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# taz.de -- Opposition in Brasilien: Rechtsruck mit Bibel, Blei und Bullen
> Totales Abtreibungsverbot, Verschärfung des Strafrechts, mehr Land für
> Großgrundbesitzer: Die Regierung schwächelt, die Konservativen freut's.
Bild: Werden die Evangelikalen bald regieren? So Gott will
RIO DE JANEIRO taz | BBB lautet die Abkürzung der Parlamentsfraktion, die
sich vorgenommen hat, das Rad der Geschichte in Brasilien zurückzudrehen.
Bisher stand BBB für Big Brother Brasil, der endlosen Erfolgsserie von
Voyeurismus-Fans. Jetzt macht das Kürzel als „Bancada Bíblia, Bala e Boi“
Furore, übersetzt: Fraktion der Bibel, der Gewehrkugel und der Rinder.
Es ist die unheilvolle Allianz von Evangelikalen und anderen Kirchenleuten,
die sich um traditionelle Familienwerte sorgen, mit Polizisten und
ehemaligen Soldaten, die an Recht und Ordnung durch Waffengewalt glauben.
Hinzu kommen die Agrarier, die den Profit der industriellen Landwirtschaft
auf Kosten der Umwelt, der Indígenas und der Kleinbauern steigern wollen.
Das erste große Rollback-Projekt hat bereits den Segen der
Verfassungskommission des Parlaments bekommen: Die Herabsetzung des Alters
für Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahre. Seit 20 Jahren geistert diese
Gesetzesinitiative durch die Gänge des Kongresses, konnte aber stets von
fortschrittlichen Abgeordneten geblockt werden.
Viele halten die Initiative für verfassungswidrig, Jugendrechtler und die
UNO befürchten, dass durch die populistische Maßnahme die Gefängnisse mit
ihren unhaltbaren Zuständen nur noch voller werden und noch weniger zu
einer Resozialisation beitragen. Jetzt liegt der Gesetzesvorschlag dem
Parlament und Senat zur Abstimmung vor.
Weitere Gesetzesinitiativen sind in der Warteschleife. Die
Null-Toleranz-Fraktion will die Möglichkeit von Alternativen zu Haftstrafen
verbieten und die ohnehin laxen Regeln für Waffenbesitz weiter lockern. Die
Bibeltreuen will ein Familienstatut verabschieden, um eine Angleichung der
Rechte homosexueller Paare zu verhindern.
## Mit 40 Prozent der Stimmen
Die ohnehin nur in wenigen Fällen (Vergewaltigung und Lebensgefahr für die
Mutter) legale Abtreibung soll zudem grundsätzlich verboten werden. Und ein
Verfassungszusatz soll die Demarkation von Indígena-Schutzgebieten dem
Kongress übertragen. Menschenrechtler befürchten, dass dadurch die
landwirtschaftlich nutzbare Fläche auf Kosten von Reservaten und des
Naturschutzes ausgeweitet würde.
Nach Ansicht der Abgeordneten Erika Kokay von der regierenden
Arbeiterpartei PT handelt es sich bei der BBB-Fraktion nicht nur um ein
Zweckbündnis. „Alle drei Sektoren teilen die gleiche erzkonservative
Ideologie. Ihnen geht es um die Durchsetzung eines traditionellen
patriarchalen Gesellschaftsmodells.“
Zusammen verfügen die BBB-Abgeordneten über rund 40 Prozent der Stimmen im
Parlament. Es fällt ihnen nicht schwer, Mehrheiten zustande zu bringen. Vor
allem, weil es dem unternehmerfreundlichen Evangelikalen Eduardo Cunha
gelang, den Parlamentsvorsitz an sich zu reißen. Zwar gehört er dem größten
Koalitionspartner der PT, der Zentrumspartei PMDB an. Doch gehört er zur
innerparteilichen Opposition gegen Präsidentin Dilma Rousseff und genießt
es sichtlich, der Regierung mit Abstimmungsniederlagen im Parlament das
Leben schwer zu machen. Seine streng konservative Agenda schmückt er gern
mit folkloristischen Initiativen. So will er einen „Tag des Hetero-Stolzes“
gesetzlich in Brasilien verankern, um ein „Zeichen gegen die grassierende
Heterophobie“ zu setzen.
Grund dieses Rollbacks gegen zahlreiche fortschrittliche Initiativen der
vergangenen zwölf Jahre PT-Regierung ist nicht nur der Rechtsruck bei den
Kongresswahlen im Oktober. Hinzu kommt die Schwäche der wiedergewählten
Regierung Rousseff. Wirtschaftskrise und Korruptionsskandale machen ihr
ebenso zu schaffen wie eine revanchistische Opposition, die im Einklang mit
Massenmedien und konservativen Demonstranten ein Amtsenthebungsverfahren
gegen die Präsidentin fordert.
Zum Machterhalt setzt Rousseff mangels eigenen Profils auf Koalitionen –
nicht zuletzt mit den Parteien, aus denen viele der BBB-Abgeordneten
stammen.
23 Apr 2015
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Evangelische Kirche
Dilma Rousseff
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Schwerpunkt Korruption
Paraguay
Lehrer
Schwerpunkt Korruption
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Brasilien
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