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# taz.de -- Grass' "Blechtrommel" auf der Bühne: Volksmusik zwischen Wäschele…
> Luk Percevals Inszenierung von Günter Grass’ „Die Blechtrommel“ am
> Hamburger Thalia Theater leistet noch weniger als eine Roman-Adaption.
> Sie unterschlägt die politischen Töne des Originals.
Bild: Weißer Riese, trommelnder Zwerg: Die Blechtrommel im Thalia-Theater.
HAMBURG taz | Weiße Wäsche, wohin das Auge reicht. Für unzählige Laken,
Hemden und Tücher sind ein Dutzend Leinen gespannt: quer und diagonal durch
den Raum. Einem Segel gleich winden sich die Schnüre in die Höhe und werden
so in den Wind der Geschichte gehisst. Einem reinen Gewissen gleich ist
diese Wäsche weiß und, ja, der Bühnenraum des Hamburger Thalia Theaters
scheint an diesem Abend sogar zu duften. Nach Wäschestärke, vielleicht auch
einfach nach der Waschkraft des „Weißen Riesen“. Denn diese ist ja
angeblich ungemein ergiebig.
Luk Perceval inszeniert in diesem auf den ersten Blick eindrucksvollen,
aber letztlich recht platten – und vor allem nur schmal bespielbaren – Bild
von Annette Kurz „Die Blechtrommel“. Es ist eine Adaption jenes berühmten
Stücks Nachkriegsliteratur, geschrieben von Günter Grass, erschienen 1959,
nun eingerichtet und selbstverständlich eingekürzt von Christine Bellingen
(Dramaturgie).
Tatsächlich leistet dieser Abend aber noch weniger als eine Roman-Adaption.
Er gleicht vielmehr einem statischen Singspiel voller Volksmusikeinlagen
(Musik: Lothar Müller, Martin von Allmen), bei dem die Darsteller nur für
kurze Augenblicke aus ihrer Unterforderung heraustreten dürfen. Tun sie
dies, geschieht es gleich mit voller Wucht und gleitet entsprechend schnell
in unfreiwillige Komik ab: Da wird etwa die Lehrerin Fräulein Spollenhauer
von Gabriele Maria Schmeide in ein so klischeelastiges Bild gepresst, dass
man am Ende meint, die Kreide auf der Schiefertafel quietschen zu hören,
während ihre auf Oskar Matzerath eintreten wollenden Beine ihre durch
pädagogisches Verständnis getarnten Aggressionen offenlegen.
Cathérine Seiffert wiederum gibt zunächst eine verdruckste Agnes Matzerath,
um im zweiten Teil des Abends als dick-gezopfte Maria Truczinski mit
schlesischem Sprachduktus das Oskarchen hinter vorgezogener Wäscheleine mit
einem plumpen Striptease zu verführen. Aus der Perspektive der Darsteller
mag ein solcher Theaterabend irgendwo zwischen erholsamer Routine und
deprimierendem Selbstwertgefühl angesiedelt sein.
Die 72-jährige Barbara Nüsse spielt Oskar Matzerath als altes Kind. Diese
Besetzungsidee ist nicht schlecht, doch auch Nüsse hat nicht viel zu tun.
Mit leerem Blick schlägt sie hin und wieder auf ihre um den Hals hängende
rot-weiße Blechtrommel ein, um gleich im Anschluss einen kehligen, fast
erstickten Schrei loszuwerden. Manchmal holt sie einzelne Protagonisten
hinter den Wäscheleinen hervor, um mit ihnen Erinnerungsszenen
nachzustellen und am Schluss murmelt sie nur mehr ein „Du bist schuld“ in
Endlosschleife.
Die meiste Zeit aber lauscht Nüsse, wie das restliche Ensemble und der Teil
des Publikums, der da noch nicht im Tiefschlaf versunken ist, der
Kindererzählerstimme aus dem Off, dieser wirklich eingängigen und sehr gut
gecasteten Jungsstimme (David Hofner). Die, wie der gesamte Abend, nicht
ohne Anlehnung an Volker Schlöndorffs Film „Die Blechtrommel“ aus dem Jahr
1979 auskommt. Es ist erstaunlich, dass es dieser Kinderstimme aus dem Off
gelingt, alle Figuren auf der Bühne an die Wand zu spielen und sämtliches
Bühnengeschehen zweitrangig zu machen. Grass’ bildstarke Sprache ist ein
Hörgenuss und Percevals Inszenierung ist ihr ehrfurchtsvoll ergeben.
Oskars Stimme erzählt den Roman aus der Erinnerungsperspektive, manchmal
werden zur Verstärkung der Grass’schen Worte dieselben auf die Weißwäsche
projiziert und diese dann dramatisch mittels Windmaschine aufgeblasen.
Manchmal wird der Text chorisch vom Ensemble nachgesprochen. Zumeist wird
aber lieber gesungen. Schwermütig und getragen. Von Liebe und Abschied. Von
Burgen, vom Warten im Regen und schwarzen Köchinnen.
„Morgenlieder, Abendlieder, Wanderlieder, Marienlieder“ listet Gretchen
Scheffler (Gabriela Maria Schmeide) gegen Ende auf. So mag der
Volksmusikmoment zwar im Grass-Text verbrieft sein, doch sorgt der von
Perceval inflationär eingesetzte Folklore-Jingle weder für theatrale
Spannung noch – und das ist viel schlimmer – für einen klaren
Interpretationsansatz. Die Kostüme (Ilse Vandenbussche) sind historisch
gehalten und Perceval schafft in knapp zwei Stunden eine so müde wie
ermüdende Nacherzählung des Romans, in der er sich von den opulenten
Filmbildern der Schlöndorff-Verfilmung leiten lässt.
Es ist schön, aus dem Programmheft zu erfahren, dass sich das Ensemble ins
Grass-Haus nach Lübeck aufgemacht hat. Es ist auch schön, dass sich das
Ensemble lange mit Günter Grass unterhalten hat, Fragen stellen konnte und
Antworten bekam. Es ist ebenfalls schön, dass der 87-jährige Grass
höchstpersönlich zur Premiere erschien und sich anschließend lobend über
die Inszenierung äußerte – wie seine Verlegerin Maria Sommer in einer
Pressemeldung verlauten ließ.
Weniger schön ist, dass Perceval sich beim Schlussapplaus hinter genau
jenem Autor und Nobelpreisträger vor möglichen Unmutsbekundungen aus dem
Publikum versteckte, dass er offenbar keine eigene Idee zu der fabelhaften
Matzerath-Saga hatte, dass er die politischen Töne des Romans komplett
unter den Tisch – vermutlich tief in den Wäschekorb – fallen ließ. Schade
auch, dass er es schließlich übers Herz brachte, ein so großartiges
Ensemble mit Alexander Simon als Alfred Matzerath und André Symanski als
Jan Brodski knappe zwei Stunden lang als ratlose Sing-Statisten auftreten
zu lassen, um damit theatrale Kunst zu behaupten.
## Nächste Vorstellungen: 14., 22., 29. April, 13., 16., 17. Mai
10 Apr 2015
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Hamburg
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Literatur
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