# taz.de -- Zehn Jahre nach Missbrauchskandal: Kritische Bilanz | |
> Keine klaren Ziele oder verbindlichen Maßnahmen: Der Beauftragte der | |
> Bundesregierung für Missbrauchsfragen mahnt ein entschiedeneres Vorgehen | |
> an. | |
Bild: Präsentieren die neue Kampagne: In der Mitte Johannes-Wilhelm Rörig, Ca… | |
Der kleine Junge blickt direkt in die Kamera. „Darf er das?“, fragt er. | |
„Muss ich das?“, fragt darauf ein Mädchen. Weitere Kinder wollen wissen: | |
„Bin ich schuld?“, oder: „Warum tut sie das?“ Bis ein Teenager feststel… | |
„Ich will, dass das aufhört!“ Am Ende wird eine Nummer eingeblendet: (08 | |
00) 2 25 55 30, das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch. | |
Nur 30 Sekunden lang ist der TV-Spot gegen Kindesmissbrauch, den die | |
Regisseurin Caroline Link („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“) gedreht | |
hat. Aber er stellt die richtigen Fragen: Warum tun Erwachsene Kindern | |
Gewalt an? Wieso bleiben Übergriffe oft so lange unentdeckt? Und was muss | |
passieren, damit Kinder in Zukunft sicherer leben können? | |
Johannes-Wilhelm Rörig, der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für | |
Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, stellte den Spot am Dienstag in | |
Berlin vor. „Anrufen hilft!“ heißt die Kampagne, mit der Rörig die | |
Öffentlichkeit für das Problem der sexuellen Gewalt gegen Kinder | |
sensibilisieren will. Der Spot soll in öffentlich-rechtlichen wie privaten | |
TV-Sendern laufen sowie auf Social Media. Er soll erreichen, was laut Rörig | |
noch immer viel zu selten geschieht: Dass Menschen aktiv werden, wenn sie | |
sich Sorgen um ein Kind machen. | |
Allzu häufig versage das private Umfeld, Mitwissende sähen weg, statt | |
betroffenen Kindern zu helfen, so Rörig. Von der Politik forderte er die | |
Finanzierung einer breiten Aufklärungskampagne in Größenordnung der | |
Anti-Aids-Kampagne zwischen 1987 und 1992. Rund 5 Millionen Euro im Jahr | |
dürfte eine ähnliche Kampagne heute kosten – angesichts des Ausmaßes der | |
Taten eine geringe Last für den Bundeshaushalt, findet Rörig. | |
## Als „nationale Aufgabe“ begreifen | |
Zehn Jahre nachdem Fälle massenhaften Kindesmissbrauchs in kirchlichen und | |
pädagogischen Einrichtungen aufgedeckt wurden, bleiben die Fallzahlen | |
alarmierend: Mehr als 20.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch und | |
Missbrauchsabbildungen verzeichnet die aktuelle Polizeiliche | |
Kriminalitätsstatistik. Statistisch gesehen sind in jeder Schulklasse ein | |
bis zwei Kinder betroffen. Rörig zog eine „bittere“ Bilanz der bisherigen | |
Anstrengungen, das Phänomen in Deutschland zu bekämpfen. | |
Es fehle an klaren Zielen, verbindlichen Maßnahmen wie Schutzkonzepten für | |
Kindereinrichtungen oder einer Meldepflicht für Internetprovider. Vor allem | |
fehle Geld für eine bessere Ausstattung von Jugendämtern, Einrichtungen der | |
Jugendhilfe und von Beratungsstellen. Rörig forderte einen | |
gesamtgesellschaftlichen Pakt gegen Missbrauch – und von den Parteien, die | |
Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder in ihre Programme aufzunehmen. Es | |
sei möglich, die Zahlen zu senken, wenn man dies als nationale Aufgabe | |
definiere. | |
Matthias Katsch, Gründer der Initiative Eckiger Tisch, die Betroffene aus | |
der Katholischen Kirche vertritt, forderte von den beiden Kirchen, ihre | |
Praxis des Verschleppens zu beenden und Vorschläge für eine angemessene | |
Opferentschädigung und eine unabhängige Aufarbeitung zu machen. Die | |
Öffentlichkeit müsse den Kirchen signalisieren, dass ihre Geduld am Ende | |
sei – die der Betroffenen sei es längst. Bis zum Sommer wollen die | |
katholischen Bischöfe einen Aufarbeitungsfahrplan unterzeichnen. Konkrete | |
Entschädigungsangebote gehören nicht dazu. | |
28 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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