# taz.de -- Prozess gegen Ex-CSU-Fraktionschef: Von ganz oben nach ganz unten | |
> Georg Schmid soll seine Frau jahrelang scheinselbständig beschäftigt | |
> haben. Der Schaden: bis zu 340.000 Euro. Vor Gericht erscheint ein | |
> gebrochener Mann. | |
Bild: Bemüht, die Fassung nicht zu verlieren: Georg Schmid. | |
AUGSBURG taz | Mit gesenktem Blick und versteinerter Miene kämpft sich | |
Georg Schmid durch das Blitzlichtgewitter im Amtsgericht Augsburg. Wie ein | |
Schatten seiner selbst huscht der 61-Jährige in den Sitzungssaal, über ihm | |
prangt der Spruch: „Das sind die Regeln des Rechts. Jedem das Seinige | |
zugestehen“. Er selbst soll der Sozialkasse bis zu 340.000 Euro nicht | |
zugestanden haben. Seine Frau, die fast 22 Jahre für ihn arbeitete, sah er | |
als selbstständige Unternehmerin, die Staatsanwaltschaft stuft ihre | |
Tätigkeit jedoch als die einer Angestellten ein, für die Schmid keine | |
Sozialabgaben gezahlt haben soll. | |
An diesem Montag muss sich Schmid deshalb vor dem Amtsgericht Augsburg | |
verantworten. Es ist der krasseste Fall der Verwandten-Affäre, die im April | |
2013 dem Bayerischen Landtag den Ruf eines „Freibier-Parlaments“ | |
einbrachte. Fast 80 Abgeordnete – nicht nur von der CSU – beschäftigten | |
ihre Ehepartner oder Kinder und bezahlten sie aus Steuergeldern. Rechtlich | |
war das völlig legitim. | |
Zwar verbot der Bayerische Landtag im Jahr 2000 die verbreitete Praxis der | |
Abgeordneten, aus ihrem Mandat ein lukratives Familienunternehmen zu | |
machen, schon bestehende Beschäftigungsverhältnisse durften allerdings | |
weitergeführt werden. Politisch geschadet hat es den wenigsten, einige sind | |
jetzt noch Minister. | |
Schmid ist der Einzige, der gravierende rechtliche Konsequenzen zu | |
befürchten hat. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er seine Frau, anders als | |
die meisten seiner Kollegen, als Freiberuflerin beschäftigte. Aufgrund des | |
hohen Schadens fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von über | |
einem Jahr. Doch schon jetzt hat Schmid alles verloren. Kein anderer fiel | |
so tief wie er. | |
## Er war der „Schüttelschorsch“ | |
Bis zum April 2013 war er der „Schüttelschorsch“. Theo Waigel soll ihm den | |
Spitznamen gegeben haben, weil er jedem die Hand schüttelte, der nicht bei | |
drei auf den Bäumen war. Er duzte fast jeden, zettelte bei der | |
alljährlichen CSU-Winterklausur in Kreuth Schneeballschlachten mit den | |
Fotografen an und begab sich nicht selten an die Grenzen der | |
Lächerlichkeit, um die Herzen von Wählern und Parteifreunden zu gewinnen. | |
Schmid investierte in Beliebtheit und hatte Erfolg damit. In seinem | |
Wahlkreis war er Erststimmenkönig, wurde erst Staatssekretär im | |
Innenministerium und im Jahr 2007 CSU-Fraktionsvorsitzender. Nach dem Sturz | |
Edmund Stoibers brachte er sich sogar als Ministerpräsident ins Gespräch. | |
Damals unvorstellbar, dass er selbst von einem Tag auf den anderen von der | |
politischen Bildfläche verschwinden sollte. | |
Am Vortag seines Falls wurde Schmid noch von seinen Parteikollegen | |
gefeiert. Zu seinem 60. Geburtstag pfiffen selbst Innen- und Justizminister | |
auf ihre Würde und sangen ihm schunkelnd auf der Bühne ein Ständchen: | |
„Trulla, trulla, trullala, Georg Schmid bleibt Superstar“. | |
## „Wenn dein Aussehen weiter passt und man dir den Posten lasst“ | |
Währenddessen tuschelte es auf den Fluren des Landtags, dass gerade der | |
Fraktionschef besonders tief im Sumpf der Verwandten-Affäre steckte. Als | |
Parteichef Horst Seehofer schon die Haare zu Berge standen, weil er das | |
Ausmaß der Affäre erkannte, da trällerten sie auf der Bühne ahnungslos und | |
doch so passend: „Wenn dein Aussehen weiter passt und man dir den Posten | |
lasst, sind wir hier und feiern mit, ein Jahrzehnt mehr Georg Schmid.“ | |
Seehofer ließ ihm den Posten nicht. Fünf Monate vor der für die CSU | |
entscheidenden Landtagswahl konnte er sich keine Spezl-Geschichten leisten. | |
Schmid trat von all seinen politischen Ämtern zurück. Nicht mal der Vorsitz | |
in seinem geliebten Heimat-Kreisverband Donau-Ries ist ihm geblieben. | |
Kurz vor der Verhandlung steht Schmid hinter der Anklagebank. Seine | |
dunkelbraune Mähne ist jetzt fast grau, seine Hände sind unruhig. Mal | |
knetet er sie hinter dem Rücken, mal hält er sie gefaltet vor der Hüfte. Er | |
trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarz-weiß | |
gepunktete Krawatte wie zu einer Beerdigung. Den jovialen | |
„Schüttelschorsch“ gibt es nicht mehr. Äußern will sich Schmid nicht, er | |
lässt seinen Anwalt Nikolaus Fackler für sich sprechen. Er will beweisen, | |
dass Schmids Frau Gertrud einer selbstständigen Tätigkeit nachging. | |
Die meldete 1991, ein Jahr nachdem Schmid in den Landtag eingezogen war, | |
einen „Büro- und Schreibservice“ als Gewerbe an. Die gelernte | |
Industriekauffrau hatte schon für das Landratsamt Donauwörth gearbeitet und | |
ihren Mann bei seinen Wahlkämpfen unterstützt. Für Schmid sei sie die | |
„Idealbesetzung“ für sein Stimmkreisbüro gewesen. Sie habe als | |
selbstständige Unternehmerin im gemeinsamen Wohnhaus ein eigenes Büro mit | |
separatem Eingang gehabt und „eigenverantwortlich“ und „weisungsfrei“ | |
gearbeitet. | |
## „Selbstbediener“ und „Raffzahn“ | |
Das würde auch die Tatsache unterstreichen, dass sie im Jahr 2000 eine | |
eigene Angestellte beschäftigt habe. Außerdem sei ihr Mann nicht ihr | |
einziger Auftraggeber gewesen. Georg Schmid habe seine Frau deshalb klar | |
als selbstständig beschäftigt angesehen und sie daher nicht bei der | |
Sozialversicherung angemeldet. | |
Auch gegen den Vorwurf, ein „Selbstbediener“ und „Raffzahn“ zu sein, wi… | |
in den Medien genannt wurde, verteidigte ihn sein Anwalt. Die Behauptung, | |
dass Schmid seiner Frau durchgehend 5.500 Euro im Monat bezahlt hätte, sei | |
falsch, da von dieser Summe „die gesamten Unkosten bezahlt werden mussten“. | |
Als Gehalt habe das Finanzamt Beträge zwischen 990 und 2.000 Euro im Monat | |
verzeichnet. Die Finanzbehörde hätte das Beschäftigungsverhältnis über 20 | |
Jahre lang gekannt und „nichts beanstandet“. Genau wie die | |
Rentenversicherung, die mehrfach zur Betriebsprüfung vorbeigekommen sei. | |
Schmids „einziger Fehler“ sei gewesen, dass er keine Überprüfung des | |
Arbeitsverhältnisses beantragt hatte. „Er bedauert den Fehler zutiefst“, | |
sagt sein Anwalt Fackler und betont, dass Schmid bereits 450.000 Euro an | |
die Deutsche Rentenversicherungsanstalt als Wiedergutmachung überwiesen | |
habe. | |
## „Seine Lebensaufgabe als Politiker verloren“ | |
Bis jetzt war Georg Schmid gefasst, nickte ab und zu seinem Anwalt zu. Doch | |
dann kommt der zu den „dramatischen Folgen“, die die Anklage für Schmid | |
hatten. Er habe „seine Lebensaufgabe als Politiker verloren“, leide „unter | |
der Häme“, die ihm entgegenschlägt. Er und seine Frau seien in ärztlicher | |
Behandlung. Schmid fährt sich mit den Händen über die Augen, senkt den | |
Kopf, bemüht, die Fassung nicht zu verlieren. | |
Laut seinem Anwalt würde Schmid all seine Pensionsansprüche verlieren, wenn | |
er zu mehr als elf Monaten verurteilt werden sollte, wie es die | |
Staatsanwaltschaft fordert. Aus dem Landtag heißt es allerdings, die | |
Ansprüche aus seiner Abgeordnetentätigkeit, wohl mindestens 5.000 Euro im | |
Monat, würden ihm bleiben. | |
Es folgt die Beweisaufnahme: Schmid sitzt klein vor einer riesigen | |
Projektion, die die ganze Wand füllt, und blickt mittels eines | |
Fernsehbeitrags aus dem Jahr 2013 zurück in die Vergangenheit. Wie jemand, | |
der nicht weiß, wie ihm geschieht, stand er damals vor dem Plenum, das ihm | |
„Amigo“ zurief. | |
Die Haare waren damals noch braun, die Krawatte frohgemut rosa. Im | |
Interview sagte Georg Schmid damals, seine Frau habe für ihn jeden Tag „von | |
der Früh bis zum späten Abend“ gearbeitet. Wie viel Zeit hatte sie da noch | |
für andere Auftraggeber? „Nicht so viel“, sagt zumindest ihre frühere | |
Angestellte, wohl um die 15 Stunden im Monat. | |
2 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
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