# taz.de -- Porträt eines taz.de-Kommentators: Der Schalk der Kommune | |
> Wer ist dieser taz.de-User„vic“, der jeden Tag im Schnitt viermal | |
> Leserkommentare auf taz.de postet? Ein Besuch in der schwäbischen | |
> Provinz. | |
Bild: Das Pseudonym „vic“ steht für „Hasta la victoria siempre“, sagt … | |
„Die deutsche Gesellschaft ist nicht überfremdet, sie ist verblödet. Das | |
ist meine Sicht der Dinge, und ich muss es wissen. Ich bin mittendrin.“ | |
Es ist 5.10 Uhr und dies postet taz-User „vic“. Er kann nicht schlafen, | |
also steht er auf, setzt sich an den Laptop und tippt: [1][www.taz.de]. Auf | |
dem Bildschirm erscheint das, was er sein „Fenster zur Welt“ nennt – um e… | |
Uhr nachts, um sechs Uhr morgens, um zwei Uhr mittags. Über 8.000 | |
Kommentare hat „vic“ auf taz.de hinterlassen, so viele wie kein anderer | |
User. Täglich habe ich sie freigeschaltet. Das war meine Aufgabe als ich in | |
der Online-Redaktion der taz Praktikum machte. | |
Jeder taz.de-Mitarbeiter kennt „vic“ aus der Page-Comment-Spalte, da, wo in | |
einer Endlosschleife die Beiträge der User einlaufen. Da, wo man sich durch | |
das Meinungsdickicht schlagen muss und sich manchmal vorkommt wie ein | |
Frontbeobachter. | |
„Vics“ Beiträgen begegnet man gern. Sie sind kurz, ehrlich, zum Thema und | |
meist besonnen. Freundlich gegenüber dem Verfasser des Artikels, mäßigend | |
gegenüber Usern, die sich im Ton vergreifen. Bisweilen witzig bis bissig. | |
In einer südwestdeutschen Kleinstadt, die auf „-ingen“ endet, ist „vic“ | |
zuhause. „Arg Provinz“, sagt er. | |
Wie ein Höhlenmensch lebt „vic“ in seiner holzverkleideten | |
Dachgeschosswohnung und sieht auch ein bißchen so aus. Zottelige Haare, | |
Jogginghose, Karohemd. Eine bubenhafte Miene. Vor dem Balkonfenster steht | |
sein Computer. Beim Blick hinaus findet man grüne Baumwipfel. Kraftlos | |
plumpst „vic“ in den Drehstuhl. In der Küche faucht die Kaffeemaschine. | |
Diese Woche hat „vic“ Chemotherapie. Er ist schläfrig. Auf dem Schrank | |
liegen viele Packungen des Medikaments Levetiracetam. Es hilft gegen | |
Krampfanfälle. Vor 20 Jahren entdeckten Ärzte einen Tumor in seinem Kopf. | |
Er wurde operiert und für ein paar Jahre war Ruhe. Dann Rückfälle, wieder | |
Operationen, Therapien und Krankenhausaufenthalte. Zuletzt in diesem Jahr, | |
er zeigt auf eine lichte Stelle am Kopf. Seit 2006 ist „vic“ Rentner. Heute | |
ist er 54 Jahre alt. Er lebt allein und hat viel Zeit. 2007 startete die | |
interaktive taz. | |
Zweimal am Tag schaut der Pflegedienst der Caritas bei ihm nach dem | |
Rechten, oft sind es die einzigen Menschen, denen er begegnet. Er habe sich | |
ans Alleinsein gewöhnt, sagt „vic“. Seine Eltern wohnen fünf Kilometer | |
entfernt. Manchmal laden sie ihn zum Mittagessen ein. Aber es ist nicht nur | |
die Krankheit, die „vic“ einsam gemacht hat. | |
Er ist ein Schwabe, der es nie mit der CDU aushielt. Bis zur Verrentung | |
arbeitete er als Drucktechniker. „Ich war immer ein Außenseiter“, sagt er. | |
Vic wählt die Linke, seiner Meinung nach „die einzige wirkliche | |
Oppositionspartei“. Die Linke schafft es in seiner Stadt nicht einmal in | |
den Gemeinderat und vielleicht kann sie sich nur deswegen seiner Stimme | |
sicher sein. | |
Er mag die Meinhof-Biografin Jutta Ditfurth, Sarah Wagenknecht und den | |
Kabarettisten Georg Schramm. Opposition ist die Rolle, in der „vic“ bei | |
sich ist. Sobald CDU-Politiker auf taz.de auftauchen, läuft er in der | |
Kommentarsektion zur Hochform auf. | |
5.24 Uhr. Ines Pohl diskutiert mit Claudia Roth darüber, ob die Kanzlerin | |
die Fußballelf der Frauen bei der WM mehr anfeuern sollte, da hackt „vic“ | |
in die Tastatur gegen seine Lieblingsfeindin: | |
„Die Kanzlerin in der Frauenkabine? Ich rate ab, so kurz vor der Ziellinie. | |
Das zieht doch total runter.“ | |
Vics Humor ist verschroben, nah am Sarkasmus. Es gibt nicht viele Arten von | |
Humor, die schriftlich funktionieren. Von keinem anderen User wurden so oft | |
Kommentare in der Rubrik „Mehr auf taz.de“ in der Print-taz gedruckt. Ohne, | |
dass er jemals dazu ernannt wurde, ist „vic“ zum Botschafter der Community | |
bei den Zeitungslesern geworden. | |
Die Kolumnen von Küppersbusch („Das war wieder mal zum Niederknien, Herr | |
Küppersbusch!“) und von Deniz Yücel („Ach schade, hab mich schon gefreut. | |
Deniz, das kannst Du besser.“) sind Höhepunkte in „vics“ Alltag. Bei Sil… | |
Burmester geht ihm regelmäßig das Herz auf („Ach, Silke. Ich liebe Sie | |
;)“). Vic musste seine geistige Familie erst finden. | |
„Früher habe ich mehr bei sueddeutsche.de kommentiert“, sagt er. „Aber es | |
wurde mir da zu konservativ. Den Ton fand ich ungepflegt.“ Auch auf taz.de | |
vergreifen sich Menschen im Ton. Dann verteidigt vic die taz-Autoren: | |
„Ich fasse es nicht. Wie kann Mann und Frau sich nur so aufregen? Wer die | |
Kolumne und oder DENIZ YÜCEL nicht ausstehen kann, soll eben weiterklicken. | |
Jedenfalls kein Grund persönlich zu werden.“ | |
„Vic“ tut etwas, das in der taz immer nur diskutiert wird, für das es aber | |
kein Personal gibt. Er moderiert. Früher stritt sich „vic“ gern am | |
politischen Stammtisch mit Bekannten. Jetzt ist die Kommentarspalte sein | |
Stammtisch. „Vic“ hält nichts davon, dass User Klarnamen verwenden sollen. | |
„Ich würde mich vorsichtiger äußern. Und die Diskussionen wären weniger | |
interessant.“ | |
Das Pseudonym „vic“ steht für „Hasta la victoria siempre“, sagt er. Bi… | |
ewigen Sieg – der Schlachtruf Che Guevaras. „Vic“ hat ein T-Shirt mit | |
Guevaras Konterfei im Schrank. Und er trägt es seit langer Zeit nicht mehr, | |
weil er zwar Guevaras Sache, nicht aber den bewaffneten Kampf dafür | |
gutheißt. Und weil er sich zu alt dafür fühlt. Doch er lässt sich den Spaß | |
nicht nehmen, am virtuellen Stammtisch mit den rechten Spinnern zu | |
streiten, die sich manchmal im taz.de-Forum tummeln. Weil sie ihn | |
herausfordern. „Ich bin nicht anständig, wollte ich nie sein“, schrieb vic | |
einmal . | |
Wenn er einen Wunsch frei hätte? | |
Dann hätte er gern keinen Gehirntumor. Er würde wieder rausgehen – unter | |
Leute – und ein bißchen weniger allein sein. Er würde Jutta Ditfurth | |
treffen. Und wieder mit dem Motorrad über die Landstraße fahren. Eine mit | |
vielen Kurven. Geradeaus fahren findet vic langweilig. | |
4 Nov 2012 | |
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## AUTOREN | |
Nancy Waldmann | |
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