# taz.de -- Kulinarisches Integrationsprojekt in Bremen: Sauerkraut in Südkorea | |
> Beim Projekt „Weltreise durch Wohnzimmer“ hören die Gäste keinen Vortrag | |
> über Südkorea, sondern tauchen in das Leben von Familie Kim ein. | |
Bild: Reise in ein fremdes Wohnzimmer: "In Korea fängt alles mit Essen an." | |
BREMEN taz | Ein Kamerateam bestimmt das Geschehen. Ira Kim und ihre kleine | |
Tochter Esther, gekleidet in Hanbok, der traditionellen Landestracht | |
Koreas, sollen sich bitte noch einmal an den Flügel im Wohnzimmer setzen | |
und die südkoreanische Hymne spielen und singen. | |
Und bitte, Esther, zeig doch noch mal auf den Globus. Die „Weltreisenden“, | |
also die Gäste von Familie Kim, sollen miteinander reden oder doch | |
zumindest so tun, sonst wirke die Atmosphäre zu gestellt. Was sie natürlich | |
auch ist – und das verdirbt ein wenig den Beginn der [1][„Weltreise durchs | |
Wohnzimmer“] in diesem kleinen Reihenhaus in Bremen-Habenhausen bei Familie | |
Kim. | |
Wenngleich es schade ist, dass das Fernsehteam von Radio Bremen bloß so | |
tut, als habe es den Abend tatsächlich auch erlebt: Glücklicherweise zieht | |
es ab, bevor die eigentliche Reise nach Südkorea losgeht. | |
Die Gastgeber-Familie und die BesucherInnen entspannen sich deutlich, Ira | |
und Esther begrüßen ihre Gäste auf koreanisch und verlassen danach das | |
Wohnzimmer, um sich umzuziehen – diese mehrschichtigen, farbenfrohen | |
Hanboks sind einfach zu warm. Als sie wiederkommen, hat Iras Mann Jung-Min | |
schon begonnen, den 13 Gästen von Südkorea zu erzählen. | |
## „Die sehen ja alle genauso aus wie ich!“ | |
Der 41-Jährige ist in Deutschland geboren. Erst mit sechs Jahren war er zum | |
ersten Mal im Heimatland seiner Eltern, die in den 60er Jahren Südkorea | |
verließen, um in Duisburg als Bergarbeiter und Krankenschwester zu | |
arbeiten. „Und ich kann mich noch genau erinnern, dass ich bei meiner | |
ersten Reise nach Korea lange an einer belebten Straße stand, mir die Leute | |
anschaute und dachte: ’Die sehen ja alle genauso aus wie ich!‘“ | |
Koreanisch habe er nur in seiner Kindheit gesprochen: „Nach meinem siebten | |
oder achten Lebensjahr habe ich nur noch auf Deutsch reagiert, wenn meine | |
Eltern mit mir geredet haben.“ Viele Höflichkeitsfloskeln habe er nicht | |
gekannt, „weil die innerhalb der Familie nicht verwendet werden“. Durch | |
seine Frau Ira, die in Korea aufgewachsen ist, habe er die Sprache | |
eigentlich erst richtig gelernt. | |
Ira ist drei Jahre älter als ihr Mann und lebt seit 20 Jahren in | |
Deutschland. „Wenn ich länger als drei Wochen in Korea bin, will ich wieder | |
zurück – mir ist es mittlerweile zu laut und zu hektisch dort“, sagt Ira. | |
Das Ehepaar erzählt, wie sie sich kennengelernt haben und wie sie ihren | |
Familien gegenüber lange Zeit so taten, als wären sie beiden gleich alt. | |
„Weil es früher völlig tabu war, dass ein Mann mit einer älteren Frau | |
zusammen ist“, erklärt Jung-Min. Die beiden erzählen davon, wie Jung-Mins | |
Eltern nach Korea zurückgekehrt sind, weil der Staat Diaspora-Koreanern | |
günstige Grundstücke an der Südküste anbot. | |
Dort, im „German Village“, leben die Eltern in einem grünen Haus mit den | |
Bremer Stadtmusikanten im Garten und betreiben das „Café Bremen“. Ira | |
reicht einen Bildband herum mit Fotos der Stadt, in der nur KoreanerInnen | |
wohnen, die zuvor viele Jahre in Deutschland gelebt haben. | |
„Da wird das Oktoberfest gefeiert und es gibt Sauerkraut, Bier und andere | |
deutsche Spezialitäten – man hat ja auch Erinnerungen und bestimmt auch | |
manchmal Heimweh nach dem Land, in dem man so lange gelebt hat“, sagt | |
Jung-Min. | |
Und während im koreanischen German Village Sauerkraut gegessen wird, stehen | |
im Bremer Wohnzimmer Platten mit gebratenem Rindfleisch, pikantem | |
Möhrensalat, gebratenem Gemüse, Mandu – eine Art Maultasche – , Bratlinge | |
mit Meeresfrüchten, Kimbap – das sind Makis mit ungesäuertem Reis – und | |
natürlich Kim Chi, „das Sauerkraut Koreas“ auf dem Tisch. | |
In Korea, sagt Jung-Min, „fängt alles mit Essen an und alles hört mit Essen | |
auf“. Was ein bisschen gemein ist, denn als er das sagt, wird in | |
Habenhausen noch lange nicht gegessen. | |
Erst einmal gibt es noch mehr Fotos und Karten und einen Image-Film über | |
Südkorea. Und viele Fragen der Gäste, die an diesem Abend in diesem fremden | |
Haus erstaunlich schnell aufgetaut sind: Wie nehmen Südkoreaner Nordkorea | |
wahr, wie ist das Klima, wie das Verhältnis zu China und Japan, welche | |
Religionen sind verbreitet? | |
Jung-Min und Ira antworten geduldig, aber immer wieder wird deutlich: Das | |
hier ist kein Volkshochschulvortrag über Südkorea, sondern eine Reise in | |
das Leben von Familie Kim. | |
„Ich finde die Tischsitten in Korea ganz toll – also die nicht | |
vorhandenen“, erzählt Jung-Min. „Aber wenn Besuch aus Korea in Deutschland | |
schmatzt und rülpst, finde ich das unmöglich.“ Oft erlebe er eine „innere | |
Spannung: Bin ich nun Deutscher oder bin ich Koreaner?“ Das Bildungssystem | |
in Korea findet er „schon hart“, das in Deutschland hingegen aber „oft au… | |
recht lasch“. | |
Genauso hatte sich Catrin Geldmacher die „Weltreise durch Wohnzimmer“ | |
vorgestellt, als sie 2011 im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück das | |
Projekt ins Leben rief: „Ich habe Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und | |
war eines Tages zu Gast bei einer Familie aus dem Irak – das war ein | |
unglaublich erfüllendes Erlebnis.“ | |
Und der Auslöser für ihre Idee. Durch ihren damaligen Job kannte sie viele | |
Menschen aus vielen Ländern, die sie fragen konnte, ob sie „Reiseleiter“ | |
werden wollten. Viele wollten – und mittlerweile haben nicht nur in | |
Rheda-Wiedenbrück, sondern auch in Bielefeld, Kleve, Hamm, Königswinter | |
oder eben auch in Bremen insgesamt mehr als 120 „Weltreisen“ stattgefunden. | |
„Und die sollen keineswegs ein Land als Stereotyp präsentieren, sondern ein | |
Land aus Sicht der gastgebenden Familie.“ So könne man auch mehrmals das | |
gleiche Land „bereisen“ und es dennoch immer wieder neu erleben: „Ich war | |
bisher dreimal zu Gast in Polen und jede Reise war anders“, sagt | |
Geldmacher. | |
## Auf Weltreise mit ein paar Spielregeln | |
Die ehemalige Deutsch-Dozentin widmet sich mittlerweile ausschließlich | |
ihrem Projekt, koordiniert es bundesweit, schickt den OrganisatorInnen | |
Länderstempel und Reisepässe, die jeder „Weltreisende“ erhält und hat sc… | |
die ersten Kontakte zu potentiellen Reiseleitern in Toronto, Birmingham und | |
Sidney geknüpft. | |
Geldmacher ist dabei, einen Verein zu gründen und hat sich den Titel | |
„Weltreise in Wohnzimmer“ patentieren lassen. „Es gibt ein paar Spielrege… | |
und ich möchte nicht, dass die verwässert werden“, sagt sie. Ziel der | |
Veranstaltungen sei es, die „Reiseleiter“ stark zu machen. | |
„Die Menschen sind für einen Abend nicht zu Gast in einem fremden Land, | |
sondern sie sind plötzlich die Gastgeber. Diese Erfahrung kann dazu führen, | |
dass sie sich danach mehr zutrauen, dass sie Nachbarschaftsfeste besuchen | |
oder an Elternabenden teilnehmen.“ | |
Und je früher jemand „Reiseleiter“ werde, desto besser. „In Steinhagen g… | |
es sogar schon einmal eine Weltreise in einem Übergangswohnheim“, sagt | |
Geldmacher. „Eine Frau aus Ghana, die durch ihre Deutschlehrerin auf das | |
Projekt aufmerksam gemacht wurde, hat dorthin eingeladen.“ | |
Sie habe, während alle gemeinsam Gemüse fürs Essen geschnippelt hätten, von | |
ihrem Heimatdorf erzählt und von ihrer noch nicht lange zurückliegenden | |
Flucht nach Deutschland. | |
Solche „Reisen“ könnte sich Jens Stangenberg auch gut vorstellen: „Mensc… | |
wie Familie Kim sind ja bereits bestens integriert, aber die Weltreisen | |
können für viele Menschen Brücken sein.“ Stangenberg, der per Zufall im | |
Internet auf die „Weltreisen“ gestoßen ist, organisiert die Reisen in | |
Bremer Wohnzimmern. | |
Neben Südkorea ging es hier bereits nach Russland, Lettland, Armenien und | |
Kolumbien, die ersten Kontakte konnte er durch seine Arbeit in einer | |
freikirchlichen Gemeinde knüpfen. „Die sind allerdings nicht unerschöpflich | |
– deswegen appelliere ich eigentlich immer an die Reiseteilnehmer, Freunde, | |
Nachbarn oder Kollegen zu fragen, ob sie nicht auch einmal Reiseleiter | |
werden wollen“, erzählt er. | |
Stangenberg hat es schwerer als die Organiatoren der meisten anderen | |
teilnehmenden Städte: In der Regel werden die „Weltreisen“ dort von | |
größeren Trägern oder Vereinen wie Volkshochschulen oder der Caritas | |
organisiert, die großflächig vernetzt sind und professionelle | |
Öffentlichkeitsarbeit betreiben können. | |
Auch die Reisenden nach Südkorea zerbrechen sich den Kopf über weitere | |
potentielle „Reiseleiter“ – und gewähren damit Einblicke in ihre | |
Erwartungen. Einer Frau fällt ihr Nachbar ein, „aber ob der gut genug | |
Deutsch spricht, glaube ich nicht“, sagt sie. Ein Mann erzählt von einer | |
ihm bekannten „Schwarzafrikanerin“, die man ja eigentlich auch mal fragen | |
könnte: „Aber die hat so viel Schlimmes erlebt – ob das wirklich ein | |
schöner Abend werden würde?“ | |
Dabei sind die ReiseleiterInnen keineswegs dazu angehalten, nur „schöne“ | |
Abende zu organisieren. Die einzige Regel lautet: Mit den Gästen soll nicht | |
über Politik diskutiert werden. „Und die Reiseleiter müssen keine perfekten | |
Deutschkenntnisse haben. Sie bereiten sich ja auf den Abend vor – in einer | |
solchen Situation Deutsch zu reden ist viel einfacher als in einem | |
spontanen Gespräch“, sagt Geldmacher. | |
Vom Südkorea-Abend im Süden Bremens sind jedenfalls alle begeistert. Einige | |
erkundigen sich nach den Preisen für die Flugreise – die Lust ist geweckt, | |
einmal „echten“ Urlaub in Korea zu machen. Ob das freilich auch für die | |
Ukraine gilt, dem Ziel am kommenden Freitag, sei dahingestellt. Aber darum | |
soll es ja eigentlich auch gar nicht gehen, bei der Weltreise in fremde | |
Wohnzimmer. | |
2 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.weltreisedurchwohnzimmerbremen.de/ | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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