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# taz.de -- Syrischer Oppositioneller über Verwaltung: „Ingenieure statt Hel…
> Nader Othman, Vizepremier der oppositionellen Interimsregierung, über
> gewählte Provinzräte, Ersatzteile und den Aufbau einer Demokratie.
Bild: Zwei Männer der Freien Syrische Armee in den Straßen von Aleppo im Janu…
taz: Herr Othman, was tun Sie konkret für die Menschen in Syrien?
Nader Othman: Die Interimsregierung versucht, in den von der Opposition
kontrollierten Gebieten Dienstleistungen anzubieten und eine zivile
Verwaltung wiederaufzubauen. Nach vier Jahren haben die Leute es satt, mal
von dieser, mal von jener Brigade regiert zu werden, sie wissen zivile
Verwaltung sehr zu schätzen.
Wo in Syrien sind Sie präsent?
Mit unseren Leuten erreichen wir etwa 40 Prozent des syrischen
Staatsgebietes. Große Teile der Provinzen Aleppo und Idlib, Gebiete um Homs
und Hama, im Süden die Provinzen Daraa und Quneitra, das Umland von
Damaskus.
In diesen Gebieten kämpft auch die Nusra-Front, ein Al-Qaida-Ableger. Die
gemäßigten Rebellen unterliegen ihr inzwischen vielerorts.
Die Nusra-Front lässt unsere Mitarbeiter gewähren. Sie können vor Ort
Stromnetze reparieren oder die Wasserversorgung wiederherstellen. Nusra
weiß, dass unsere Leute nur kommen, um den Menschen zu helfen.
Wer arbeitet in Syrien für die Interimsregierung?
Wir haben etwa 3.000 Angestellte in Syrien. Die Hälfte von ihnen sind
Mitglieder der lokalen Räte, die anderen sind Ingenieure und Techniker. Wir
arbeiten mit 464 Lokalen Räten und Stadtverwaltungen zusammen und haben 55
Direktorate gegründet – für Wasser, Strom, Telekommunikation, Gesundheit
und Bildung. Unsere Experten waren früher beim Assad-Regime angestellt. Sie
kennen die Netzwerke, die Probleme und die Ersatzteile, die man zur
Reparatur braucht.
Wer finanziert Ihre Organisation?
Kein Land unterstützt uns direkt, wir hatten nur eine einmalige Spende von
Katar. Natürlich gibt die Welt viel Geld aus für Syrien, aber die
Regierungen gehen dabei lieber über große NGOs, die 40 Prozent des Geldes
für ihre Verwaltung brauchen. Diese NGOs wollen gerne mit den lokalen Räten
im Land arbeiten. Deshalb versuchen wir, die Räte professioneller zu machen
und Leute auszubilden, die zur Verantwortung gezogen werden können. Dafür
müssen sie in einem demokratischen Prozess gewählt oder ernannt werden.
Wie sollen denn mitten im Krieg demokratische Strukturen entstehen?
Wir haben freie und demokratische Wahlen für acht Provinzräte organisiert.
Als Letzter wurde der Provinzrat von Hama gewählt, das ist erst ein paar
Wochen her. Es war ein voller Erfolg und wir sind stolz, denn die Leute
praktizieren etwas, das ihnen jahrzehntelang verwehrt war. Eine freie Wahl
in Syrien nach 50 Jahren Diktatur, das ist eine starke Botschaft.
Wie ist das abgelaufen?
Es hat eineinhalb Jahre gedauert, denn wir haben einen langwierigen
Auswahlprozess gestartet, um jeden ins Boot zu holen. Alle einflussreichen
Gruppen vor Ort – ethnische, religiöse und militärische, Stämme,
Berufsgruppen, Geschäftsleute – haben wir aufgefordert, sich zu beteiligen.
Sie haben eine Versammlung gebildet, die dann Vertreter für den Provinzrat
nominierte. Die Wahlen waren nach internationalen Standards transparent und
demokratisch.
Wo trafen sich die Vertreter?
Logistisch war es extrem schwierig, denn die Lage in den
rebellenkontrollierten Gebieten ist wegen Assads Luftangriffen sehr
unsicher. Man kann keine 400 Leute versammeln, ohne dass das Regime davon
erfährt. Deshalb fanden die meisten Wahlen außerhalb Syriens statt, in der
Türkei und in Jordanien. Für manche Provinzräte brauchte es drei Wahlgänge,
das kostete jedes Mal 200.000 Dollar.
200.000 Dollar pro Wahlgang? Könnte man das Geld nicht sinnvoller für
humanitäre Hilfe verwenden?
Ein Teil des Geldes für die Wahlen haben wir von Ländern bekommen, die
Demokratie fördern wollen. Und mit effektiven und demokratisch
legitimierten Strukturen kann man den Menschen viel besser helfen! Früher
gab es immer wieder Ärger und Chaos, denn manche Orte hatten drei Räte.
Jetzt haben wir acht gewählte Provinzräte, die transparent sind und zur
Rechenschaft gezogen werden können. Außerdem betrachten die Leute unser
Ministerium für Lokalverwaltung jetzt als Legitimitätsquelle.
Wirklich? Die Aktivisten vor Ort stehen der Interimsregierung doch zum Teil
kritisch gegenüber.
Anfangs gab es viel Widerstand. Aber auch die Aktivisten sind Teil der
Versammlung. Am Ende haben die Wahlen Qualität hervorgebracht. Denn die
gewählten Vertreter suchen sich für ihr Team Leute mit professionellem,
nicht unbedingt revolutionärem Hintergrund. Erst wollten alle, dass der
Held der Chef ist. Aber der Held kann meistens keine technischen Probleme
lösen. Das haben die Menschen inzwischen verstanden. Sie haben genug von
den Revolutions- und Facebook-Helden, sie wollen jetzt kompetentes
Personal, das den Alltag verbessert.
Warum dauerte es so lange, bis die Opposition den Syrern konkret hilft?
Sie machen die Interimsregierung für die Versäumnisse der Nationalen
Koalition verantwortlich, das ist nicht fair. Die Regierung hat bei Null
angefangen. Wenn jemand einen Laden eröffnet, misst man den Erfolg nicht im
ersten Jahr. Wir haben mit einer Gruppe von Ministern angefangen, sie
mussten ein Team bilden, auf Geld warten, die internen Regularien und
Strukturen aufbauen. Wir sind keine Regierung, die von einer früheren
übernimmt, nein, wir hatten nichts.
Jetzt sind die 50 Millionen US-Dollar aus Katar aufgebraucht, Sie stehen
vor dem finanziellen Aus.
Ja, wir haben einen Plan, Projekte und gewisse Strukturen im Land und
warten jetzt auf Unterstützung. Unsere höchste Priorität ist es, mit der
Regierung nach Syrien hineinzugehen, wir warten seit Ewigkeiten auf eine
Flugverbotszone, aber sie kommt nicht. Wir haben uns entschieden, trotzdem
zu gehen, aber mit einem anderen Ansatz, denn es ist sehr gefährlich.
Das Regime würde uns liebend gerne ausradieren, und die Sicherheit unserer
Mitarbeiter liegt uns am Herzen. Deswegen stehen wir in engem Kontakt mit
den Rebellen vor Ort. Die haben auch etwas gelernt – dass sie nicht
regieren und verwalten können, sondern nur kämpfen. Deshalb begrüßen sie es
zunehmend, wenn wir uns in ihren Gebieten um die Verwaltung kümmern. Wir
halten uns, so gut es geht, aus den politischen Diskussionen heraus. Was
wir wollen, ist, den Menschen helfen und Syrien als Land retten.
7 Apr 2015
## AUTOREN
Kristin Helberg
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Al-Nusra-Front
Baschar al-Assad
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