# taz.de -- Zum Tod Hebe de Bonafinis: Lichtgestalt mit Schattenseiten | |
> Die argentinische Aktivistin Hebe de Bonafini ist tot. Als ihre Söhne | |
> während der Militärdiktatur verschwanden, gründete sie die „Mütter der | |
> Plaza de Mayo“. | |
Bild: Hebe de Bonafini auf einer Demonstration zum 41. Jahrestages des Putsches… | |
BUENOS AIRES taz | Hebe de Bonafini ist tot. Die Mitgründerin und | |
Präsidentin der argentinischen Menschenrechtsorganisation Mütter der Plaza | |
de Mayo starb am Sonntag im Alter von 93 Jahren in einem Krankenhaus in La | |
Plata in der Provinz Buenos Aires. Das teilte ihre Tochter Alejandra mit. | |
Bonafini hatte 1977 die Mütter der Plaza de Mayo mitgegründet. Zwei Jahre | |
später wurde sie Präsidentin und leitete bis zu ihrem Tod den radikaleren | |
Teil der Menschenrechtsorganisation, die sich 1986 gespalten hatte. | |
Bonafinis Söhne Jorge und Raúl wurden während der Militärdiktatur | |
(1976–1983) verschleppt und sind seitdem verschwunden. „An dem Tag, an dem | |
sie verschwanden, habe ich vergessen, wer ich war, ich habe nie wieder an | |
mich gedacht“, sagte sie noch Anfang November anlässlich der | |
Fotoausstellung „Hebe de Bonafini, eine Mutter in der Revolte“. | |
1928 in einem Arbeiterviertel der Kleinstadt Ensenada vor den Toren von La | |
Plata geboren, hatte sie jung Humberto Alfredo Bonafini geheiratet, mit dem | |
sie zwei Söhne und eine Tochter hatte. Im Februar 1977 wurde Jorge im Alter | |
von 26 Jahren entführt. „Bevor mein Sohn entführt wurde, war ich eine ganz | |
normale Hausfrau. Ich wusste viele Dinge nicht und sie haben mich auch | |
nicht interessiert“, sagte Bonafini einmal über sich selbst. Einige Monate | |
später wurde auch der damals 24-jährige Raúl verschleppt. | |
Während sie auf der Suche nach ihren Söhnen Krankenhäuser, Gerichtsgebäude, | |
Polizeireviere und Leichenhallen durchkämmte, traf sie auf andere Mütter, | |
deren Kinder ebenfalls verschwunden waren. | |
## „Ich war eine ganz normale Hausfrau“ | |
Angesichts des Schweigens der Behörden begannen 14 Mütter im April 1977 auf | |
der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast im Zentrum der Hauptstadt | |
Buenos Aires Aufklärung über das Schicksal ihrer Kinder einzufordern. | |
Weiße Stoffwindeln, getragen wie Kopftücher, wurden bald zum | |
Erkennungszeichen der Gruppe. „Anfangs haben wir uns nur zusammengefunden, | |
bis eines Tages die Polizei kam, uns schlug und uns sagte: ‚Lauft.‘ Wir | |
haben uns untergehakt und angefangen, zu zweit zu gehen“, erzählte sie. | |
Seitdem drehen die Madres der Plaza de Mayo jeden Donnerstag um 15 Uhr ihre | |
Runden auf diesen Platz. „Die Ärzte wissen, dass ich für meine Gesundheit | |
die Plaza brauche“, sagte sie bei ihrem letzten Rundgang am 10. November. | |
„Liebste Hebe, Mutter der Plaza de Mayo, weltweites Symbol für den Kampf um | |
die Menschenrechte, Stolz Argentiniens. Gott hat Sie am Tag der nationalen | |
Souveränität gerufen … das kann kein Zufall sein. Simplemente gracias y | |
hasta siempre“, [1][twitterte Vizepräsidentin Cristina Kirchner]. | |
## Wandel zur bedingungslosen Anhängerin der Kirchners | |
Während der Präsidentschaften von Néstor und Cristina Kirchner (2003–2015) | |
wurden die Mütter erstmals im Präsidentenpalast empfangen und mit der | |
Aufhebung der Amnestiegesetze 2005 erfuhren die Prozesse wegen | |
Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur einen wichtigen Auftrieb. | |
Nach Angaben der Mütter und anderer Menschenrechtsorganisationen | |
verschwanden 30.000 Menschen oder wurden ermordet. | |
Hatte Bonafini sämtliche Amtsvorgänger aufs Schärfste kritisiert und ihnen | |
alles Böse gewünscht, wandelte sie sich nun zu einer bedingungslosen | |
Anhängerin der Kirchners. Seither sorgten ihre stets unnachgiebige Haltung | |
und schonungslosen Attacken auf ihrer Meinung nach politischen | |
Gegner*innen oftmals für Irritationen. | |
Etwa als sie einige Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf | |
das World Trade Center in New York sagte: „Ich habe Glück empfunden. Ich | |
werde keine Heuchlerin sein. Es hat mich überhaupt nicht geschmerzt.“ | |
Oder als sie bei ihrem letzten Rundgang auf der Plaza de Mayo zur | |
[2][Verteidigung von Cristina Kirchner in einem Korruptionsprozess] zum | |
„Volksaufstand gegen die Richter“ aufrief. Dass auch ein Verfahren wegen | |
[3][Veruntreuung von mehreren Millionen Euro] ansteht, in dem eine von den | |
Müttern der Plaza de Mayo gegründete Stiftung für sozialen Wohnungsbau eine | |
zentrale Rolle spielt, ließ sie unerwähnt. | |
21 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/CFKArgentina/status/1594330258815303681?cxt=HHwWgoC-tYu… | |
[2] /Korruptionsprozess-in-Argentinien/!5876024 | |
[3] /Anklage-gegen-Hebe-de-Bonafini/!5406703 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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