Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Studie zum Einfluss der Sprache: Du denkst wie du sprichst
> Deutsch sprechende Menschen denken anders als Englisch sprechende, so
> eine Studie. Sie untersucht, wie Sprache unsere Sicht auf die Welt
> beeinflusst.
Bild: Auf Englisch denken wir anders als auf Deutsch.
BERLIN taz | Was ist Sprache? Sie besteht nicht nur aus Lauten und
Buchstaben. Sie ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sie beeinflusst
auch unser Denken. Wie eine [1][im März veröffentlichte Studie] der
Universität Lancaster zeigt, denken Englisch sprechende Menschen anders als
Deutsch sprechende Menschen, wenn sie eine Handlung beobachten.
Englisch sprechende Menschen konzentrieren sich eher auf den Verlauf einer
Handlung, während Deutsch sprechende eher das Ziel dieser wahrnehmen. Das
ist das Ergebnis eines Forscherteams um den Linguisten Panos
Athanasopoulos. Sie vermuteten, dass die ing–Form, mit der momentan
stattfindende Handlungen beschrieben werden, dazu führt, dass Handlungen
als weniger zielgerichtet angesehen werden als im Deutschen.
Um diese Hypothese zu verifizieren, bildete das Team drei
Vergleichsgruppen: 15 in Großbritannien lebende einsprachige
Englisch-Sprecher, 15 in Deutschland lebende einsprachige Deutsch-Sprecher,
sowie 30 zweisprachige Teilnehmer in beiden Ländern.
Den Versuchspersonen wurden jeweils drei kurze Videos vorgeführt. Im ersten
Film war eine Person zu sehen, die ziellos eine Landstraße entlang ging.
Der nächste Film zeigte eine Person, die zielstrebig auf ein Haus zuging
und dieses betrat. Im letzten Clip spazierte eine Person eine Straße
entlang, an deren Ende sich eine Auto befand. Ob sie gezielt auf den Wagen
zusteuerte, war unklar.
## Der Weg als Ziel?
Nachdem sie die drei Videos gesehen hatten, sollten die Probanden
entscheiden, ob das letzte Video mit dem parkenden Auto eher dem ersten
oder dem zweiten ähnelte. Am Ende sollte die zuletzt gezeigte Filmszene
beschreiben werden. Wie angenommen, interpretierten die Testpersonen das
Gesehene je nach Sprache verschieden.
40 Prozent der nur Deutsch sprechenden Probanden waren der Ansicht, dass
die Person gezielt auf das parkende Auto zugegangen sei. Bei den nur
Englisch sprechenden Teilnehmern sahen dagegen lediglich 25 Prozent eine
zielgerichtete Handlung.
Auch bei den 30 bilingualen Versuchspersonen, die zur Hälfte auf Deutsch
und auf Englisch getestet wurden, zeigten sich signifikante Unterschiede.
Beschrieben sie das Gesehene auf Englisch, sahen weniger Personen eine
zielgerichtete Handlung als bei den Personen, die den Test auf Deutsch
absolvierten.
In einem zweiten Experiment, dem die bilingualen Versuchspersonen
unterzogen wurden, mussten die Probanden eine Zahlenfolge wiederholen,
während sie die Videos anschauten. Dadurch sollte die Sprache, die zum
Aufsagen der Zahlen benutzt wurde, blockiert werden. Durch eine Blockade
der englischen Sprache, sahen mehr Personen eine zielgerichtete Handlung in
den Videos als bei einer Blockade der deutschen Sprache.
Das Forscherteam spricht daher von einem „höchst adaptiven und flexiblen
menschlichen Konzeptualisierungssystem, dass entschieden von der Sprache
beeinflusst wird.“ In anderen Worten: Du denkst wie du sprichst.
## Emotionslose Fremdsprache
Andere Forschungsergebnisse, die in den letzten Jahren veröffentlicht
wurden, untermauern diese These. So zeigte eine
[2][doi/10.1371/journal.pone.0094842&representation=PDF:2014 veröffentliche
Studie], dass wir in einer Fremdsprache nutzenorientiertere Entscheidungen
treffen als in der Muttersprache.
Die Bereitschaft, einen Menschen vor einen fahrenden Zug zu werfen, um fünf
andere Menschen zu retten, steigt, wenn man in einer Fremdsprache darüber
redet. Vermutlich weil die sogenannte emotionale Reaktivität in einer
Fremdsprache geringer ist als in der Muttersprache, so die Urheber der
Studie.
Die emotionale Distanz in der Fremdsprache zeigte sich ebenfalls in einem
[3][Experiment der Universität Chicago]. Die Versuchspersonen wurden mit
statistisch attraktiven Wettangeboten konfrontiert. Es zeigte sich, dass
sie in der Fremdsprache risikofreudiger als in der Muttersprache waren,
wohl weil sie weniger Angst hatten zu verlieren. Finanzielle Entscheidungen
in einer Fremdsprache zu treffen, würde sich also auszahlen, so das Fazit
der Studie.
Den Zusammenhang von Sprache und finanziellen Entscheidungen untersuchte
auch der Ökonom M. Keith Chen. Er sorgte vor zwei Jahren für Aufsehen, als
er behauptete, dass [4][manche Sprachen eher zum Sparen anregen] würden als
andere. Dies hinge damit zusammen, dass Sprachen, die eine starke Futurform
vorschreiben, dazu anleiten weniger zukunftsorientiert zu handeln.
Im Deutschen würde man zum Beispiel sagen: „[5][Morgen spare ich]“, was
zukunftsorientierter sei als die englische Variante: „Tomorrow I will save
money.“ So verargumentierte Chen das deutsche Spardiktat auf linguistische
Weise. Dafür heimste er verständlicherweise Kritik ein. Zum Beispiel wies
der Linguist Geoffrey K. Pullum darauf hin, dass das Englische [6][sowohl
schwache als auch starke Futurformen] besitze, womit er eine zentrale These
Chens entkräftete.
Mit unserer Sprache lässt sich also wohl nicht das komplette Denken
begründen. Noch nicht?
8 May 2015
## LINKS
[1] http://pss.sagepub.com/content/26/4/518
[2] http://www.plosone.org/article/fetchObject.action?uri=info
[3] http://news.uchicago.edu/article/2012/04/25/thinking-foreign-language-helps…
[4] http://www.anderson.ucla.edu/faculty/keith.chen/papers/LanguageWorkingPaper…
[5] http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-03/interview-keith-chen
[6] http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=3756
## AUTOREN
Marco Wedig
## TAGS
Studie
Sprache
Linguistik
Deutsch-französische Freundschaft
Linguistik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutsch in französischen Schulen: „Isch nischt spreschen allemande“
In Frankreich soll der Deutsch-Unterricht zurückgeschraubt werden.
Europaabgeordnete sehen darin eine „Gefahr für die deutsch-französische
Freundschaft“.
Studie zur Sprachnutzung: Spanisch ist besonders fröhlich
Chinesen sind ihrer Sprache gegenüber eher negativ eingestellt, haben
Wissenschaftler herausgefunden. Bei den Spaniern sieht es anders aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.