Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sylter Flüchtlingshelferin über Traumatherapie: „Ich kann nicht…
> Flüchtlinge werden auf Sylt in Behausungen gesteckt, über die kein
> Insulaner nachdenken würde, sagt Juliane von Holdt. Sie hat den Verein
> Integrationshilfe Sylt gegründet und vermittelt Jobs und
> Sprachunterricht.
Bild: Hart umkämpfter Wohnungsmarkt auf der Insel: Bezahlbare Unterkünfte sin…
taz: Frau von Holdt, Sie haben im Herbst 2013 den Verein Integrationshilfe
Sylt gegründet. Was ist Ihr Anliegen?
Es geht uns nicht nur um die Flüchtlinge. Auf der Insel leben fast zwölf
Prozent Migrantinnen und Migranten. Manche sind schon sehr lange hier,
sprechen aber oft sehr schlecht oder gar kein Deutsch. Diese Menschen
brauchen bei vielen Dingen Unterstützung.
Wobei können Sie helfen?
Bei der Wohnungssuche oder wenn es bei einer Behörde hakt – das soll ja
vorkommen. Andere brauchen konkrete Gegenstände. Gerade heute habe ich
Stiefel für ein Kind besorgt, das vorher in Turnschuhen durch den
Winterregen gelaufen ist. Hauptsächlich geht es darum, Netzwerke zu
schaffen und die Menschen und Organisationen, die sich um Migranten oder
Flüchtlinge kümmern – von der Arbeiter Wohlfahrt bis zum Jugendamt –, in
Kontakt zu bringen.
Sie haben das Stichwort Wohnungssuche genannt. Wie schwierig ist die auf
Sylt?
Flüchtlinge, die noch im Asylverfahren stecken, werden von der Gemeinde
untergebracht, teilweise in der Obdachlosenunterkunft. Das sind
Behausungen, über die kein Sylter nachdenken würde. Teilweise leben vier
Leute auf 20 Quadratmetern und 20 Personen teilen sich eine Dusche und eine
Toilette. Das hat mit Wohnqualität wenig zu tun. Migranten ziehen oft in
Wohnungen, die für eine Sylter Mittelklassefamilie zu eng wären.
Der Wohnungsmarkt auf Sylt ist völlig überheizt. Gibt es überhaupt
bezahlbare Unterkünfte?
Es gibt Wohnungen für 400 bis 600 Euro Miete im Monat, in denen man aber
eigentlich nicht zu zweit leben kann. Ich spreche von 19 oder 23
Quadratmetern. Langfristig will da für diesen Preis keiner leben, aber für
viele ist das ein Einstieg.
Wie offen sind die Sylter?
Im Grundsatz ist der Sylter ein Friese und bleibt am liebsten unter sich.
Insofern werden diejenigen, die heute Flüchtlinge aufnehmen, ähnlich
angeschaut wie die, die in den 50er-Jahren Touristen aufgenommen haben.
Wirklich?
Naja, mal ernsthaft: Dumme Menschen gibt es auf Sylt wie überall, aber ich
sehe keine fremdenfeindliche Grundstimmung. Es ist eine große
Hilfsbereitschaft zu erkennen. Viele Menschen sind ehrenamtlich aktiv,
geben Deutschunterricht, helfen in Kitas oder spenden Schulmaterialien.
Wenn ich für ein Projekt um Mithilfe bitte, bekomme ich viel Zuspruch.
Was für Projekte sind das?
Hauptsächlich geht es uns um Sprache und Qualifikation. Wir haben auf Sylt
einen gewaltigen Bedarf an Arbeitskräften, fast täglich erhalte ich Mails
von Unternehmen, die auf der Suche nach Praktikanten sind. Uns ist aber
wichtig, keine Billigarbeitskräfte zu verleihen. Wer vier Wochen zum
Praktikum bleibt, soll im Gegenzug eine Anstellung oder Ausbildung
erhalten.
Um was für Stellen geht es da? Wir haben gerade einen Dachdecker
vermittelt, eine ganze Reihe weiterer Praktika sind vereinbart. Es geht um
Stellen für Kfz-Mechatroniker, Bäcker sowie einen Konditor, der in der
Schokoladenmanufaktur zur Probe arbeitet. Ein junger Mann fängt im
Einzelhandel an. Gerade das fanden wir mutig: Jemanden im Verkauf
einzustellen, der nicht perfekt Deutsch spricht. Unter den Flüchtlingen
sind Fachkräfte und Akademiker, von denen die Insel profitieren kann. Ich
erinnere mich an eine Mathematiklehrerin, die ursprünglich schnell weiter
wollte, aber jetzt am liebsten bleiben möchte.
Ihr Mann organisiert auf Sylt Seminare und Veranstaltungen für die
Weiterbildung von Ärzten. Nutzen Sie das auch für Ihren Verein?
Die Kontakte und Kenntnisse in der Medizin helfen bei den Tätigkeiten für
den Verein. Mein Mann hat Medizin studiert, wenn auch nicht abgeschlossen.
Er ist Physiotherapeut und durch die Arbeit bestens vernetzt. Also war
klar, dass er im Verein für alle medizinischen Probleme der Flüchtlinge
zuständig ist. Da geht es um die Verhandlungen mit dem Amt, das nur für
medizinische Hilfe bezahlt, wenn die lebensnotwendig ist.
Was bei psychischen Problemen schwer nachzuweisen ist.
Nach offiziellen Zahlen gelten 40 Prozent der Flüchtlinge als
traumatisiert. Aber ich schätze, dass es unter denen, deren Status noch
nicht gesichert ist, noch mehr sind. Das geht bis zum Suizid. Neulich rief
einer an: Er saß am Bahnhof, wollte vor den Zug springen und traute sich in
letzter Sekunde doch nicht. Aber vor einer Therapie stehen hohe Hürden und
wenn der Landkreis tatsächlich die Kosten übernimmt, sind wir auf der Insel
nicht gerade gesegnet mit Fachleuten für Traumata. Selbst wenn es einen
Termin gibt, bleiben die Sprachbarrieren.
Wie können Sie dann helfen?
Wichtig ist vor allem, die Menschen zu stabilisieren. Dazu haben wir einen
Workshop für die Sylter Hausärzte angeboten, die bereit sind, mit den
Flüchtlingen zu arbeiten. Diese enge Vernetzung zwischen Allgemeinärzten,
Klinik, Kreis und der Beratungsstelle in Kiel funktioniert so gut, dass wir
sie im Jahr 2015 gern aufs Festland exportieren möchten. Wobei das Bremer
Modell noch besser wäre. Dort haben Kommune und Krankenkassen einen Vertrag
auf Kostenübernahme für die Flüchtlinge geschlossen. Das ist humaner und
sogar billiger, weil man den Verwaltungsaufwand spart und die Menschen
frühzeitig und damit kostengünstiger behandeln kann. Bis in Nordfriesland
ein Flüchtling zum Facharzt gehen darf, dauert es bis zu acht Wochen.
Warum tun Sie sich den Stress mit der Flüchtlingshilfe an?
Die etwas rotzige Antwort lautet: Wir machen es, weil wir es können. Wir
haben Erfahrung in der Organisation, wir kennen die Akteure im Ort und im
Kreis. Aber der entscheidende Grund ist ein anderer: Ich habe einmal
hingeguckt und kann jetzt nicht mehr wegsehen, auch wenn es furchtbar ist.
Ich kenne Frauen aus Somalia, die beschnitten und vernäht wurden. Oder
Kinder, die in schlechter Kleidung herumlaufen und die Unterkünfte mit den
zertrümmerten Betten. Da kann ich nicht einfach sagen: War schön, aber
jetzt suche ich mir ein anderes Hobby.
10 Feb 2015
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Flüchtlinge
Integration
Unterbringung von Geflüchteten
Sylt
Begegnungen
Kolpingwerk
Handelskammer
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kulinarisches Integrationsprojekt in Bremen: Sauerkraut in Südkorea
Beim Projekt „Weltreise durch Wohnzimmer“ hören die Gäste keinen Vortrag
über Südkorea, sondern tauchen in das Leben von Familie Kim ein.
Haus als Notunterkunft beschlagnahmt: „Regenbogenland“ für Flüchtlinge
In NRW sichert sich eine Bezirksregierung per Verfügung ein leerstehendes
Gebäude. Dort sollen Flüchtlinge untergebracht werden.
Schaulaufen der Wichtigen: Eine Welt für sich
Am Ende des Jahres versammeln sich die Ehrbaren Kaufleute. Es gibt keinen
Sekt, keine Häppchen. Nur eine Rede und das Bewusstsein der eigenen
Bedeutung.
Übergriffe auf Asylunterkünfte: Der Volksmob rast
Eingeworfene Scheiben, Brände, Hakenkreuze: Die Zahl der rechtsextremen
Übergriffe auf Asylunterkünfte nimmt in drastischem Umfang zu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.