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# taz.de -- Unruhen in Baltimore: Die Nationalgarde und die Banden
> Im schwarz regierten Baltimore stirbt ein Schwarzer in Polizeigewahrsam.
> Jetzt arbeiten alle an Wegen aus der Krise – angeblich auch verfeindete
> Gangs.
Bild: Jubel in Baltimore: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sechs Polizist…
BALTIMORE taz | Auf dem linken Oberarm von Charles ist „Lieber Tod als
Schande“ eintätowiert. Auf seinem rechten Oberarm prangen ein Teufel mit
Flügeln sowie die Anfangsbuchstaben seiner Gang, die Bloods. Der 26-Jährige
sagt, dass er seit 13 Jahren dazugehört. Doch erst seit dieser Woche
verspürt er eine öffentliche Mission: Er will seine Stadt retten. Zu dem
Zweck hat seine Gang Waffenruhe mit ihren Erzfeinden, den Crips, getroffen.
„Wir haben uns vereinigt“, sagt Charles, „um unsere Community gegen weiße
Cops zu verteidigen, die Schwarze wie mich killen.“
Am Montag erlebte Baltimore die ersten Plünderungen und Brandschatzungen
seit dem Mord an Martin Luther King im Jahr 1968. Vorher war der 25-jährige
Afroamerikaner Freddie Gray in Polizeigewahrsam an einer
Wirbelsäulenverletzung gestorben.
Aus der Polizeizentrale verlautbarte, mehrere verfeindete Gangs hätten sich
zusammengetan, um Polizisten anzugreifen. Die Mitteilung sorgte für
zusätzliche Unruhe in der 600.000-Einwohner-Stadt. Die Bürgermeisterin
forderte Polizisten aus anderen Bundesstaaten sowie die militärische
Nationalgarde des eigenen Bundesstaats Maryland an und verhängte zudem den
Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre.
Schon am Tag danach erklärten Mitglieder der Bloods und der Crips, dass sie
keinerlei Angriffspläne auf Polizisten hegen. „Wenn wir tatsächlich
Polizisten töten wollten, könnten wir das tun. Schließlich sind wir
zahlenmäßig stärker als sie und haben mehr Waffen“, sagt der 26-jährige
Ezy, der sich ebenfalls zu den Bloods bekennt. Ein anderer junger Mann, der
sagt, er gehöre zu den Crips, fügt hinzu: „Wir haben uns vereinigt, um
Gutes zu tun.“
Nach ihren eigenen Darstellungen halten die Bloods und Crips gemeinsam
Teenager von neuen Plünderungen ab und sorgen dafür, dass die Leute abends
bei Beginn der Ausgangssperre nach Hause gehen.
## Ausweg gesucht
Seit dem Tod von Freddie Gray haben sich in Baltimore Bürgerrechtsgruppen,
Nachbarschaftsorganisationen und Kirchengemeinden zusammengetan, um Wege
aus der Krise zu finden. Sie organisieren Suppenküchen, Bürgerforen,
Demonstrationen und politische Andachten und abends stellen sich ihre
Aktivisten zwischen die wütenden jungen Leute und die „blaue Wand“ von
Polizisten.
Doch keine Allianz in Baltimore kam überraschender als das Zusammengehen
der beiden Gangs. Sie haben über die ganzen USA verstreut Gruppen und
bekämpfen sich eigentlich seit ihrer Gründung in den 60er Jahren in Los
Angeles bis auf das Messer. Christliche und muslimische Geistliche haben
bei der Anbahnung geholfen.
Die jungen Männer geben ihre Gangzugehörigkeit mit unterschiedlich farbigen
Halstüchern – bei den Bloods sind es rote, bei den Crips blaue Tücher – u…
mit Tätowierungen zur Kenntnis. Die Tücher tragen sie je nach Rang an
unterschiedlichen Körperstellen. Sie bezeichnen die Gangs als ihre
„Familie“. Und sie erzählen von Schwüren, in denen sie sich zu
lebenslänglicher Zugehörigkeit verpflichtet haben. Fast alle haben
Vorstrafen und viele waren im Gefängnis. Am häufigsten wegen illegalen
Waffenbesitzes und Drogenhandels.
## Armut, Arbeitslosigkeit, Drogen, Gewalt
Am Donnerstag dieser Woche treffen sich bei strahlendem Sonnenschein
mehrere Gangmitglieder auf der Pennsylvania Avenue, nah der North Avenue.
Die Straßenkreuzung liegt in einem schwarzen Ghetto, das aussieht, als
hätte die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre nicht stattgefunden.
Rundherum grassieren Armut, Arbeitslosigkeit, Drogenhandel, Gewalt. In
manchen Blocks ist jedes zweite Haus verlassen.
Der Blick geht durch kaputte Fenster, eingestürzte Zwischenetagen und ein
löchriges Dach direkt in den Himmel. In der Ferne ist das glänzende Dach
des Bank-of-America-Turms nah am Hafen von Baltimore zu sehen.
An der Kreuzung Pennsylvania und North sind am Montag ein Drogeriemarkt und
mehrere Getränkemärkte geplündert sowie die Schaufenster der letzten
verbliebenen Bibliothek des Stadtteils eingeschlagen worden. Seither ist
die Kreuzung der wichtigste Anlaufpunkt für Journalisten aus aller Welt
geworden.
„Klar beantworte ich Fragen“, sagt Charles von den Bloods. Unter seinem
weinroten Halstuch trägt er nackten Oberkörper. Ab seiner Hüfte ist alles
rot, von der Hose bis zu den Schuhen. In Hörweite stehen Polizisten mit
Helmen und Schilden dicht an dicht vor den Eingängen zu den wenigen
Geschäften, die geöffnet sind.
## Die größte Gang im Land
Auch der Duft der Joints, die manche Gangmitglieder rauchen, weht zu den
Polizisten hinüber. Einer versucht mit einem Vergleich zu erklären, was
eine Gang ausmacht. „Nehmen Sie die Polizei“, sagt er: „Das ist die grö�…
Gang im Land.“
Ein paar Schritte weiter bekennt sich Geno mit seinem Tuch zu den Crips.
Der 25-Jährige spricht über Polizeischikanen und -brutalität. Dass ihn
wegen einer „ungerechtfertigten Anklage“ jetzt „alle angucken“. Währen…
das beklagt, beobachtet er genießerisch den Hintern jedes Mädchens, das an
ihm vorbeischwingt. „Pretty“, kommentiert er immer wieder, „hübsch“.
Nicht alle glauben an das plötzliche Idyll, das die jungen Männer
beschreiben. Der 39-jährige Gregory McCoy war in seiner Jugend Heroindealer
und hat mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Heute ist er Pastor in der
Gemeinde True Worship Ministry. Er hält die jungen Männer für
„Delinquenten“, die ihre Stadtteile mit Erpressungen terrorisieren und
jetzt versuchen, Sympathie zu bekommen.
Immerhin: Freitagnachmittag gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie
allein gegen sechs Polizisten wegen eines Tötungsdelikts ermittelt. Das ist
eine wesentlich schärfere Herangehensweise als bei ähnlichen Fällen in
anderen Städten der USA. Das dürfte zumindest den akuten Konflikt nicht
weiter anheizen.
1 May 2015
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
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