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# taz.de -- Vor hundert Jahren: Die ersten Grünen
> Am 27. März 1915 kaufte der Zweckverband Groß-Berlin 10.000 Hektar Wald,
> um den Grunewald zu retten. Wäre ein solcher „Dauerwaldvertrag“ heute
> noch möglich?
Bild: Angela Merkel würdigte schon 2006 beim "Tag des Baumes" den Grunewald.
Um die Havelchaussee wird Berlin beneidet. Fast elf Kilometer schmiegt sich
die zwischen 1876 und 1885 angelegte Straße entlang der Havelseen durch den
Grunewald. Heute ist sie ein Paradies für Radfahrer. „Als Erholungsstraße
war die Havelchaussee aber nicht gedacht“, sagt Angela von Lührte und
erinnert daran, dass der Straßenbau zu Kaisers Zeiten vor allem ein
Immobilienprojekt war. „Die Havelchaussee sollte helfen, den Grunewald als
Bauland für neue Villenkolonien zu erschließen. Dem aber wurde durch den
Dauerwaldvertrag von 1915 ein Riegel vorgeschoben.“
Angela von Lührte ist die Waldexpertin des Bundes für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin – und als solche hat sie derzeit
viel zu tun. Am 27. März jährt sich zum hundertsten Mal ein Kaufvertrag,
der das Gesicht Berlins wie kein anderer verändert – oder besser: erhalten
– hat. 10.000 Hektar Wald kaufte der sogenannte Zweckverband Groß-Berlin
vom preußischen Fiskus. Ein bis dahin beispielloser Kraftakt, mit dem es
gelang, die Umwandlung von Waldgebieten in Bauland zu stoppen.
„Wäre er nicht abgeschlossen worden‘“, sagt von Lührte, „würde es he…
Grunewald so aussehen wie rund um den Hubertussee, den Dianasee oder den
Herthasee“: luxuriöses Wohnen im Grünen. Dafür keine Naherholung mehr für
den Rest der Bevölkerung. „Es war die erste Umweltbewegung in Berlin, die
das verhindert hat“, freut sich von Lührte. Heute besteht ein Drittel der
Fläche von Berlin aus Grün und Wald – so viel wie von keiner anderen
Großstadt in Europa.
## Expansion nach Westen
Als die Havelchaussee gebaut wurde, war Berlin noch weit weg. Das zeigt ein
Stadtplan von 1875. Das Brandenburger Tor markierte die Stadtgrenze.
Westlich des Brandenburger Tors schloss sich der Tiergarten an, das
selbstständige Charlottenburg war mit 25.000 Einwohnern klein, aber fein.
Doch die Expansion der Millionenmetropole nach Westen war schon ausgemachte
Sache. 1862 war der Hobrecht-Plan fertiggestellt worden – er sah eine
dichte Bebauung Charlottenburgs bis zum Lietzensee vor. Als Berlin dann
1871 Reichshauptstadt wurde, kannte der Expansionsdrang keine Grenzen.
Höhepunkt war ein Vertrag, den der preußische Staat später mit der
Kurfürstendamm-Gesellschaft abschloss. 234 Hektar wurden an die
Immobiliengesellschaft verkauft – Bismarck persönlich hatte den Deal
eingefädelt.
Die Ähnlichkeit zur jetzigen Zeit, sagt BUND-Waldexpertin Angela von
Lührte, ist nicht von der Hand zu weisen. „Berlin wuchs, die Wohnungsnot
nahm zu, die Bauspekulation ebenso.“ Äcker, Felder und Brachen wurden von
den Terraingesellschaften gekauft und zu Bauland gemacht. „Heute geht es um
die Bebauung der Elisabethaue in Pankow oder der Buckower Felder in
Neukölln“, meint von Lührte.
Und damals wie heute gab es Proteste gegen den Verlust an
Naherholungsflächen. „Es entstand die erste Umweltbewegung Berlins“, sagt
Angela von Lührte und erinnert daran, dass 1904 gegen eine weitere Bebauung
des Grunewalds 30.000 Unterschriften gesammelt worden waren. „Der Grunewald
ist dem Verderben geweiht“, hieß es in einer Groß-Lichterfelder Zeitung.
„Der Widerstand jedenfalls wuchs“, sagt von Lührte. 1909 fand ein
„Waldschutztag“ statt. Sein Motto: „Gegen rücksichtslose Spekulation und
Waldvernichtung“. Allein in diesem Jahr waren im Grunewald 1.800 Hektar in
Bauland umgewandelt worden. Außerdem sollten 4.000 Hektar des Waldes rechts
und links der neuen Heerstraße parzelliert werden. Das war auf einer
Debatte im Preußischen Haus der Abgeordneten am 13. September 1909 bekannt
geworden.
## Die Politik wacht auf
Den wachsenden Unmut in Berlin und den umliegenden Städten wie
Charlottenburg konnte auch die Politik nicht ignorieren. Um weitere
Kapazitäten für die Abwasserentsorgung zu schaffen, hatte Berlin bereits
17.560 Hektar Flächen für die Anlage von Rieselfeldern sowie 3.000 Hektar
Wald gekauft. Erstmals wurde eine Forstverwaltung gegründet, die
Vorläuferin der heutigen Berliner Forsten. Stadt und Bürger zogen nun an
einem Strang.
Auf der anderen Seite stand der preußische Staat. Der hatte schon zuvor
versucht, das ehemalige Kasernengelände am Tempelhofer Feld teuer als
Bauland zu verkaufen – war aber am Widerstand des Magistrats gescheitert.
Als bekannt wurde, dass neben den Verkäufen im Grunewald weitere
Waldflächen zur Disposition standen, bemühte sich der Magistrat erstmals
selber um die Grundstücke. Vorbild war ein Vertrag, den die Stadt
Charlottenburg mit dem preußischen Staat geschlossen hatte, um den
Volkspark Jungfernheide vor der Bebauung zu retten. Doch das Problem war,
dass die Kommunen nicht mit einer Stimme sprachen; Preußen hatte es immer
wieder leicht, die Städte und Gemeinden gegeneinander auszuspielen.
Das änderte sich, als 1911 der Zweckverband Groß-Berlin geschaffen wurde.
Im Grunde war dieses Netzwerk eine Notlösung. Weil sich die reichen
Umlandgemeinden gewehrt hatten, war eine Erweiterung Berlins immer wieder
gescheitert. Wenn es schon kein Groß-Berlin gab, sollte nun wenigstens der
Zweckverband dafür sorgen, dass im Berliner Ballungsgebiet mit seinen mehr
als vier Millionen Einwohnern neue Stadtbahnstrecken gebaut und dringende
Themen wie die Wasserent- und -versorgung angegangen wurden.
Aber auch die Naherholung gehörte zu den Aufgaben des Zweckverbands. Gleich
nach seiner Gründung richtete der Verband ein Kaufgesuch an die preußische
Regierung, um die durch Bebauung bedrohten Flächen im Grunewald zu
schützen. Doch die 179 Millionen Goldmark für insgesamt 11.200 Hektar Wald,
die der Fiskus verlangte, waren nicht zu stemmen.
Der zweite Versuch war dann erfolgreich. Nach einer Intervention des
Kaisers verkaufte der Fiskus 10.000 Hektar für 50 Millionen Goldmark. Fünf
Millionen musste der Zweckverband sofort zahlen, den Rest in Jahresraten
von drei Millionen.
Der Vertrag, der am 27. März 1915 geschlossen wurde, war eine Kehrtwende,
denn nun waren nicht nur die verbliebenen Teile des Grunewalds gesichert,
sondern auch andere Wälder in Köpenick, Tegel und Grünau, wie der Berliner
Forstrat Martin Klees damals festhielt: „Im Vertrage verpflichtete sich der
Zweckverband Groß-Berlin, die gekauften Grundstücke in ihrem wesentlichen
Bestande als Waldgelände zu erhalten.“
## Hundert Jahre später
Auch Tilmann Heuser sieht Parallelen zu damals. Heuser ist nicht nur der
Chef des Berliner BUND, sondern koordiniert im Auftrag von
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) auch die Bürgerbeteiligung
auf dem Tempelhofer Feld.
Der erfolgreiche Volksentscheid gegen die Bebauung des ehemaligen
Flughafens von 2014 ist für Heuser nicht nur der zweite Sieg, den der
Naturschutz auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz seit 1909 davongetragen
hat. Er ist auch Hinweis darauf, dass es eine Schieflage gibt zwischen dem
Wunsch der Politik, immer mehr Freiflächen für den Wohnungsbau zu opfern,
und dem Anliegen der Bürger, nicht noch weiter auf Erholungsflächen
verzichten zu müssen.
„Im Grunde“, sagt Heuser, „brauchen wir einen neuen Dauerwaldvertrag.“ …
müsse sich als Stadtgesellschaft darüber verständigen, in welchem Umfang
gebaut werden kann und wo die Grenzen sind. „Mit der gleichen Energie, mit
der man Bauflächen sichert, müssen auch Freiflächen gesichert werden“,
fordert Heuser.
Aber wie kann ein neuer Dauerwaldvertrag aussehen? Und was müsste er
leisten? Vor allem aber: Ist die Politik bereit zu einem zweiten solchen
Kraftakt?
Matthias Kollatz-Ahnen ist wahrscheinlich der einzige Finanzminister in
Deutschland, der aus dem Stegreif heraus den Inhalt des 1915 vereinbarten
Gesellschaftsvertrags wiedergeben kann. „Die Initiatoren des
Dauerwaldvertrages haben vor hundert Jahren eine weitsichtige Entscheidung
getroffen“, sagt der SPD-Politiker, der seit Dezember 2014 Finanzsenator
ist.
## Senat wiegelt ab
Für Kollatz-Ahnen ist klar: „Mit dem Dauerwaldvertrag wurden riesige
Waldgebiete vor einer kommerziellen Nutzung oder gar Abholzung und Bebauung
geschützt und so als Naherholungsgebiet und grüne Lunge der Stadt dauerhaft
gesichert.“ Angesichts der damaligen Wachstumsdynamik der Stadt und der für
den Waldkauf aufgewendeten Geldmittel sei das eine „gewaltige Leistung“
gewesen.
Doch das ist Geschichte. Wie sieht es in der Gegenwart aus? Da wird
Kollatz-Ahnen etwas vorsichtiger. Heute, sagt er, müsse man nicht mehr
unbedingt Flächen kaufen, um sie zu schützen. „Naherholungsgebiete können
ja auch durch rechtliche Vorgaben gesichert werden, ohne dass sie zwingend
im Eigentum der Stadt sein müssen“, argumentiert Berlins oberster
Finanzwart. So hindere etwa die planungsrechtliche Ausweisung als Grün die
jeweiligen Grundstückseigentümer, die in dem betreffenden Gebiet
Grundstücke haben, an einer Bebauung.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Seit Langem schon kämpfen in
Charlottenburg-Wilmersdorf, der Keimzelle der Berliner Umweltbewegung, die
Bürgerinnen und Bürger für den Erhalt der Kleingartenkolonie Oeynhausen.
Berlins ältestes Laubenpieperidyll soll abgerissen und von der
Immobiliengruppe Groth mit Wohnungen bebaut werden. Zwar war ein
Bürgerentscheid für den Erhalt erfolgreich, doch davon lässt sich die
Politik nicht beeindrucken. Zu groß ist die Angst vor einer
Schadenersatzforderung in Millionenhöhe.
## Bauland bringt Geld
Und dann sind da noch die Berliner Friedhöfe. Alleine beim Evangelischen
Friedhofsverband Berlin Stadtmitte mit seinen 44 Flächen letzter
Ruhestätten könnten mittelfristig 40 Prozent der 251 Hektar aufgegeben und
bebaut werden. Der Grund: Die meisten Berliner bevorzugen inzwischen eine
platzsparende Urnenbestattung. Die Kosten der Pflege für Bäume aber
steigen. Für die kirchlichen und öffentlichen Träger ist das eine einfache
Rechnung. Bauland bringt Geld, das sonst fehlt.
Aber was bedeutet das für die Menschen? Wie verändert sich die Stadt, wenn
sie allenthalben dem Diktat der finanziellen Verwertung folgt – auf
Bahnflächen, Brachen, Äckern, Uferflächen und nun sogar auf Friedhöfen? Ist
es wirklich so, wie die Politik glauben machen will? Auf der einen Seite
das Gemeinwohl, also der Neubau von Wohnungen? Und auf der anderen die
egoistischen Partikularinteressen der Anwohner?
Leonie Baumann will das nicht gelten lassen. „Immer wieder wird um einzelne
Grundstücke gefeilscht, und am Ende geht es immer um den Sachzwang, nämlich
das Bauen“, sagt sie. „Mit der gleichen Argumentation könnte man auch den
Großen Tiergarten zubauen. Dabei ist doch jedem klar, dass es Bereiche
geben muss, die vor Bodenspekulation geschützt werden müssen. Damals wie
heute.“
Baumann ist in ihrem Hauptberuf Rektorin der Kunsthochschule Weißensee.
Aber auch als Stadtaktivistin macht sie von sich reden. 2011 hat sie das
Netzwerk „Stadt Neudenken“ mitgegründet, das sich einer
gemeinwohlorientierte Liegenschaftspolitik verschrieben hat. Seitdem sitzt
sie auch am runden Tisch zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik im
Abgeordnetenhauses – und musste miterleben, wie lange es dauert, bis ein
großes Thema in den Niederungen der Politik ankommt.
Das aber hält Baumann nicht davon ab, einen neuen Wurf zu fordern, so wie
damals vor hundert Jahren. „Trotz des Zuzugs wird Berlin eine sozial labile
Stadt bleiben“, ist Leonie Baumann überzeugt. „Darauf muss die
Flächenpolitik reagieren. Dazu gehört auch das Grün und all das, was
Menschen mit wenig Geld brauchen, um ihr physisches und psychisches
Gleichgewicht zu behalten.“
Die Forderung Baumanns: „Wir müssen uns verständigen, welche Freiflächen
wir sichern wollen. Und wir müssen auch neue ausweisen.“ Das aber könnte
schwierig werden. Denn schon der Schutz der bestehenden Natur- und
Landschaftsschutzgebiete ist kaum zu bewältigen. In der Umweltverwaltung
ist dafür nur eine Stelle vorgesehen. Die betreffende Person muss zudem die
bestehenden Verordnungen für die Schutzgebiete überarbeiten. Bis das getan
sei, bekommen Umweltschützer zu hören, könnten keine neuen Gebiete
ausgewiesen werden. Dabei liegen die Gutachten längst vor, etwa für die
Erweiterung des Landschaftsschutzgebiets Tiefwerder Wiesen am Ufer der
Havel in Spandau.
Andreas Geisel hält dennoch an seiner Linie fest. „Die Sicherung der
Naherholung erfolgt heute auch über die planerische Vorsorge“, sagt der
SPD-Senator für Stadtentwicklung, der sowohl für das Bauen als auch für den
Umweltschutz verantwortlich ist. Es sind die gleichen Argumente, die auch
der Finanzsenator bemüht. Die planerischen Instrumente, die es derzeit gibt
– Landschaftsprogramm, Strategie Stadtlandschaften, Biodiversitätsstrategie
– reichten aus.
Auch Andreas Geisel lobt den Dauerwaldvertrag von 1915. „Wir können stolz
auf unsere Mütter und Väter und diese vorausschauende Freiraumpolitik
sein.“ Ein neuer Dauerwaldvertrag, eine neuer Stadtvertrag, der Grau und
Grün in eine neue Balance bringt, muss seiner Ansicht nach aber nicht her.
Das sehen Leonie Baumann und der BUND anders. „Wir wissen doch noch nicht
einmal, welche Flächen den Bezirken und dem Land Berlin gehören“, sagt die
Rektorin der Kunsthochschule. Tilmann Heuser ergänzt: „Wir müssen erst
einmal die Flächen bilanzieren und dann entscheiden, welche für die soziale
und ökologische Balance so wichtig sind, dass sie gesichert werden müssen.
Und welche Flächen bebaut werden können.“ Ein Stadtentwicklungsplan Grün,
der parallel zum existierenden Stadtentwicklungsplan Wohnen erarbeitet
werden könnte, würde dabei zweifellos helfen. Schließlich könnte damit auch
der bislang bei jedem neuen Bauprojekt schwelende Konflikt zwischen
Investoren und vermeintlichen Investitionsfeinden entschärft werden.
Wer heute die Havelchaussee entlangfährt, wird dem wohl zustimmen.
Nirgendwo hat man einen solch großartigen Ausblick auf das Ufer, seine
Feuchtgebiete und Buchten, seine Strände, auf Wiesen und den Wald. Wäre es
nach dem preußischen Staat gegangen, würde es diesen Genuss heute nicht
geben. Die erste Berliner Umweltbewegung hat den Berlinern hier das Grün
erhalten.
24 Mar 2015
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Natur
Großer Tiergarten
taz
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