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# taz.de -- Schauspielerin Laura Tonke: Im vierten Gang unterwegs
> „Spielen ist wie Autofahren“, sagt Laura Tonke. In „Hedi Schneider stec…
> fest“ überfällt ihre Figur die Angst – ausgerechnet beim Sex.
Bild: Antiheldin: Laura Tonke als Hedi Schneider mit Hans Löw als Uli in „He…
Hedi Schneider radelt eilig zur Arbeit. Außer Atem nimmt sie den Aufzug und
bleibt prompt darin stecken. Wieder kommt sie zu spät im Großraumbüro an,
wieder wird der kontrollsüchtige Chef Bemerkungen über die etwas
derangierte Frau im bunten Sternchenkleid machen. Sonja Heiss’ Film „Hedi
Schneider steckt fest“ beginnt wie ein Witz über die Tücken der schönen
neuen Arbeitswelt. Die sanfte Großstadtneurotikerin scheint sich ergeben zu
haben. Tolpatschig, sympathisch, wie abwesend kommt sie durch den Tag. Man
lacht mit ihr, nicht über sie.
Hedi Schneider ist alles in allem glücklich, so sieht es aus. Zuhause sitzt
sie mit ihrem Mann Uli (Hans Löw) und Söhnchen Finn (Leander Nitsche) auf
dem Teppich und spielt hingebungsvoll ein Piratenspiel. Die drei sind eine
verschworene Kinderzimmerbande, spielend lässt sich jeder Schatten auf
ihrem Rundum-Glück wegzaubern, auch Finns Frage, ob denn die Eltern eines
Tages sterben würden.
Dann aber überfällt Hedi die Angst, ausgerechnet beim Sex mit Uli. Sie kann
nicht sagen, was sie in Panik versetzt, aber dieses schwarze Loch in ihrer
vermeintlich sicheren Existenz verändert ihre Persönlichkeit, ihre
Beziehungen, ihre Geschichte radikal.
„Hedi hat sich lange ein gutes Leben gemacht, indem sie wahnsinnig
umgänglich war und zu selten Nein gesagt hat. Ich denke, sie hat sich nie
einem scharfen Wind ausgesetzt und dabei ihre Kontur verloren“, beschreibt
Laura Tonke ihr Bild von den inneren Turbulenzen der Hauptfigur, die sie in
Heiss’ Film verkörpert. „Wir mussten viel reflektierter sein als Hedi, um
zu verstehen, wie sie funktioniert. Man weiß nicht sicher, woher
Panikattacken kommen. Ich hatte das Gefühl, dass sie keine Grenzen ziehen
kann, vor allem nicht gegenüber ihrer übergriffigen Mutter, die sagt, sie
würde kalt duschen, wenn es ihr schlecht gehe.“
## Schick auf einer Drogenwolke schweben
Vier Jahre hat die Berliner Schauspielerin die Arbeit am Drehbuch
begleitet. Ursprünglich hätte die Protagonistin noch viel tiefer in die
Abhängigkeit von Medikamenten fallen sollen. Die bettlägerige Hedi schluckt
Pillen, die ihr ein besorgt blickender Psychiater für den Notfall
verschrieb, wie Smarties und spült mit einem großen Schluck Wein nach. Sie
macht sich schick und schwebt auf einer Drogen-Wolke durchs nächtliche
Frankfurt, um Uli auf einer Party zu treffen. Das geht nicht gut aus, ist
aber von absurder Komik.
„Über das Lachen kann ich größere Empathie für Hedi erreichen, man geht m…
ihrer Leichtigkeit und Verspieltheit mit und fällt dann tief mit ihr. Eine
Angststörung ist für alle Beteiligten schrecklich, weil man sie so schlecht
nachvollziehen kann. Das hat mich an der Rolle fasziniert.“
Laura Tonke wurde mit 15 Jahren für den Film „Ostkreuz“ (1991) von Michael
Klier entdeckt. „Immer wollte ich Schauspielerin werden“, sagt sie,
„’Ostkreuz‘ war meine Chance. Damals, 1991, sollte der Film noch heißen
,Mir gehört die Welt‘. Das war’s. Ich dachte, er läuft im Royal-Palast, a…
der größten Leinwand in Westberlin, aber tatsächlich lief er im Sputnik am
Südstern im vierten Stock, und trotzdem habe ich sofort gespürt, dass mich
die Arbeit mit Autorenfilmern interessiert.“
In Kliers Film sollte sie die Hände aus den Hosentaschen nehmen, auf keinen
Fall einen Schmollmund ziehen und den Satz sagen: „Und? Haben wir die
Wohnung?“ Sie spielte ein Mädchen, das kurz vor dem Mauerfall mit seiner
Mutter aus der DDR geflüchtet und nun in einem Containerdorf ohne
Perspektive steckengeblieben war. Michael Klier und die Kamerafrau Sophie
Maintigneux nahmen Tonke, wie sie war. Es folgten Filme von Tom Tykwer,
Thomas Arslan, Christoph Hochhäusler, Christopher Roth, daneben Tatort- und
Polizeiruf-Rollen und Fernsehspiele.
## Nie eine Schauspielschule besucht
Aufgesetztes Posieren bei Castings ist so wenig ihre Sache wie stures
Regie-Theater. Laura Tonke besuchte bewusst nie eine Schauspielschule,
sondern suchte Projekte, in denen sie sich wohlfühlte. Auch nach über
zwanzig Jahren in ihrem Beruf und reichlich Erfahrung mit den technischen
Bedingungen für gute Filmbilder besteht sie darauf, mit einer Portion
Intuition an ihre Rollen heranzugehen. Sie ist Mitglied im Theaterkollektiv
Gob Squad, das seine Inszenierungen in der Volksbühne und am HAU ohne Regie
gemeinsam gestaltet. „Spielen“, sagt Laura Tonke, „ist wie Autofahren. Ich
bin mir bewusst, dass ich im vierten Gang bin, aber ich mache einfach und
weiß, dass die Kamera da ist.“
Hat sie Hedi Schneiders Verzweiflung, ihre in Aberwitz verkleidete
Sterbensangst in sich selbst gesucht? Mit den mythischen Methoden des
Actors Studio fühlt sich Laura Tonke nicht wohl. Sie will ihre Figuren
verstehen: „Ich probiere eher, mir eine Figur herzuziehen, statt in sie
hinein zu schlüpfen. Nur wenn ich sie verstehe, kann ich auch für sie
einstehen.“
Hedi Schneiders Absturz verlangt ihr viele Facetten ab. Die Frau, die
scheinbar so sensibel ihren Arbeitsalltag bewältigt und die patente Mutter
und Partnerin gibt, beginnt mehr und mehr, die Menschen in ihrer Nähe unter
Druck zu setzen. So lange, bis Uli das Weite sucht.
Hedi Schneider, äußerlich die bunte Rebellin gegen Alltagsgrau, steigert
sich in ihre Regression und strapaziert die Geduld ihrer Familie bis zum
Eklat. Was folgt, ist eine Versuchsreihe mit einschlägigen
Therapieangeboten, die Sonja Heiss’ Film subtil dem Gelächter preisgibt, so
wenn beispielsweise ein Psychotherapeut, den Hedi aufsucht, flankiert von
zwei Plüschhockern in Schweinsgestalt auf seinem Sessel thront. Laura Tonke
mag ihre Antiheldin und das offene Ende des Films. „Die
Achtsamkeitsübungen, die Hedi helfen sollen, sind echt“, findet sie, „Seien
sie achtsam, spüren Sie den Moment! Das funktioniert.“
7 May 2015
## AUTOREN
Claudia Lenssen
## TAGS
Schauspiel
Film
Zwei im falschen Film
Deutsche Bahn
Depression
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