# taz.de -- Claudia Roth über die Grünen: „Ich bin die alte Perlenkette“ | |
> Es war bitter, die parteiinterne Wahl zur Spitzenkandidatin zu verlieren, | |
> sagt Grünen-Chefin Roth. Ihr Verantwortungsgefühl habe sie aber bei der | |
> Partei gehalten. | |
Bild: Musste sich neu erfinden ohne „Mainstream“ zu werden: Claudia Roth. | |
Beide Interviewenden kennen die Gesprächspartnerin seit Langem; sie | |
sprechen miteinander im Haus der Bundespartei der Grünen, wo Claudia Roth | |
ein Büro als Parteivorsitzende hat. Schön eingerichtet mit persönlichen | |
Accessoires, Tassen, Erinnerungsstücken, Bildern. Sie bleiben, | |
journalistisch unüblich, in der zweiten Person Singular. | |
taz: Claudia, wie fühltest du dich nach der gescheiterten Wahl zur | |
Bundestagsspitzenkandidatin der Grünen? Etwa im Sinne von: Jetzt erfinde | |
ich mich neu? | |
Claudia Roth: Nee. Aber ich hab gedacht, so wie ich bin, reicht das | |
vielleicht nicht aus. Aber eine Woche danach hab ich der Partei angeboten: | |
Ihr entscheidet jetzt. Ihr müsst wissen, ob ihr mich wollt und mir das | |
zutraut – aber so wie ich bin, mit allen Ecken, mit allen Kanten. Wie Rio | |
Reiser das sang: „Ich will ich sein.“ | |
Aber schmerzhaft war’s schon? | |
Ich hab das jetzt nicht so in mich reingezogen. Nein, da wurde nicht über | |
mich als Person abgestimmt, da ging es auch um ’ne Erweiterung oder ’ne | |
Vielfalt. | |
Wir hören das Tröstliche. | |
Jedenfalls habe ich nicht gesagt: Ich mach mich neu, ich passe mich jetzt | |
an in einem vermeintlichen „So musst du sein“. Nein, meine Botschaft war | |
klar: Ihr kennt mich, wie ich bin. Und ich will so bleiben, wie ich bin. | |
Aber man lernt ja nie aus. | |
Natürlich, man erweitert sich, klar. Aber, zum Beispiel, ich zieh mich | |
jetzt doch nicht anders an. Ich glaube übrigens: Sich selber treu zu | |
bleiben ist schwerer, als man denkt. Sich neu erfinden, das kann auch | |
heißen, ich pass mich an Mainstreams an. | |
Sich selbst nicht verraten? | |
Na, ich sag doch nicht, sollen jetzt auch mal andere liefern, weil’s grad | |
einfacher ist, als zu sagen: So, ich bleib mir jetzt selber treu, etwa mit | |
Verve die schockierende Flüchtlingspolitik zu kritisieren. | |
Echt weh tat es doch, oder? | |
Klar. Trauerarbeit war schon angesagt. Aber ich war es doch selbst, die die | |
Abstimmung wollte, mit dem taz-Interview am 7. März. Und natürlich hab ich | |
immer gesagt, man kann auch verlieren. Am Ende hatte ich das Gefühl, ich | |
trage auch Verantwortung für die Partei. Parteisoldatin ist immer so ein | |
blöder Begriff, aber ich bin nun mal jemand, die nicht weglaufen kann. | |
Wie hast du deine Partei erlebt? | |
Die Ehrlichsten waren diejenigen, die mir gesagt haben, ich habe dich nicht | |
gewählt in dieser Funktion, aber ich will dich dringend in der | |
Bundesvorsitzendenfunktion sehen. | |
Und was dachtest du? | |
Oh weia, dachte ich, jetzt verursache ich möglicherweise noch ein | |
Riesenchaos für die Partei. Das will ich nicht. Das kam dann voll auf mich | |
zurück. | |
Gab es da nicht so einen Moment zu sagen: Wisst ihr was, Leute, leckt mich | |
doch? | |
Gut, ja, ich dachte für ’nen kurzen Augenblick, das ist ungerecht, was hab | |
ich denn falsch gemacht? Natürlich gibt es Momente, da denkt man: | |
Menschenskinder! Dann sag ich mir: Warum nur? Doch ich sag dann als | |
Nächstes: Demokratie, das ist eben auch Demokratie. | |
Bekamst du wenigstens Freundliches aus anderen politischen Ecken zu hören? | |
Absolut, auch von Seiten, wo ich es überhaupt nicht erwartet hatte. In die | |
Richtung: Sie können doch zufrieden sein. Sie haben doch Geschichte | |
geschrieben. Ich bin inzwischen wirklich überzeugt, dass wir über Monate | |
gezeigt haben, wie innerparteiliche Demokratie funktioniert. | |
So vernünftig! Keine Wut? | |
Ich glaub, es ist ’ne Primärtugend bei mir, die mich manchmal hart angeht, | |
dieses Verantwortungsgefühl. Das ist so dominant. Im ersten Moment bist du | |
wie in Schockstarre. Du denkst, meine Güte, jetzt geh ich nicht mehr auf | |
die Straße, jetzt gucken dich alle so an, du bist der Loser. | |
Und warst du das? | |
Wahnsinnig viele Leute haben mich angequatscht. Und da gibt’s ja kaum eine | |
Distanz bei mir. Die Leute nehmen mich einfach in den Arm. Neulich stand | |
ich am Bahnhof in Hannover. Da hatte mich jemand nicht abgeholt. Da sind | |
viele Leute gekommen. Die kennen wir doch, die Claudi. Dieses Mitempfinden, | |
denke ich mir, verdammt, da bin ich gern verantwortungsgetrieben. Ist halt | |
so. | |
Claudia, ginge es nicht auch ohne Politik? | |
Nee. | |
Weil sie wie eine Familie ist? | |
Nein, Familie nicht. Aber wie Heimat. Familie ist schon noch anders. Da | |
geht gar nichts ran. Da gibt’s auch mit Verlaub keine Fotos. Das ist | |
Familie. Familie sind ein paar Freunde. Da spielt Politik keine Rolle, da | |
spielt Parteipolitik keine Rolle. Aber ohne Politik? Für mich geht es nicht | |
ohne sie. Das muss nicht Partei und Parlament sein, aber ganz ohne Politik | |
nicht. | |
Wie im Jahr oft bist du eigentlich nicht politisch? | |
Das fällt mir sehr schwer. Aber was ist schon nicht politisch? | |
Du könntest aus der Heimat auch vertrieben werden. Macht das Angst? | |
In der ersten Stunde hatte ich genau dieses Gefühl: Wurde ich heimatlos | |
gemacht, bin ich vertrieben worden? Ich gehöre vielleicht schon noch dazu, | |
aber ich werde nicht mehr gebraucht. Dann kamen aber Freunde, meine echten | |
Freunde in der Partei, die gesagt haben: Wenn du jetzt von dir aus das als | |
Signal nimmst, dann ist das kein würdiger Umgang mit dem Ergebnis. | |
Du meintest vorhin, du habest gedacht, nicht auszureichen. Inwiefern? | |
Ich glaube, dass hat viel mit Frausein zu tun. Meinst du, die Kerle würden | |
sich fragen, was habe ich eigentlich falsch gemacht. Nein. | |
Hast du wenigstens irgendwie ein Federkissen zerkloppt? | |
Die Zeiten, wo ich den Fernseher vor Zorn aus dem geschlossenen Fenster | |
hinausschmeiße, sind vorbei. Vor dem Parteitag war ich wirklich sehr | |
nervös. Wäre ich auch beim Parteitag durchgefallen, hätte ich vielleicht | |
die Voodoopüppchen rausgeholt. Wobei ich gar nicht gewusst hätte, wer … | |
Dachtest nicht: Ich erkenne meine Partei nicht wieder? | |
Nein, auf dem Parteitag habe ich ja viel Unterstützung bekommen. Bei uns | |
kann es ja schon ziemlich hart zugehen, was ja ehrlicher ist als bei | |
anderen. Ich habe so was in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, diesen | |
Candystorm. | |
Ein wunderbares Wort. | |
Ist das nicht schön? | |
Es gab also viel ermutigende Post? | |
Gab es, nach dem Urwahlergebnis, dann kam auch noch der Candystorm. Das war | |
berührend. Das hieß: Pass mal auf, wir brauchen dich. | |
Ein warmes Gefühl? | |
Ein heißes. | |
Was macht es mit der Politikerin Claudia Roth, diese Erfahrung des zu Ende | |
gehenden Theaters zu machen? | |
Ist ja nicht zu Ende, geht ja jetzt mit dem Wahlkampf erst wieder richtig | |
los. | |
Bist du ein wenig geläutert? | |
Ein Stück weit, ja. | |
Hat es dir etwas genommen an Spontaneität, an Unbedarftheit, an | |
Selbstverständlichkeit? | |
Es gibt bisweilen im Leben Beziehungen, wo du dich nicht gut behandelt | |
fühlst und wo du denkst: Was mache ich jetzt? Traue ich jetzt niemandem | |
mehr? Ändere ich mich? In großen Krisen in meinem Leben, die hatte ich | |
wirklich, da habe ich gesagt: Nein, aufstehen, weitermachen. | |
Woher schöpfst du deine Kraft? | |
Das frage ich mich auch manchmal. Aus den Candys. | |
Bedauerst du manchmal, auf das klassische Modell nicht zurückgreifen zu | |
können: Partnerschaft oder Ehe plus Kinder? | |
Als ich mich nach dem Resultat der Spitzenkandidatenabstimmung | |
zurückgezogen hatte, da habe ich mir schon gewünscht, dass ich nicht | |
alleine bin. Und dann fragst du dich: Ist das ein Preis für diese | |
Verantwortungsbesessenheit? Nee, dann sag ich mir lieber: Jetzt müssen wir | |
noch die Regierung wegputzen. | |
So lautet dein Ziel? | |
Ja, logisch. | |
Welches Gepäck trägst du? | |
Wie alle: Das, was die Eltern einem mit auf den Weg geben haben. Mein Vater | |
hat gesagt, sehr früh, da war ich 14, 15, ach, schon früher: Mäkel hier | |
nicht rum, beschwer dich nicht, stell dich hin, und mach es anders. Und das | |
ist sehr tief drin. Es gibt einfach den zentralen Wunsch, ich möchte in | |
’nem Land leben, wo es anders zugeht. Da sind wir wieder bei der | |
Veränderung oder bei dem Neuerfinden. Ich will ja nicht immer so bleiben, | |
wie ich bin. | |
Diese Regierung … | |
… hat sich dauernd neu erfunden. Und es kommt immer noch größerer Unsinn | |
raus. Nicht nachzugeben, wenn sie dir den Dreck um die Ohren und vor die | |
Füße kippen, wenn du sagst: Multikulti ist nicht out. Also diese Themen, wo | |
du richtig über Jahre immer wieder angepampt und angemault wirst und, und, | |
und. Ich bleib mir treu. Mich neu zu erfinden, wäre der einfachere Weg. | |
Ist die bezaubernde Perlenkette eine kleine Anpassung an den modernen Stil | |
der Grünen? | |
Nee, die hat mir einer meiner netten Exmänner geschenkt. Ist schon lang | |
her. | |
Die Grünen sind doch eine Neoperlenkettenpartei, oder? | |
Nee, ich bin die alte Perlenkette. | |
25 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
Jan Feddersen | |
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