| # taz.de -- Aktivist Lühr über Wahl-Verweigerung: „Nichtwähler-Bashing ist… | |
| > Die Initiative Wahlabsage setzt sich für die Nichtwähler ein. | |
| > Mitbegründer Hartmut Lühr über unfaire Kritik, das kranke politische | |
| > System und Volksentscheide. | |
| Bild: Auch ein Nichtwähler: vor einem Wahllokal | |
| taz: Herr Lühr, was haben Sie gegen das Wählen? | |
| Hartmut Lühr: Überhaupt nichts. In meinen Augen sind Wähler völlig | |
| gleichwertige Menschen. Ich habe allerdings etwas gegen den Umgang mit | |
| Nichtwählern, aber da können die Wähler ja nichts dafür. Die Öffentlichkeit | |
| jedoch sehr wohl. | |
| Inwiefern? | |
| Damit meine ich auch die Medien. Das Nichtwähler-Bashing ist so platt und | |
| plakativ. Da werden Nichtwähler als dumm und politisch extrem dargestellt. | |
| Das wurde mir irgendwann zu viel. Die Initiative Wahlabsage wendet sich | |
| gegen unfaire Kritik und setzt sich ein für den Typus des bewussten | |
| Nichtwählers – davon gibt es viel mehr als man denkt. | |
| Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? | |
| Wir hatten zahlreiche Diskussionen im Tacheles, einem ehemaligen Kunst- und | |
| Veranstaltungszentrum in Berlin-Mitte, und die waren durchaus gut besucht. | |
| Warum wählen Sie nicht? | |
| Weil das politische System nicht reformwillig ist und man es nicht besser | |
| macht, wenn man alle vier Jahre eine Pseudo-Legitimation schafft. | |
| Wahlverweigerung ist ein Mittel, das Menschen wie mir zur Verfügung steht. | |
| Aber es heißt doch gerne, dass man so letztlich die rechten Parteien | |
| unterstützt. | |
| Das war eines der ersten Argumente, mit denen wir uns auseinanderzusetzen | |
| hatten, es kam immer wieder. Empirisch ist es jedoch überhaupt nicht | |
| bewiesen. Mit dem Erscheinen der AfD verstummt diese Kritik auch. Weil | |
| viele Linke jetzt ganz froh sind, wenn Leute ihr Kreuz nicht bei dieser | |
| Alternative machen. | |
| Was bedeutet es für Sie, die Wahl zu haben? | |
| Voraussetzung wäre eine ehrliche Diskussion darüber, woran das politische | |
| System krankt. Dass sich der politische, mediale, gewerkschaftliche und | |
| auch der Lobby-Komplex vom Rest der Gesellschaft entfernt hat, dürfte | |
| unverkennbar sein. Das System der parlamentarischen Demokratie ist auch für | |
| meine Initiative alternativlos. Aber über Modernisierungen zu diskutieren | |
| wäre eine Voraussetzung dafür, wieder wählen zu gehen. | |
| Was fordern Sie konkret? | |
| In Bremen kumuliert und panaschiert man seit 2011, wie in Hamburg auch: Das | |
| war vor sieben Jahren eine unserer konkreten Forderungen, damit man von der | |
| Listen-Diktatur der Parteien wegkommt. Als Einzelmaßnahme bleibt das aber | |
| lediglich Kosmetik, die zudem zu spät kommt: Der Zug ist längst abgefahren. | |
| Warum waren Sie dann dafür? | |
| Das war eine von mehreren Anregungen, grundsätzlich sind wir schon dafür. | |
| Von unseren Forderungen war das aber die schwächste, die am wenigsten weh | |
| tut. | |
| An welchem Punkt gehen Sie weiter? | |
| Die Partei der Nichtwähler, die nun leider in Bremen nicht antritt, fordert | |
| die Beschränkung der Mandatsdauer, mehr Volksentscheide und die Aufhebung | |
| des Fraktionszwangs. Das sind drei konkrete Punkte, über die man | |
| diskutieren sollte. Das bestehende System ist aber so dermaßen sakrosankt, | |
| dass man da offenbar nicht drüber nachdenken soll. | |
| Glauben Sie, Volksentscheide ändern das? | |
| Sie sind kein Allheilmittel, aber es findet ja noch nicht mal eine | |
| Diskussion darüber statt. Gegen unseren Slogan „Mehr Demokratie – weniger | |
| Politik“ kam viel Kritik, wobei die Medien noch interessiert waren, aus der | |
| Politik und vor allem von den Jugendorganisationen kam aber ganz schön | |
| Gegenwind. | |
| De facto spricht der Rückgang der Wahlbeteiligung, wie in Hamburg zuletzt | |
| auf 56,6 Prozent, aber eine klare Sprache. | |
| Ich wundere mich und da mache ich auch ein Kompliment an die Medien, dass | |
| sie das Nichtwähler-Phänomen im Moment nicht umzudeuten versuchen. Das ist | |
| zum Glück noch nicht passiert. Andererseits gibt es die Gefahr, wie in | |
| Bremen, das so dermaßen lange SPD-regiert ist, dass man das Wegbleiben | |
| vieler Wähler in eine vermeintliche Zufriedenheit umdeuten könnte. | |
| Wie erklären Sie sich das? | |
| Was die Parteien betreiben, ist in meinen Augen weitgehend Folklore. Dass | |
| die SPD nun besonders im Arbeitnehmermilieu und die CDU mehr im | |
| wirtschaftsfreundlichen Milieu verortet sein soll, glauben immer weniger | |
| Menschen und es wird ja auch durch Regierungspolitik widerlegt. | |
| Ein Beispiel? | |
| Gerade die SPD mit ihrer Agenda 2010 und die CDU mit ihrer Energiewende | |
| haben doch sehr gegen die Erwartungen ihrer Stammwähler verstoßen. Wir | |
| sagen den Leuten aber auch, dass sie sich diejenigen genau anschauen | |
| sollen, die so gegen die Nichtwähler wettern. | |
| An wen denken Sie da? | |
| An die politische Klasse, die viel zu verlieren hat. Es geht darum, | |
| Besitzstände zu wahren, und da sind wir dann auch wieder bei den Parteien, | |
| den Lobbyisten, den Medienvertretern und leider auch den Gewerkschaften, | |
| die sich im bestehenden System sehr kommod eingerichtet haben und dem | |
| Bedürfnis der Bürger nach Modernisierung und Veränderung sehr ablehnend | |
| gegenüberstehen, es sogar bekämpfen. | |
| 14 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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