# taz.de -- Tabulose Ermittler: Gezielte Suche nach Zufallsfunden | |
> Die Polizei durchleuchtet nach Bengalo-Zwischenfall die Fanszene von | |
> Hannover 96 - und verschafft sich Einblick in intimste Daten von | |
> Ultra-Fans | |
Bild: Mittlerweile meiden Hannovers Ultras die Bundesligaspiele | |
HANNOVER taz | Das Urteil klingt milde. Amtsrichter Ingo Flasche aus | |
Wennigsen bei Hannover verurteilte am Freitag den Sparkassen Filialleiter | |
René G. wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz mit 15 | |
Tagessätzen zu 900 Euro Geldstrafe. G. habe Daten eines Polizisten in einen | |
Chat der Ultra-Fans von Hannover 96 gestellt. Die Strafe ist so | |
geringfügig, dass die nächste Instanz eine Berufung nicht annehmen muss. | |
Doch dahinter steckt ein brisanter Ermittlungs-Komplex der Polizei gegen | |
die Fanszene von Hannover 96. | |
Laut G.s Anwalt Andreas Hüttl hätte deshalb das Verfahren gar nicht | |
stattfinden dürfen. Für ihn hätten die bei der Ausspäh-Aktion gefundenen | |
Daten einem Beweiserhebungsverbot unterlegen. | |
Auslöser waren die Fan-Krawalle am 9. November 2013 beim Derby der | |
Bundesligisten Hannover 96 und Eintracht Braunschweig. In beiden Fanblöcken | |
wurden damals massiv Bengalos gezündet. Eine von der Polizei eingesetzte | |
Ermittlungsgruppe EG „Derby“ wertete die Bilder aus der | |
Stadion-Videoüberwachung aus. Gegen 14 Verdächtige aus Niedersachsen | |
beantragte die Staatsanwaltschaft daraufhin im April 2014 gerichtliche | |
Durchsuchungsbefehle. Der Tatvorwurf: „Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz | |
durch Abbrennen von Pyrotechnik“. | |
Bei den Durchsuchungen konzentrierten sich die Ermittler dann neben dem | |
Auffinden von „Täterkleidung“ aber vor allem auf digitale Datenträger – | |
also Computer, Tablets und Smartphones. Ziel war es angeblich, „Absprachen“ | |
der Fans beider Clubs und „Vertriebswege“ zur Beschaffung von Bengalos | |
aufzustöbern. | |
## Zehntausende Datensätze ausgewertet | |
Doch die EG Derby interessierte sich für alles. „Es sind verschiedene | |
Speichermedien bis teilweise 2010 rückwirkend ausgewertet worden, also auch | |
Daten, die weit vor dem Ermittlungszeitraum liegen“, sagt Verteidiger | |
Hüttl. Denn Braunschweig sei erst im Mai 2013 in die erste Liga | |
aufgestiegen. | |
Dennoch wertete die EG Derby gespeicherte Mails, SMS , Chat-Protokolle und | |
Verbindungsdaten mit zum Teil privaten und intimen Inhalten aus. 140 Geräte | |
und zehntausende Datensätze seien analysiert worden, berichteten später | |
EG-Ermittler. „Das ist ein massiver Grundrechtseingriff und ein bewusstes | |
Suchen nach Zufallsfunden“, kritisiert Hüttl. | |
Und da kommt sein Mandat René G. ins Spiel: Beim Spiel Hannover 96 gegen | |
Bayern München war im Oktober 2011 die Polizei in den 96-Fanblock gestürmt, | |
um Bengalos aufzustöbern. Es gab Auseinandersetzungen, bei denen ein | |
Polizist einen Fan so vom Zaum gestoßen hatte, dass er wohl schwer verletzt | |
worden wäre, hätten andere Fans ihn nicht aufgefangen. | |
Gegen den Polizisten wurde wegen Körperverletzung ermittelt. Als ein Fan am | |
1. August 2012 im Ultra-Chat berichtete, dass er am nächsten Tag gegen den | |
Polizisten vor der Polizei aussagen sollte, schrieb René G. im Chat, dass | |
dieser „bei einer Bank mit rotem Logo“ Kunde sei und aus Braunschweig | |
komme. Sonst nichts. „Das war keine Ehrverletzung oder Straftat nach dem | |
Datenschutzgesetz“, sagt Hüttl. | |
Die EG Derby habe sich mit ihren Ermittlungen gezielt Einblick in die | |
Fanszene verschafft, wie sie es sonst etwa in der linken Szene mache, sagt | |
Hüttl. Die Polizei gibt das zu: „Die gewonnen Erkenntnisse der EG ,Derby‘ | |
ergaben einen Einblick in die Fanstrukturen“, sagte Hannovers | |
Polizeisprecher Holger Hilgenberg nach 22 Hausdurchsuchungen. Die | |
intensiven Ermittlungen hätten dazu geführt, dass die aktive 96-Fanszene | |
die Bundesligaspiele derzeit meide. | |
Mindestens acht Verfahren sind nach „Zufallsfunden“ eingeleitet worden. | |
„Das war ein geplanter Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung“, | |
kritisiert Hüttl. Sollte das Landgericht Hannover die Berufung nicht | |
annehmen, will der Jurist vors Bundesverfassungsgericht ziehen. „Was da | |
passiert ist, geht so nicht“, sagt er. „Das war eine Struktur-Ermittlung | |
gegen die Fanszene und vom Durchsuchungsbeschluss nicht gedeckt.“ | |
24 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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