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# taz.de -- Sebastian Weitkamp über Emslandlager: „Strafe und Sühne“
> Die Ausstellung in der Osnabrücker Gedenkstätte Gestapokeller zeigt
> Schicksale von zwölf Opfern der NS-Justiz, die in den Emslandlagern
> starben.
Bild: Eins der 15 einstigen Emslandlager der Nazis: Die heutige Gedenkstätte E…
taz: Herr Weitkamp, wonach haben Sie die zwölf Gefangenenschicksale
ausgewählt, die Sie in Ihrer Ausstellung über Hitlers Emslandlager zeigen?
Sebastian Weitkamp: Da waren einmal Menschen, die wegen politischer
Straftatbestände wie Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung verurteilt waren.
Es gab aber auch Kriminelle, die wegen herkömmlicher Straftaten wie
Diebstahl dort saßen – ein Delikt, das auch heute geahndet worden wäre.
Aber nicht so streng.
Ja. Unter den Nationalsozialisten konnte ein Lebensmitteldieb zum
„Volksschädling“ werden, und wenn er es mehrfach tat auch zum
„gemeingefährlichen Gewohnheitsverbrecher“, der in Sicherungsverwahrung
genommen wurde. Das bedeutete KZ. So ein Mensch war also Täter und Opfer
zugleich.
Haben Sie weitere „gebrochene Biografien“?
Ja, wir haben eine Biografie gefunden, in der jemand in den 1930er-Jahren
eine SS-Uniform stahl und dann Hilfssheriff gespielt und Jugendliche
drangsaliert hat. Er ist wegen „heimtückischen Angriffs auf Polizei und
Staat“ und zum Schutz der Parteiuniform verurteilt worden. Die meisten
unserer Ausstellungsbiografien sind allerdings politische Opfer.
Zum Beispiel?
Wir haben den kommunistischen Widerstandskämpfer Bernhard Börgermann, der
sich kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933 einer
Widerstandsorganisation anschloss und Flugblätter verteilte, die aus den
Niederlanden eingeschmuggelt worden waren. Dann gab es Leute aus dem
sozialdemokratischen und katholischen Milieu, die wegen regimekritischer
Äußerungen verurteilt wurden. Markant ist auch der Fall eines Erwerbs- oder
Obdachlosen, der im Alkoholrausch auf einer Parkbank regimekritische
Äußerungen tat. Er wurde verhaftet, weil Passanten ihn angezeigt hatten.
Sie hätten auch einfach weitergehen können. Aber das zeigt, wie das gesamte
System funktionierte, denn die NS-Justiz war auf genau solche Denunzianten
angewiesen.
Ihre Ausstellung beleuchtet auch Spezifika der NS-Justiz. Inwiefern
unterschied sie sich von der Justiz der vorhergehenden Weimarer Republik?
Die Justiz der Weimarer Republik war nicht unbedingt eine Vorzeigejustiz,
denn man hat ihr oft nachgesagt, auf dem rechten Auge blind zu sein. Die
Justiz der Nationalsozialisten war aber viel deutlicher politisch
beeinflusst. Das sieht man daran, dass die Nazis relativ schnell nach der
Machtübernahme neue Gesetze erließen, die zur Unterdrückung der politischen
Opposition, später auch zur Unterdrückung sogenannter
„Gemeinschaftsfremder“ oder „Volksfeinde“ genutzt wurden.
Unterschied sich auch der Strafvollzug beider Regimes?
Ja. In der Weimarer Republik gab es durchaus einige ernsthafte Ansätze des
Reformstrafvollzugs, der auf Resozialisierung und Wiedereingliederung in
die Gesellschaft setzte. Im Nationalsozialismus dagegen standen Strafe und
Sühne im Vordergrund, man setzte auf Arbeit, etwa bei der Moorkultivierung
in den Emslandlagern. Auch die Grundhaltung im NS-Staat war ja eine ganz
andere: Da wurden die Strafgefangenen von den SA-Wachmannschaften in den
Justizakten schnell als „asoziale Elemente“ bezeichnet.
Sie präsentieren Opfer von Zivil- und Wehrmachtsjustiz. War die Ziviljustiz
humaner?
Das ist schwer zu vergleichen. Was ich aber sagen kann: Beide wurden mit
zunehmender Dauer des NS-Regimes rücksichtsloser – insbesonders nach
Kriegsbeginn 1939. Und nach der Niederlage von Stalingrad 1943 wurden die
Strafen für ein und dasselbe Vergehen noch drakonischer.
Was hat das mit der Stalingrad-Niederlage zu tun?
Der Krieg trat in eine andere Phase ein: Jetzt drohte tatsächlich die
Niederlage, während das Deutsche Reich vorher siegessicher gewesen war. Das
änderte auch die Haltung im Inneren: Ab 1943 – der Ausrufung des „Totalen
Krieges“ durch Hitler – begriff sich die Justiz als Aufrechterhalterin der
„Manneszucht“. Man verstand sich als eine Art Heimatfront, die man durch
harte Urteile stabilisieren wollte.
Ein Beispiel?
Wir haben in der Ausstellung einen Angehörigen der Luftwaffe, der 1944
sagte, er wolle nicht weiterkämpfen. Er sei vorher mit Freude Soldat
gewesen, aber die jetzige Entwicklung des Krieges könne er nicht mehr
mittragen, und für die vielen zivilen Bombentoten in Deutschland sei Hitler
verantwortlich. Das hatte er im Kameradenkreis geäußert. Er wurde angezeigt
und zum Tode verurteilt. Später begnadigte man ihn, aber grundsätzlich
zeigt dieser Fall die drakonische Rechtssprechung bei kleinsten Vergehen
nach dem Motto: „Wer am Endsieg zweifelt, ist dafür verantwortlich, dass
Deutschland möglicherweise den Krieg verliert“.
Wie waren die Haftbedingungen in den Emslandlagern?
Sie waren hart und geprägt durch die schwere Arbeit der Moorkultivierung
einerseits und die Willkür der SA-Wachmannschaften andererseits. Auch hier
kann man sehen, dass sich nach Kriegsbeginn der Strafvollzug nochmals
verschärfte. Im Emsland sind von 1934 bis 1945 ungefähr 25.000 Gefangene
gestorben – und die allermeisten nach Kriegsbeginn und in den späteren
Kriegsjahren. Das lag daran, dass die Versorgung der Strafgefangenen im
Lauf des Krieges stark heruntergefahren wurde, sodass die meisten – vor
allem sowjetische Kriegsgefangene – an Hunger und Krankheiten starben.
Wie wurden die Überlebenden der Emslandlager entschädigt?
In der Regel gingen die Entschädigungsbehörden vom Haftgrund aus. Wenn
jemand aus politischen Gründen verurteilt wurde – etwa aufgrund des
„Heimtücke“-Gesetzes, wegen Volksverhetzung oder Hochverrats – wurde in …
Regel Entschädigung gezahlt. Bei KZ-Häftlingen sowieso. Bei konventionellen
Straftaten wurde meist keine Entschädigung gewährt.
## „Abgeurteilt. Gefangene in der Strafanstalt Lingen und den Emslandlagern
1935 – 1945“: bis 19. Juli, Gedenkstätte Gestapokeller im Schloss Osnabrü…
13 Mar 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
NS-Justiz
Kriegsgefangene
NS-Verfolgte
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Osnabrück
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