| # taz.de -- Bibel-Streit an der Humboldt-Uni: Das Alte, das Neue und das Fremde | |
| > Über das Wesen des Alten Testaments streiten sich Professoren an der HU | |
| > in Berlin. Rhetorisch sollen in dem Disput auch Nazi-Vergleiche fallen. | |
| Bild: Er hat die Welt erlöst, sagt die Kirche. Nicht in allen Dingen sind sich… | |
| Es gibt ziemlich haarsträubende Stellen in der Bibel. Zum Beispiel die vom | |
| Propheten Elisa, dabei hatte der eine Glatze. Im Gegensatz zu seinem | |
| Kollegen Elia kennen ihn nur Insider, was an der Geschichte mit den Bären | |
| liegen dürfte. Elisa, so berichtet es das 2. Buch der Könige, ärgerte sich | |
| sehr über eine Gruppe kleiner Jungen, die ihn unterwegs verspotteten: | |
| „Kahlkopf!“, riefen sie. Und was machte der Prophet? Er „fluchte ihnen im | |
| Namen des Herrn. Da kamen zwei Bären aus dem Walde und zerrissen der Kinder | |
| zweiundvierzig.“ Ende der Geschichte. | |
| Dabei ist die Sache mit den Bären nur eine bizarre Randnotiz. Die | |
| Textsammlung, die Christen als Altes Testament bezeichnen und Juden als | |
| Tanach, enthält auch sonst genügend Schilderungen von Gewalt, die sich | |
| meist gegen die Feinde des Volkes Israel richtet – das Volk, das Gott | |
| erwählt, zum Partner gemacht hat, sozusagen. Zu Israels Gunsten greift | |
| dieser Gott gerne auch selbst in die Handlung ein, man denke nur an das | |
| Rote Meer, in dem er das Heer des Pharao ertränkt. | |
| Mit der Hauptfigur des Neuen Testaments – dem freundlichen Jesus, der bat, | |
| man solle seine Feinde lieben - passt das nicht so recht zusammen. Auch | |
| nicht mit dem Wirken des Paulus, der da sagte, die Erlösung gelte nicht nur | |
| Israel, sondern allen Völkern, und der gleich damit anfing, die Griechen zu | |
| bekehren. | |
| Aber sollte sich die noch junge christliche Kirche von den alten Schriften | |
| trennen? Die Entscheidung fiel dagegen aus. Die fünf Bücher Moses, die | |
| Erzählungen von den Propheten, die Psalmen, die Sprichwörter und das | |
| Hohelied blieben Teil des Kanons - jenes Textkorpus, das für die | |
| Verkündigung des Wortes Gottes verbindlich ist. | |
| ## Schwere rhetorische Geschütze | |
| Alles alte Kamellen? Von wegen. Mitten in Berlin, im Jahr 2015, erregt ein | |
| Streit über das Wesen des Alten Testaments die Gemüter. Professoren fahren | |
| schwere rhetorische Geschütze auf, von Nazi-Vergleichen ist die Rede. Die | |
| einen wollen diskutieren, die anderen lehnen das rundheraus ab. Der Ort, | |
| von dem die Wellen der Empörung ausgehen, ist die Theologische Fakultät der | |
| Humboldt-Universität, prominent gelegen zwischen Museumsinsel und | |
| Hackeschem Markt. | |
| Verantwortlich für den Aufruhr ist Notger Slenczka. Er hat eine der elf | |
| regulären Professuren an der Fakultät inne: „Systematische Theologie mit | |
| Schwerpunkt Dogmatik“ nennt sich sein Fachgebiet, er erforscht quasi das | |
| innerste Wesen des Glaubens. Schon 2013 hat Slenczka einen Text publiziert, | |
| mit dem er an einem alten Tabu rührt. Er stellt die Kanonizität des Alten | |
| Testaments in Frage, will sagen: Die alten Texte sollen nicht mehr als | |
| Gottes Wort an die Christenheit gelten. Nur zum tieferen Verständnis der | |
| Evangelien, der Erzählungen von Jesus Christus, sollen sie Teil der Bibel | |
| bleiben. „Theologieprofessor fordert die Abschaffung des Alten Testaments“, | |
| schrieb die FAZ. | |
| Harmlose intellektuelle Spielereien? Das sehen viele von Slenczkas Kollegen | |
| ganz anders. Aufs Tapet gebracht hat alles mit zweijähriger Verspätung der | |
| Pfarrer Friedhelm Pieper, Präsident des Deutschen Koordinierungsrats der | |
| Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR). Für ihn, der | |
| jüngst in einem Brandbrief einen „handfesten theologischen Skandal“ | |
| beschwor, hat Slenczka sich „zustimmend in die antijüdische Tradition des | |
| deutschen Protestantismus hinein(ge)stellt“, ja eine „Neuauflage des | |
| protestantischen Antijudaismus“ versucht. | |
| Slenczka schickte eine scharfe Erwiderung und bestritt den Vorwurf, aber | |
| Pieper bekam prominente Rückendeckung: Fünf von Slenczkas Kollegen in der | |
| Fakultät, darunter der Dekan, der Prodekan und ein ehemaliger HU-Präsident, | |
| distanzierten sich öffentlich von dessen brisanten Gedenkenspielen. | |
| „Historisch nicht zutreffend“ seien die, „theologisch inakzeptabel“, ja | |
| „gänzlich abwegig“. Die Thesen seien „einer forschungsgeschichtlich | |
| hochproblematischen, längst überwundenen Perspektive auf das Verhältnis | |
| zwischen Judentum und Christentum“ verpflichtet. | |
| ## „Klassischer Antijudaismus“ | |
| Vom Antijudaismus zum Antisemitismus ist der Weg nicht weit. In einem | |
| Artikel in der Jüdischen Allgemeine brachte der Frankfurter Publizist Micha | |
| Brumlik die Thesen Slenczkas in einen losen Zusammenhang mit dem | |
| Nazi-Theologen Emanuel Hirsch, der das Alte Testament einst als „undeutsch“ | |
| verleumdete. Zwar sei Slenczka kein klassischer Antijudaismus vorzuhalten, | |
| so Brumlik, jedoch ein „bewusster und gewollter Mangel an historischer | |
| Reflexion“. | |
| Auch Humboldt-Theologe Christoph Markschies, der die Universität von 2006 | |
| bis 2010 leitete, macht die NS-Parallele auf: „Die These, dass das Alte | |
| Testament in der christlichen Kirche keinen kanonischen Status haben | |
| sollte, wurde zum letzten Mal von nationalsozialistischen Theologen | |
| vertreten. Sie wurde durch den jüdisch-christlichen Dialog nach 1945 | |
| glücklicherweise schnell überwunden.“ | |
| An dieser Stelle sollten wir innehalten und noch einmal einen Blick auf | |
| Slenczkas ursprünglichen Text werfen (dem er längst weitere, apologetische | |
| hat folgen lassen). Der Dogmatiker - unter Theologen ist das bloß eine | |
| Berufsbezeichnung - hatte darin den Aussagen des Theologen Adolf von | |
| Harnack nachgespürt, der schon vor hundert Jahren die Frage aufwarf, was | |
| denn das Alte Testament einem Christen noch zu sagen habe. Slenczka: „Das | |
| Alte Testament insgesamt ist für Harnack Zeugnis einer ethnisch gebundenen | |
| Stammesreligion, die in ihren spätesten Zeugen über diese Partikularität | |
| hinausgeführt wird; die Universalität des Religiösen ist aber erst in Jesus | |
| von Nazareth erfasst und wird im Laufe der Christentumsgeschichte | |
| ausgearbeitet.“ | |
| An späterer Stelle schreibt der Theologe, seine Forderung nach | |
| Ent-Kanonisierung setze ja nur um, was im Tagesgeschäft der evangelischen | |
| Kirche ganz normal sei: „Es ist faktisch so, dass wir den Texten des Alten | |
| Testaments in unserer Frömmigkeitspraxis einen minderen Rang im Vergleich | |
| zu den Texten des Neuen Testaments zuerkennen – die üblichen | |
| Zuordnungsschemata reflektieren lediglich dieses deutliche 'Fremdeln' des | |
| frommen Selbstbewusstseins.“ | |
| Oha: Da „fremdelt“ jemand beim Lesen der Schriften einer „ethnisch | |
| gebundenen Stammesreligion“? Es dürfte auch der Klang solcher | |
| Formulierungen sein, der den Konflikt so zugespitzt hat. Er bringt Brumlik | |
| zu der Schlussfolgerung, dass, wer in religiösen Dingen vom „Fremden“ | |
| spreche, „nicht nur eine Grenze“ errichte, sondern auch fordere, „das | |
| 'Fremde' über diese Grenze abzuschieben“. Wer sich derart abschotte, | |
| kündige „die nach dem Holocaust langsam gewachsene mit- und | |
| zwischenmenschlichen Gemeinschaft von Juden und Christen als Religionen“. | |
| Und in den Worten von Christoph Markschies: „Die Aussage, das AT sei das | |
| 'Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularem Anspruch' ist ein Schlag | |
| ins Gesicht des Judentums und des jüdisch-christlichen Dialogs.“ | |
| ## Reden? Worüber denn? | |
| Zurück an die Fakultät. Da will Notger Slenczka den Vorwurf des | |
| Antijudaismus nicht auf sich sitzen lassen. Er hat seine Kontrahenten, | |
| namentlich Markschies, zum intellektuellen Duell aufgefordert - gerne auch | |
| öffentlich. Aber Markschies winkt ab. Einem Studenten gegenüber hat er | |
| erklärt, er nehme das Gesprächsangebot nicht an, weil man über „solche | |
| Thesen“ genauso wenig disktuiere „wie über die These, dass die Erde doch | |
| eine flache Scheibe ist“. Und gegenüber der taz bekräftigt er: „Nur weil | |
| jemand kommt und sagt: 'Ich verlange, dass über meine Thesen diskutiert | |
| wird', muss man nicht darüber diskutieren.“ Slenczkas These sei „vielfach | |
| gründlich widerlegt“. Ende der Debatte. | |
| Das ist starker Tobak. Allerdings sind nicht alle Kritiker Slenczkas so | |
| kategorisch. Er werde sich darum bemühen, „dass wir in eine sachliche und | |
| öffentliche Diskussion hineinfinden“, sagt Prodekan Wilhelm Gräb. Der | |
| „Fakultätsfrieden“ sei „leider gestört“, deshalb verweigere man sich … | |
| Debatte nicht. „Ich würde es aber sehr begrüßen“, so Gräb, „wenn das | |
| Problem nicht innerhalb der Fakultät bliebe, sondern wir auch Externe zur | |
| Teilnahme an dieser Auseinandersetzung gewinnen könnten.“ Wie Micha Brumlik | |
| zum Beispiel. | |
| Slenczka sieht sich derweil völlig im Recht. Ja, er dreht den Spieß um. | |
| Gerade diejenigen, die daran festhielten, dass das Alte Testament ein Teil | |
| der christlichen Erzählung sei, gerade jene ließen es doch an Respekt | |
| gegenüber dem Judentum mangeln: Sie vereinnahmten deren Schriften für sich! | |
| Er verweist auf die Barmer Erklärung, mit der sich die „Bekennende Kirche“ | |
| 1934 von den nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ absetzte. Eine | |
| Grundthese dieser Erklärung sei: „Im Alten Testament spricht Jesus Christus | |
| zu uns.“ Das aber, so der Theologe, sei „keine These, die Sie heute im | |
| jüdisch-christlichen Dialog von irgendeinem Theologen hören könnten, auch | |
| nicht von mir.“ | |
| Mit gutem Grund, so Slenczka, und verweist auf die antijüdischen Abgründe | |
| des Reformators: „Schauen Sie sich Luthers Schrift 'Von den Juden und ihren | |
| Lügen' an: Seine schlimmen Anwürfe gegen die Juden machen vielleicht fünf | |
| Seiten aus. Diese folgen aus rund 90 Seiten davor, und das sind | |
| christologische Auslegungen des Alten Testaments. Luther sagt, man müsse | |
| das Alte Testament von Christus her lesen - und daran, dass die Juden dem | |
| widersprechen, entzündet sich sein Zorn.“ | |
| Kommentar Christoph Markschies: „Keiner unserer jüdischen Gesprächspartner | |
| hat jemals verlangt, wir sollten dem Judentum das Alte Testament in solcher | |
| Weise zurückgeben.“ Und überhaupt, „der christliche Kanon, das war ja in | |
| den ersten 150 Jahren überhaupt nur das Alte Testament“. | |
| ## Peinliche Psalmen | |
| Alles ganz schön kompliziert. Ein Blick von außen kann da nicht schaden. | |
| Der gelernte Theologe Heinz-Werner Kubitza, der sich auf die | |
| Religionskritik verlegt hat, gibt Slenczka Recht, geht aber noch deutlich | |
| weiter. Jesus sei ein frommer Jude gewesen, so Kubitza, „aber was seine | |
| Gläubigen aus ihm gemacht haben, ist etwas völlig anderes und lässt sich | |
| mit dem alten Text nicht in Verbindung bringen“. Dass es den von Slenczka | |
| erwähnten Partikularismus im Alten Testament gebe, sei offenkundig: „Gott | |
| hat sich zu seinem Volk hingewandt, immer heißt es: 'Wir sind die | |
| richtigen, die anderen die falschen. In vielen Psalmen wird in absolut | |
| peinlicher Weise auf anderen Völkern herumgehackt, das ist heute gar nicht | |
| lesbar.“ | |
| Die Kirche, so Kubitza, versuche dennoch seit langem „krampfhaft | |
| sicherzustellen, dass das Alte Testament weiter dazugehört. Aber eigentlich | |
| handelt es sich um zwei verschiedene Religionen.“ Dies offen auszusprechen, | |
| sei freilich inopportun: „Da besteht bis heute ein großes Schuldgefühl - | |
| und zwar zu Recht." Die Kirche habe sich schließlich nicht erst im 19. | |
| Jahrhundert am Judentum schuldig gemacht, "schon im Johannesevangelium gibt | |
| es Antijudaismus“. Der Hass sei über die Jahrhunderte immer präsent | |
| gewesen, die deutschnationalen oder gleich nationalsozialistisch gesinnten | |
| Pfarrer der NS-Zeit nur der Kulminationspunkt. | |
| Vermintes Gelände, wohin man blickt. Hilft am Ende vielleicht doch, mal | |
| alle an einen Tisch zu holen? Für Christoph Markschies kein Thema: | |
| Natürlich könnten die Studierenden diese Diskussion führen. „Aber das muss | |
| man nun wirklich nicht öffentlich auf einer Wiese am Spreeufer tun.“ | |
| Notger Slenczka wirkt etwas resigniert: „Im Moment sind Gespräche wohl | |
| nicht sinnvoll. Der Konflikt muss sich erst einmal beruhigen und von diesem | |
| Aspekt weg, es gehe hier um Antijudaismus oder sogar um 'Nazinähe'." | |
| Slenczka wird wohl auf den Faktor Zeit setzen. „Mit meinen Thesen bin ich | |
| derzeit in der Tat ziemlich allein auf weiter Flur“, räumt er ein. „Aber: | |
| die Fragen, auf die ich damit antworte, stellen alle.“ | |
| 23 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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