# taz.de -- Energiepolitik gegen Klimawandel: Gradwanderung in die Realität | |
> Die Formel zur Rettung der Welt: die Erwärmung auf 2 Grad begrenzen. Das | |
> ist praktisch unmöglich. Dieser Widerspruch kommt nun auf den Tisch. | |
Bild: Den kuschligen Bärchen in der Arktis wird es bestimmt bald zu warm | |
Die Beschwörungsformel ist immer die gleiche: „Das 2-Grad-Ziel ist eine | |
Herausforderung, aber immer noch machbar!“. Egal ob von der Weltbank, der | |
UNO oder den Thinktanks – noch, so die Zuversicht, lässt sich die | |
Erderwärmung unter der magischen Grenze von 2 Grad Celsius halten und der | |
Klimawandel damit beherrschen. | |
Falsch, sagen nun immer mehr Experten und Analysten. Für sie ist das | |
2-Grad-Ziel tot und wird von der Politik nur noch künstlich am Leben | |
erhalten. Längst seien die weltweiten Emissionen zu hoch, soeben erst ist | |
die Konzentration des Klimagases CO2 wieder mal auf einen neuen Rekordwert | |
geklettert. | |
Damit gerät die Grundlage der UN-Klimaverhandlungen ins Wanken. Und diese | |
Woche setzte Oliver Geden, Klimaexperte bei der Berliner Stiftung | |
Wissenschaft und Politik (SWP) noch einen drauf: Die Wissenschaftler | |
riskierten ihren guten Ruf, wenn sie das Spiel weiter mitmachen, schreibt | |
Geden in der Zeitschrift Nature: „Die Klimaberater müssen ihre Integrität | |
bewahren“, fordert er. Statt „falschen Optimismus zu verbreiten, müssen sie | |
ihre intellektuelle Unabhängigkeit und Ergebnisse verteidigen – egal wie | |
politisch unbequem diese sind.“ | |
Für Geden leisten die Wissenschaftler Beihilfe zu einer Politik, die | |
Entscheidungen scheut: „Die Politiker sind erfreut, zu hören, dass selbst | |
nach 20 Jahren steigender Emissionen das 2-Grad-Ziel theoretisch noch in | |
Reichweite liegt. Sie ignorieren einfach das Kleingedruckte der | |
IPCC-Berichte.“ Jedes Jahr würden die Szenarien der Forscher in ihren | |
Annahmen optimistischer, kritisiert der Politologe. | |
## Radikale Umgestaltung nötig | |
Seine Kritik teilen weltweit viele renommierte Forscher und in persönlichen | |
Gesprächen auch viele Klimadiplomaten. Für EU-Klimakommissar Miguel Arias | |
Cañete wäre die Klimakonferenz von Paris im Dezember nun schon „kein | |
Fehlschlag“, wenn sie nur einen Fahrplan zu 2 Grad, aber nicht die dafür | |
nötigen Emissionen festschriebe. | |
Die Zweifel am zentralen Ziel im Klimaschutz kommen zur unpassenden Zeit. | |
Gerade läuft die diplomatische Maschine für Paris warm: Lange Texte werden | |
eingedampft, Verbündete gesucht, das Thema wird auf die Tagesordnung der G | |
7 gesetzt. Alles mit einem Fokus: 2 Grad. Darauf zielen auch die | |
Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz, die die Staaten derzeit bei den UN | |
abgeben. | |
Deshalb bemüht sich auch das Klima-Sekretariat der UN, das Feuer | |
auszutreten: „Es gibt keinen Grund, dieses Ziel aufzugeben“, erklärt | |
Sprecher Nick Nuttall. „Die internationalen Bemühungen müssen uns so weit | |
entfernt wie möglich von dieser Grenze halten.“ Die UN-Experten haben | |
gerade einen internen Bericht vorgelegt, der das Dilemma zusammenfasst. | |
„Das 2-Grad-Ziel ist machbar und hat großen zusätzlichen Nutzen“, heißt … | |
da. | |
Nötig sei dafür allerdings „ab sofort eine radikale Umgestaltung | |
(tiefgehende Abkehr von der fossilen Wirtschaftsweise) und nicht nur | |
leichte Veränderung aktueller Trends.“ Wer an eine solche schnelle radikale | |
Umgestaltung glaubt, glaubt auch an das 2-Grad-Ziel. Wer nicht, der nicht. | |
## Drastische Sofortmaßnahmen | |
Es ist eine akademische Debatte mit sehr konkreten Auswirkungen. Denn die | |
„two degrees“ gelten als Meisterwerk der politischen Kommunikation. Es hat | |
eine schwammige Formulierung aus der Klimarahmenkonvention von 1992 | |
(„gefährlichen menschengemachten Klimawandel verhindern“) in ein konkretes | |
Ziel umgewandelt. Doch inzwischen wäre es nur noch mit drastischen | |
Sofortmaßnahmen zu erreichen. Das hat 2014 in aller Deutlichkeit der | |
jüngste Bericht des UN-Klimarats IPCC beschrieben. | |
Das Gremium, in dem Wissenschaftler und Delegationen aller UN-Staaten die | |
Zusammenfassungen abstimmen, macht klar: Die Emissionen, die bisher | |
jährlich um etwa 2 Prozent zunehmen, müssten schnell um bis zu 6 Prozent | |
pro Jahr sinken, was außer in Kriegszeiten noch nie passiert ist. Der | |
Anteil von Wind-, Atom- und Solarenergie weltweit müsste sich bis 2030 | |
verdoppeln bis verdreifachen, riesige Wälder aufgeforstet werden und | |
umstrittene und unerforschte Techniken wie die Speicherung von Kohlendioxid | |
(CCS) ab 2050 in großem Stil eingeführt werden. | |
[1][Vor allem an der Speicherung mit dem Kürzel BECCS (Bio-Energie mit | |
CCS)] und dessen „negativen Emissionen“ entzündet sich die Kritik. Die | |
Idee: Bäume filtern CO2 aus der Luft, das Holz wird in Energie umgewandelt | |
und das CO2 aus ihrer Verbrennung gespeichert – unterm Strich würde damit | |
der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen. Ob diese Technik im großen Maßstab | |
machbar und bezahlbar ist, bleibt völlig unklar. Um wirksam zu werden, | |
würden dafür allerdings „500 Millionen Hektar benötigt, 1,5-mal die Fläche | |
Indiens“, schreibt Geden. | |
Auch andere Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, wie zweifelhaft es | |
sei, auf „negative Emissionen zu wetten“, so Sabine Fuss vom Berliner | |
Mercator Institut für Klimawandel. Werden die Flächen nicht für | |
Lebensmittel oder als Lebensraum für Tiere und Pflanzen gebraucht? Gibt es | |
genug Wasser für den Anbau und genug sichere Lagerstätten? Akzeptiert die | |
Bevölkerung die Kosten und die Technik? | |
## Kritik von allen Seiten | |
Die Wissenschaftler des IPCC wehren sich gegen den Vorwurf, sie lieferten | |
der Politik ein Alibi fürs Nichtstun. „Wer meint, wir würden uns bei der | |
Politik lieb Kind machen, hat die Diskussionen nicht mitbekommen“, meint | |
Ottmar Edenhofer. „Wir haben uns da im Gegenteil extrem unbeliebt gemacht.“ | |
Edenhofer ist Klima-Ökonom, Vizechef des Potsdam-Instituts für | |
Klimafolgenforschung und Kovorsitzender der Arbeitsgruppe 3 des IPCC, die | |
zu diesen Fragen arbeitet. | |
„Wir haben die Bedingungen formuliert, unter denen das 2-Grad-Ziel zu | |
erreichen ist“, sagt Edenhofer. „Dafür müssten die Emissionen drastisch | |
sinken, wir brauchen mittelfristig einen globalen Preis für CO2, negative | |
Emissionen, großflächige Aufforstung und massiven Ausbau erneuerbarer | |
Energien. Was die Politik davon umsetzt, ist ihre Entscheidung.“ | |
Die Optionen liegen auf dem Tisch und viele der IPCC-Szenarien erreichen | |
unter diesen Umständen das 2-Grad-Ziel. Edenhofer bestreitet, dass die | |
Politik die Wissenschaftler zu positiven Rechnungen gedrängt habe. „Unsere | |
Aufgabe besteht nicht darin, die Untätigkeit der Politik in den Szenarien | |
schon vorwegzunehmen. Damit würden die Szenarien zu sich selbst erfüllenden | |
Prophezeiungen. Bei allen Gesprächen mit den Regierungen habe ich | |
klargemacht: Wir sind auf einem Pfad weit über 2 Grad, sogar auf dem Weg in | |
eine 4-Grad-Welt.“ Er findet es eine „absurde Debatte“, ob das 2-Grad-Ziel | |
aufzugeben sei. „Was kommt danach, eine Diskussion um das 3-Grad-Ziel?“ | |
Auch vom anderen Ende der Welt kommt Kritik am 2-Grad-Ziel. Es sei | |
„unangemessen“ und die UN sollten es überdenken, erklärte letzte Woche das | |
Climate Vulnerable Forum in Manila. In ihm sind 20 Länder wie Kenia, | |
Vietnam, Barbados oder Bangladesch zusammengeschlossen, die besonders | |
verwundbar gegenüber dem Klimawandel sind. Sie lehnen das Ziel allerdings | |
aus einem anderen Grund ab: Es ist ihnen zu hoch. Der Anstieg um 2 Grad sei | |
„eine ernste Bedrohung für fundamentale Menschenrechte“. Schon 2 Grad, | |
heißt es etwa aus Bangladesch, „verurteilen viele Millionen von armen | |
Menschen in den Entwicklungsländern zum Elend.“ | |
9 May 2015 | |
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[1] /Kohlendioxid-als-Rohstoff/!158713/ | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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