# taz.de -- Feiern zu 70 Jahre Kriegsende in Berlin: Jubel, Trauer, Kampf | |
> Kinder und Senioren in sowjetischer Uniform, Putin auf T-Shirts, Rocker | |
> aus Russland: Am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow wurde an die | |
> Kapitulation erinnert. | |
Bild: Besucher am Sonnabend rund um das Sowjetische Ehrenmal in Treptow. | |
Die Orden und Verzierungen zerren schwer an der Uniform von Henryk L. | |
Kalinowski. Doch dem polnischen Kriegsveteranen scheinen sie wenig | |
auszumachen: „Die Uniform ist Teil meiner Identität wie mein Ausweis“, sagt | |
Kalinowski. Im Frühjahr 1945 kämpfte er mit der 1. Polnischen Armee in | |
Berlin-Tiergarten. Gemeinsam mit drei anderen Zeitzeugen steht er an diesem | |
Sonnabend auf einer Bühne abseits des sowjetischen Ehrenmals im Treptower | |
Park. Die Biergarnituren vor ihm sind voll besetzt, vor allem mit älteren | |
Menschen, die den Veteranen lauschen. | |
Sie berichten von den Kämpfen im April und Mai vor 70 Jahren, bevor die | |
bedingungslose Kapitulation Deutschlands in der Nacht vom 8. zum 9. Mai | |
1945 den Zweiten Weltkrieg in Europa beendete. Die Einnahme Berlins und der | |
Sieg über Nazi-Deutschland sei ein gemeinsamer Verdienst russischer und | |
polnischer Soldaten, sind sich die Zeitzeugen einig. Applaus brandet auf. | |
Er empfinde Genugtuung an diesem Tag, sagt Kalinowski. | |
Mit ihm feiern über den Samstag verteilt mehr als 10.000 Menschen im | |
Treptower Park. Die Anlage mit ihren zentralen Gräberfeldern, weißen | |
Marmorsarkophagen und riesigen Soldatenstatuen hinterlässt unweigerlich | |
einen feierlichen Eindruck. Verstärkt wird dieser durch Tausende | |
Blumensträuße, die die Besucher ablegen. Die Menschen drängen sich dicht an | |
dicht auf den Wegen hin zum Mausoleumshügel. Russische Kapellen am Wegrand | |
begleiten das Durcheinander, Fahnen verschiedenster Nationen vereinen sich | |
zu einem bunten Mosaik. Das Gedenkmal zu Ehren der Rotarmisten, die bei der | |
Eroberung Berlins gefallen sind, gleicht einem Erinnerungsjahrmarkt. | |
Teilweise nimmt das Gedenken skurrile Formen an: Fünfjährige Mädchen tragen | |
sowjetische Uniformen, junge Pärchen fotografieren sich küssend vor der 30 | |
Meter großen Soldatenstatue, Rocker lassen unter Jubel ihre Motorräder | |
aufheulen. Auch einige „Nachtwölfe“, eine Putin-treue Moskauer | |
Rockertruppe, haben es bis Berlin geschafft. Über ihr Kommen war im Vorfeld | |
viel diskutiert worden, Szenarien von Protest und Verwüstung wurden | |
geschürt. Nichts davon tritt ein: Die Rocker legen Kränze nieder und lassen | |
sich bereitwillig fotografieren. Wie viele andere hier tragen sie ein | |
schwarz-orange-gestreiftes Band an ihrer Brust. Das sogenannte | |
Sankt-Georgs-Band erinnert an jene Einheiten der Roten Armee, denen einst | |
ein ähnlich aussehender Orden verliehen wurde. | |
Auf Wadim Ivanovs roten T-Shirt prangen Hammer und Sichel vor dem | |
Hintergrund der Weltkugel. Darunter steht in kyrillischen Schriftzeichen | |
„Made in Sowjetunion“. „Das T-Shirt stimmt nicht ganz, ich bin Jahrgang | |
1997“, sagt er und schmunzelt. Der Jugendliche ist mit seiner Mutter und | |
seiner Schwester aus Nürnberg angereist. Sie zählen zu den vielen | |
Nachfahren sowjetischer Soldaten, die von außerhalb nach Berlin gekommen | |
sind. | |
Seine Mutter trägt eine Holzleiste, an deren Ende ein vergilbtes Porträt | |
eines jungen Mannes: „Unser Vorfahre Klepik Ivan ist im Krieg verschollen“, | |
sagt Wadim. „Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist.“ Im Gedenken an | |
die Generationen, die gegen Nazi-Deutschland gekämpft und gesiegt haben, | |
sei seine Familie nach Berlin gekommen: „Unsere Seele hat gewollt, dass wir | |
heute hier sind.“ | |
An allen Ecken singen Menschen russische Volks- und Gedenklieder. In dieses | |
historische Erinnern mischen sich immer wieder aktuelle politische | |
Zwischentöne. Von manchen T-Shirts grüßt Putin. Einige Gruppen wollen das | |
Gedenken zu ihren Zwecken nutzen. Am Eingang zum Ehrenmal liegen | |
Transparente aus: „Achtung, Achtung! An alle Deutschen: Eure Medien lügen. | |
Informiert euch!“ oder „Stoppt die Kriegshetze gegen Russland!“ | |
Die Band Nümmes findet weniger kontroverse, aber ebenso deutliche Worte. | |
Die fünf Männer um die 50 spielen Straßenrock, politische Lieder mit | |
unmissverständlichem antifaschistischen Grundton. Nümmes rufen zur | |
Solidarität mit den Kämpfern auf, die im syrischen Kobani dem „Islamischen | |
Staat“ Widerstand leisteten. In der Ideologie des IS werde laut Sänger Karl | |
ein Faschismus verbreitet, den es zu bekämpfen gelte. | |
Überwiegend deutsche Besucher bleiben stehen, hören kurz zu. Bei dem | |
letzten Lied vergrößert sich die Menschentraube um die fünf Musiker. Die | |
Internationale, bis 1943 Nationalhymne der Sowjetunion, geben Sieger und | |
Besiegte gemeinsam zum Besten – ein russisch-deutscher Sprachsalat mit | |
ordentlich rotem Dressing. So mischt sich in den Jubel für die Befreier und | |
die Trauer um die Opfer auch eine kämpferische Note. | |
10 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ronny Müller | |
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