wir immer fieser
> Als unsere Kolumnistin klein war, mobbte sie zusammen mit anderen Kindern
> einen behinderten Jungen. Noch heute hört sie ihr hämisches Lachen.
Bild: Gruppendynamik bei Kindern: grausam
Was heißt eigentlich „behindert“? Und ist das nicht ein wahrlich dummes
Wort für Menschen, die einfach nur andere Begabungen als die
Mehrheitsgesellschaft haben? Warum wird uns ständig suggeriert, Behinderte
seien minderbemittelt? Ja, und wer definiert eigentlich all diese
Zuschreibungen? Heute kenne ich die Antworten auf meine Fragen, aber als
Deniz noch nicht auf der Welt war, habe ich mich nie um solche Sachen
gekümmert – warum auch? Ich war selbst ein Kind.
Als ich klein war, waren Behinderte für mich seltsame Menschen, in unserer
Familie oder im Freundeskreis hatte niemand ein Handicap. In meiner
unmittelbaren Umgebung gab es lediglich einen Nachbarsjungen, der geistig
und körperlich beeinträchtigt war. Und deswegen fand ich ihn doof – genauso
wie all meine Freunde, mit denen ich spielte. Warum wir ihn nicht mochten?
Es gab keinen Grund, er war halt anders als wir, und das reichte schon für
unseren Spott. Manchmal stellten wir uns vor sein Fenster, machten blöde
Witze und ärgerten ihn.
Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, wie viele Kinder wir waren oder warum
wir mal wieder solch eine blöde Idee hatten. Ich kann mich nur an einen
Sommertag erinnern, an meinen geblümten Rock und meinen frechen
Kurzhaarschnitt mit einem kecken Pony. Mit einer Gruppe von Freunden bauten
wir uns vor dem Fenster des Nachbarjungen auf, der aus dem zweiten Stock
auf uns herunterschaute.
Noch heute sehe ich mich dabei, wie ich Grimassen zog, wie wir alle
lachten. Noch heute habe ich die Geräusche im Ohr, mit denen wir den Jungen
nachäfften. Es waren furchtbare Töne, für die ich mich immer noch schäme.
Und noch heute höre ich den Jungen, der nicht sprechen konnte, der sich von
uns provozieren ließ und sich mit für uns undefinierbaren Lauten zu wehren
versuchte.
Wir machten weiter, weil wir es lustig fanden, wie ein wehrloser Mensch auf
unseren Schabernack reagierte. Wir hielten uns die Bäuche fest vor lauter
Lachen, er wurde immer böser und wir immer fieser. Wir zeigten mit unseren
Fingern auf ihn, hopsten vor dem Fenster hin und her.
## Spielkameraden
Da wir wussten, dass er nicht aus dem Haus kommen konnte, um uns zu
schnappen, hatten wir auch keine Angst. Was hätte uns dieser seltsame
Mensch mit diesem verdrehten Körper schon anhaben können? Nichts! All das
zog sich hin, bis irgendwann seine Eltern erschienen und uns wegjagten –
dann rannten wir um den Häuserblock und machten anschließend einfach
weiter.
Man sagt immer, Kinder würden das nachmachen, was ihre Eltern ihnen zu
Hause vorleben. Aber das stimmt nicht unbedingt. Hätte meine Familie
gewusst, was ich dort draußen trieb, ich hätte mächtigen Ärger bekommen.
Denn bei uns galt schon immer die Regel, dass jeder Mensch gleich ist und
keiner gleicher.
Doch sobald ich meine Spielkameraden traf, wir uns langweilten, ließ ich
mich von der Gruppendynamik mitziehen und mobbte einen schutzbedürftigen
Menschen. Dass ich später mal meinen eigenen Bruder vor solchen Kindern wie
mir schützen musste, daran hätte ich niemals gedacht.
6 Feb 2015
## AUTOREN
Cigdem Akyol
## TAGS
Kinder
Down-Syndrom
Behinderte
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