| # taz.de -- Debatte TTIP: Irrealpolitik à la Gabriel | |
| > Sigmar Gabriel möchte einen Investitionsgerichtshof einrichten. Das ist | |
| > weltfremd, nicht justiziabel und undemokratisch. | |
| Bild: Ein Wandbild des Künstlers A. Signi in Köln | |
| Sigmar Gabriels Vorstoß, im Rahmen der Verhandlungen über die | |
| transatlantischen Freihandelsabkommen einen Investitionsschiedsgerichtshof | |
| zu etablieren, ist ein Akt der Verzweiflung. Der Bundeswirtschaftsminister | |
| versucht damit, die riesige Kluft zwischen den vermeintlichen Anforderungen | |
| transnationaler Wirtschaftspolitik und den rechtspolitischen Interessen der | |
| Sozialdemokratie, die ihm wiederum wirklich am Herzen liegen sollten, zu | |
| überwinden. Dass dieser Versuch schon nach wenigen Tagen als gescheitert | |
| gelten kann, zeigt das Plädoyer des Österreichischen Bundeskanzlers Faymann | |
| (SPÖ) Anfang dieser Woche, die ISDS-Klauseln (also die zu möglichen | |
| Streitbeilegungsverfahren) aus den Verträgen zu nehmen. | |
| Schwerer als die politischen Widerstände wiegt aber, dass Gabriels | |
| Vorschlag weit an den realpolitischen Machbarkeiten vorbeizielt; so weit, | |
| dass die Vermutung naheliegt, dass eine Umsetzung gar nicht gewollt ist. | |
| Der Bundeswirtschaftsminister zelebriert ein Manöver des „Als ob“, das sein | |
| Scheitern offenbar schon einkalkuliert hat, aber der rumorenden SPD-Basis | |
| demonstrieren will: Der Vorsitzende hat in Sachen Ceta und TTIP alles | |
| versucht, jetzt sind Kompromisse gefragt. Am sozialdemokratischen Wesen | |
| könne, so mahnte Gabriel schon vor Wochen, die Welt nicht genesen. | |
| Dabei scheint es, dass die Weltfremdheit der deutschen Sozialdemokratie gar | |
| nicht so sehr in dem Anspruch zum Ausdruck kommt, die transnationalen | |
| Verhältnisse sozial und demokratisch zu gestalten, sondern in der | |
| Gerichtshofinitiative des Parteivorsitzenden. Gabriels Vorschlag – der | |
| offensichtlich zwar nicht mit dem Sozialdemokraten Faymann, dafür aber mit | |
| der liberalen EU-Kommissarin Malmström abgestimmt ist – löst nämlich kein | |
| einziges der von TTIP-Kritikern benannten Probleme: Die undemokratische | |
| Entscheidungsstruktur der Ausschüsse bleibt unangetastet. | |
| Die Klausel zur „fairen und gerechten Behandlung“, über die transnationale | |
| Unternehmen eine privilegierte Stellung erhalten, soll zwar im Schutzumfang | |
| an das nationale Recht gebunden werden. Dann aber bedürfte es ihrer nicht, | |
| dann würde der Diskriminierungsschutz reichen. | |
| ## Zum Scheitern verurteilt | |
| Der Entwurf sagt zu solchen Ungereimtheiten nichts, die Gefahr der | |
| Aushöhlung sozialer Rechte durch die Freihandelsverträge bleibt damit | |
| evident. Gabriels Entwurf äußert sich auch nicht zur strukturellen | |
| Diskriminierung von Drittbetroffenen, die beispielsweise als Opfer von | |
| Menschenrechtsverletzungen durch Investitionen keine Möglichkeiten haben, | |
| ihre Rechte vor einem solchen Gerichtshof zu vertreten. Und am schwersten | |
| wiegt: Der Entwurf schweigt sich darüber aus, dass ein solcher Gerichtshof | |
| vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) niemals akzeptiert werden wird. | |
| Der EuGH hat Anfang des Jahres in einem Gutachten festgestellt, dass die EU | |
| sich nicht dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterwerfen | |
| darf. Wenn man die Begründung dieser Entscheidung liest, wird man leicht | |
| feststellen: Der EuGH wird weder Schiedsgerichte noch einen | |
| Investitionsgerichtshof neben sich akzeptieren. Man kann das in die | |
| Freihandelsverträge hineinschreiben, der EuGH wird es wieder | |
| hinausjudizieren. Gabriels Vorstoß und sein Musterentwurf sparen diese | |
| Frage – an der ihre Realisierbarkeit scheitert – denn auch explizit aus. | |
| Der Vorstoß des SPD-Vorsitzenden ist aber nicht nur in sich nicht stimmig. | |
| Er verweigert sich leider auch den rechtspolitischen Gestaltungsfragen der | |
| transnationalen Wirtschaftsverfassung. Der Eigentumsschutz ist durch die | |
| regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe gewährleistet. Der Europäische | |
| Gerichtshof für Menschenrechte schützt diese Rechte –auch von ausländischen | |
| Investoren. Er tut dies in einer ausgewogenen Weise und geht davon aus, | |
| dass „Eigentum verpflichtet“. Dieser Grundsatz wird, das ist absehbar, | |
| durch einen Investitionsgerichtshof bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt | |
| werden. Es wird zu Zuständigkeitskonflikten kommen, widersprechenden | |
| Urteilen und einem „forum shopping“, das es transnationalen Unternehmen | |
| ermöglicht, unterstützt durch transnationale Anwaltsfabriken, die | |
| demokratischen Entscheidungsverfahren über Jahre hinweg zu blockieren. | |
| ## Ein unrealistisches Wunschkonzert | |
| Und dabei bleiben die eigentlichen Notwendigkeiten, eine stärkere | |
| Verrechtlichung im Bereich der Menschenrechte herbeizuführen, | |
| unthematisiert: Warum nimmt Gabriel die aktuelle Debatte nicht zum Anlass, | |
| das von Deutschland maßgeblich mitgestaltete weltweite System des | |
| Investorenschutzes in Richtung sozialer und demokratischer Belange zu | |
| verändern? Warum weigert sich die Bundesregierung, das | |
| Individualbeschwerdeverfahren zum UN-Sozialpakt anzuerkennen? | |
| Warum wird das Kollektivbeschwerdeverfahren zur Europäischen Sozialcharta | |
| nicht akzeptiert? Was ist mit dem Zusatzprotokoll zur EMRK (Europäische | |
| Menschenrechtskonvention), das einen umfassenden Diskriminierungsschutz | |
| gewährleisten soll? Was tut die Bundesregierung, um die undemokratische und | |
| unsoziale Troika-Politik, die das gesamte europäische Integrationsprojekt | |
| diskreditiert, zu beenden? | |
| Kurzum: Eine SPD, die sich glaubhaft der sozialen Frage in der | |
| transnationalen Konstellation widmen will, müsste aufhören, ein | |
| unrealistisches Wunschkonzert für die Einrichtung eines transnationalen | |
| Investitionsgerichtshofs spielen zu lassen. Sie müsste sich für eine | |
| demokratische Weltwirtschaftsverfassung einsetzen. | |
| Diese Dinge sind kompliziert und brauchen einen langen Atem. Sie sind aber | |
| unumgänglich. Die Alternativen liegen jedenfalls auf dem Tisch: Der | |
| SPD-Vorsitzende Gabriel kann seine Partei dauerhaft im 20-Prozent-Loch | |
| festfahren und im sozialnationalistischen Teich von Pegida und anderen die | |
| Wählerinnen und Wähler abfischen, deren Ängste und Proteste der | |
| Bundeswirtschaftsminister durch den Beitrag zur Entfesselung marktradikaler | |
| Kräfte im transnationalen Raum mit hervorgerufen hat. Oder aber die SPD | |
| macht sich endlich auf, die politischen Herausforderungen jenseits des | |
| Nationalstaates und damit den Kampf um eine gerechte und soziale | |
| Weltwirtschaftsordnung anzunehmen. | |
| 10 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fischer-Lescano | |
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