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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Der predigende Traumatherapeut
> Theologen in Berlin streiten derzeit um das Alte Testament. Gehört es zum
> christlichen Kanon? Diese Diskussion gibt es auch in der
> Palästinasolidarität.
Bild: Bietet genug Schrift für Diskussionen: das Alte Testament
In Berliner theologischen Fakultäten streitet sich derzeit die
ProfessorInnenschaft darüber, ob es antijüdisch ist, das Alte Testament aus
dem christlichen Kanon zu entfernen. Aber auch die deutsche
Palästinasolidarität, wie sie sich am Rande des Stuttgarter Kirchentages im
Juni präsentieren wird, ist von derlei Anwandlungen nicht frei. Mehr noch:
Sie kann dafür sogar einen jüdischen Kritiker des Alten Testaments
aufbieten – Mark Braverman. Wen? Braverman, Jahrgang 1958, ist ein
US-amerikanischer „Traumatherapeut“, predigt als Jude in christlichen
Kirchen und hat großes Verständnis für die antisemitische Charta der Hamas.
Braverman ist zudem „Executive Director“ von „Kairos USA“, einer Gruppe
evangelischer Christen, die sogar heute – in Zeiten der Bedrohung von
Palästinensern durch Banden des IS sowie von Assads Schergen –
ausschließlich die israelische Politik kritisieren. Dabei ist – das muss im
fünfzigsten Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel gesagt werden – Kritik am israelischen
Okkupationsregime unerlässlich: Im bis zum Junikrieg 1967 zum Staat
Jordanien gehörigen Westjordanland und Jerusalem siedeln inzwischen etwa
750.000 israelische Juden.
Das widerspricht internationalem Recht, politisch wird dadurch die Chance
für eine sogenannten Zweistaatenlösung immer unwahrscheinlicher. Die
israelische Siedlerbewegung, mit ihrem Kern des aus der nationalreligiösen
Partei hervorgegangenen „Gusch Emunim“, „Block der Getreuen“, beruft si…
zu ihrer Legitimierung kaum auf sicherheitspolitische Erwägungen, sondern –
gut fundamentalistisch – auf die biblischen Landverheißungen. Ihren
Argumenten haben sich auch christliche Theologen – keineswegs nur
evangelikale Fundamentalisten – angeschlossen.
Derlei Christenmenschen wollte Mark Braverman in einer, wie er meint,
jüdischen Sicht davon überzeugen, ihre Solidarität mit Israel aufzukündigen
und sie den Palästinensern zuzuwenden. Unter Berufung auf den hierzulande
weitgehend unbekannten, antijüdischen US-amerikanischen Alttestamentler
Walter Brueggemann geht es Braverman darum, Christen davon zu überzeugen,
das Alte Testament nicht so zu lesen, als sei es Teil des Evangeliums.
## Antijüdische Vorurteile
Sosehr nun seiner politischen Kritik an der völker- und
menschenrechtswidrigen Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels im
Westjordanland zuzustimmen ist, so sehr sind seine Argumente zu diesem
Zweck untauglich – untermauern sie doch lediglich antijüdische Vorurteile.
Einer seiner Gewährsleute ist der jüdische „Befreiungstheologe“ Marc Elli…
der in einer durchaus witzigen Wendung davor warnte, ein gleichsam
„konstantinisches“, das heißt staatsgebundenes Judentum zu unterstützen.
Psychotherapeut Braverman freilich, der sich auf Ellis beruft, verfügt
nicht über die theologischen Mittel, sein Programm „jüdisch“ zu begründen
und zwar deshalb nicht, weil er, anders als die „Rabbis for Human Rights“,
weder willens noch in der Lage ist, die universalistischen Gehalte der
hebräischen Bibel, die prophetische Verkündigung für seine Solidarität mit
den Palästinensern aufzubieten.
Stattdessen spricht er so, wie auch [1][im Berliner Theologenstreit]
argumentiert wird: „Die Tora“, so Braverman, „ist kein Evangelium.
Auserwählung ist nicht das Gleiche wie Gnade. Der alttestamentliche Bund
ist nicht das neutestamentliche Heilsgeschenk. Die Verheißung im Judentum
handelt nicht von der Vergebung der Sünde. Vielmehr geht es um Segnung in
dem Sinn, wie die antike Welt den Begriff verstand: um Volkstum,
Nachkommenschaft, Wohlstand und – im Fall des Judentums – Land.“
Das heißt: Die Tora ist nichts anderes als Ausdruck von gehobenem Egoismus.
Braverman argumentiert – wie sogar Rainer Stuhlmann, evangelischer Pfarrer
und Koordinator des ökumenischen Friedensdorfes „Nes Ammim“, selbst ein
scharfer Kritiker der israelischen Besatzungspolitik, festgestellt hat –
antijudaistisch. Derzeit wird viel über einen wieder erstarkenden
Antisemitismus diskutiert. Es wäre verwunderlich, wenn er ohne seinen
siamesischen Zwilling, den christlichen Antijudaismus, auskäme.
7 May 2015
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## AUTOREN
Micha Brumlik
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