# taz.de -- Aufwachsdrama: Geschichten einer zerbrochenen Jugend | |
> Der Spielfilm "Von jetzt an kein Zurück", gedreht in Oldenburg, Hamburg | |
> und Schleswig-Holstein, erzählt von zwei Jugendlichen und ihrer Rebellion | |
> 1968. | |
Bild: Kurzer Moment der Freiheit: Ruby und Martin beim nächtlichen - und bald … | |
HAMBURG taz | Coming-of-Age-Dramen, also solche, in denen es ums | |
Heranwachsen und um Heranwachsende geht, sind aus verschiedenen Gründen | |
beliebt – auch, weil darin immer die Jugend gewinnt. Die Erwachsenen mögen | |
schwere disziplinarische und psychologische Geschütze auffahren, aber in | |
den letzten Einstellungen sieht man regelhaft die an diesen Schwierigkeiten | |
gereiften Helden auf dem Weg in eine freiere Zukunft. | |
Mit dieser Konvention bricht Regisseur Christian Frosch nun ähnlich | |
radikal, wie es Michael Haneke 2009 in „Das weiße Band“ getan hat, an den | |
„Von jetzt an kein Zurück“ auch durch die nüchternen Schwarzweiß-Bilder … | |
Kameramann Frank Amann erinnert. Der Film erzählt von Martin und Rosemarie, | |
die darauf besteht, Ruby genannt zu werden und in ihrer Familie ähnlich | |
hart darum kämpfen muss wie damals die jungen Männer – um die Länge ihrer | |
Haare. Denn es ist zwar das Jahr der Revolte 1968, aber hier, in der | |
Provinz, herrschen noch Zucht und Ordnung. | |
Martin (Anton Spieker) träumt davon, Schriftsteller zu werden und | |
provoziert in der Deutschstunde mit Gedichtzeilen von Arthur Rimbaud. Ruby | |
(Victoria Schulz) hängt mit ihrer Clique in Plattenläden herum und hält die | |
„Kinks“ für antiquiert, die „Monks“ dagegen für revolutionär. Den Mi… | |
zieht sie nur heimlich an, denn der Vater, ein katholischer Tyrann, schaut | |
schon mal selbst nach, ob sie noch Jungfrau ist. Ja, es gibt seltsame | |
Zwischentöne in diesen immer leicht hysterisch inszenierten Familienszenen. | |
Aber Ben Becker war in den vergangenen Jahren selten so gut wie hier als | |
autoritärer Patriarch. | |
Martin hat dagegen das Problem eines zu schwachen Vaters. Der trägt schwer | |
an einem Kriegstrauma, lebt chaotisch und in den Tag hinein und wird von | |
seinem Sohn verachtet – dabei ist er ihm im Grunde sehr ähnlich. Thorsten | |
Merten spielt ihn als einen schrulligen Verlierer und eine der wenigen | |
sympathischen Figuren des Films. | |
Victoria Schulz hat auf dem Oldenburger Filmfest verdient den „Seymour | |
Cassel Award als Beste Schauspielerin“ bekommen: Sie drückt Trotz, | |
Freiheitswillen und Verletzlichkeit aus, ohne auch nur einen Moment lang | |
beim Schauspielern erwischt zu werden. Dabei erinnert sie an die junge | |
Ulrike Meinhof. Dagegen bleibt Anton Spieker etwas blass, wirkt wie ein | |
heutiger Schauspieler, der versucht, sich in eine für ihn schon historische | |
Rolle einzufühlen. | |
Ihren kurzen Moment der Freiheit erleben Ruby und Martin beim nächtlichen | |
Fluchtversuch per Moped, aber diese norddeutsche Easy-Rider-Variante endet | |
kläglich im Straßengraben. Damit ist der erste Akt dieses streng in drei | |
Teilen strukturierten Dramas schon sehr früh vorbei – leider: Als | |
Sittenbild des Provinzlebens jener Zeit, in dem Frosch autobiografisch | |
erzählt und den Zuschauern ein paar komische Momente gönnt, ist er | |
eindeutig der gelungenste. | |
Im zweiten Akt lässt Frosch den Protagonisten dann das Rebellentum | |
austreiben. Hierzu ließ er sich durch die Missstände in der damaligen | |
Heimerziehung inspirieren. Doch obwohl er gründlich recherchiert hat und | |
die Freudlosigkeit gut einfängt, erzählt er nicht mehr so eigenständig und | |
flüssig wie davor. Ruby kommt in ein geschlossenes katholisches Heim mit | |
dem bitter ironischen Namen „Bei den barmherzigen Schwestern“, Martin kommt | |
in eine evangelische Erziehungsanstalt mit schwerem Arbeitseinsatz im Moor. | |
„Die Neger hungern“, sagt eine Nonne, während sie Ruby dazu zwingt, ihr | |
eigenes Erbrochenes zu essen, ein Erzieher macht Martin mit dem Satz | |
„Bedankt euch bei dem Kameradenschwein“ zum Sündenbock. | |
Es gelingt Frosch nicht, den Heimfilm-Konventionen zu entkommen. So bedient | |
er sich für Rubys Leidensgeschichte bei Peter Mullans „Die unbarmherzigen | |
Schwestern“ (2002). Auch Martin durchlebt eine durch Literatur und Film | |
bekannte Erziehungstortur. Der Akt endet mit einem optischen Knalleffekt: | |
Die Leinwand wird signalrot wie bei einem Zwischenschnitt von Godard – und | |
der Film wechselt von Schwarzweiß zur Farbe. | |
Im abschließenden Drittel ist Ruby erwachsen geworden, hat sich angepasst. | |
Die erfolgreiche Schlagersängerin ist dennoch unzufrieden, weil sie | |
eigentlich eine ganz andere Musik machen wollte. Der Besuch einer alten | |
Freundin, die mit ihr im Heim war, weckt Erinnerungen, gezeigt in einer | |
Reihe von Rückblenden. Dieses ständige Springen zwischen Zeitebenen und | |
Bildformaten ist unnötig kompliziert, die Form drängt sich in den | |
Vordergrund, die Liebesgeschichte verpufft. Vielleicht hätte Frosch den | |
Titel stilistisch befolgen sollen: „Von jetzt an kein Zurück“. | |
## Der Film läuft seit 12. März. | |
18 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
Wilfried Hippen | |
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