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# taz.de -- Kolumne Down: Alles unauffällig
> Wie würden Sie sich entscheiden, wenn sich herausstellen sollte, dass ihr
> Kind krank ist? Über Furcht und die Grenzen der Fruchtwasseruntersuchung.
Bild: Fruchtwasseruntersuchung gelten zu 98 Prozent als sicher. Bleiben noch 2 …
Meine Mutter fürchtete sich. Sie hatte so viel Beunruhigendes über
Fruchtwasseruntersuchungen gehört, dass sie tagelang nicht schlafen konnte.
Es war das Jahr 1991, ich besuchte die sechste Klasse eines Gymnasiums,
nach dem Unterricht musste ich mir alleine zu Hause das Essen warm machen,
weil meine Eltern arbeiteten. Wir führten ein geregeltes Leben in einer
kleinen Mietwohnung in Herne, als meine Mutter nach zwei Töchtern ganz
unerwartet mit meinem Bruder schwanger wurde.
Bei Frauen steigt das statistische Risiko, ein Kind mit dem Downsyndrom auf
die Welt zu bringen, je älter sie sind. Meine Mutter war zwar erst 35 Jahre
alt, aber ihr Frauenarzt riet ihr vorsorglich zu einer
Fruchtwasseruntersuchung. Zwar liegt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit
einem Gendefekt zu bekommen, in diesem Alter bei mageren 0,3 Prozent, „aber
sicher ist sicher“, sagte Doktor D. zu meiner Mutter.
Sie informierte sich, sie ließ sich von anderen Ärzten beraten, sie wägte
die Risiken, die Vorteile und Nachteile ab. Und schon damals hieß es, es
werde demnächst einen Bluttest geben, mit dem sich die Trisomie 21 eines
Embryos unkompliziert feststellen ließe. Und weil Doktor D. ihr
versicherte, die Fruchtwasseruntersuchung sei unangenehm, aber es gebe nur
ganz selten Probleme, entschied sich meine Mutter für diesen Eingriff.
An einem Frühjahrstag begleitete eine Freundin sie zu diesem Termin in die
Praxis. Mama legte sich auf die Liege, und schloss die Augen. Sie atmete
tief durch, als Doktor D. mit einem Ultraschallgerät nach einer geeigneten
Stelle suchte, an der er zustechen könnte. Sie betete, als ein grünes
OP-Tuch auf ihren Bauch gelegt wurde, sie atmete ruhig, als der Arzt dann
mit einer dünnen Kanüle ihre Haut durchbohrte und sich mit dem spitzen
Gegenstand gefährlich ihrem Ungeborenen näherte.
## Alles unauffällig, sagte der Arzt
Ihre Freundin hielt ihr die Hand, als Doktor D. ihr dann einige Milliliter
Fruchtwasser absaugte, in dem die kindlichen Zellen schwimmen. All das
dauerte nur wenige Minuten, doch die waren voll mit qualvollen Gedanken.
Wie sollte sie sich entscheiden, wenn sich herausstellen sollte, dass ihr
Sohn krank ist?
Sie musste sich nicht entscheiden. Nach wenigen Tagen empfing sie Doktor D.
in seiner Praxis. Alles sei unauffällig, sagte der Arzt. „Sie werden einen
gesunden Jungen auf die Welt bringen“, verabschiedete er meine
überglückliche Mutter.
Sie wiederholte seine Worte immer wieder: „Ein gesunder Junge“, murmelte
meine Mutter in den nächsten Monaten lächelnd vor sich hin. Sie war so
glücklich, streichelte über ihren Bauch, gemeinsam kauften wir Babykleidung
und machten uns Gedanken über einen Namen.
Eine Fruchtwasseruntersuchung gilt zu 98 Prozent als sicher. Dass wir zu
den 2 Prozent gehören könnten, bei denen es zu einer Fehldiagnose kommt,
daran dachten wir überhaupt nicht.
Gott sei Dank ahnten wir nicht, dass es die letzten hellen Momente für die
nächsten Jahre sein sollten. Denn ich weiß nicht, wie wir die Wahrheit
ertragen hätten.
16 Apr 2015
## AUTOREN
Cigdem Akyol
## TAGS
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Kinder
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