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# taz.de -- Wieder Neuwahlen in Israel: Weimarer Wolken verdunkeln Tel Aviv
> Israel sinkt nach der Knesset-Auflösung erneut in eine Phase der
> politischen Lähmung. Die Perspektiven für die Wahl im Herbst ist düster.
Bild: Israels früherer Premierminister Benjamin Netanjahu am 30. Juni in der K…
Der Vergleich dürfte in deutschen Ohren unangenehm tönen, aber hier in Tel
Aviv wird er immer öfter laut: die [1][aktuelle politische Lage in Israel]
und die Weimarer Republik. Israel leidet unter einer politischen
Polarisierung, tiefer gegenseitiger Abneigung, Demagogie und kruder
politischer Rhetorik, die sich kennzeichnet durch das komplette Abstreiten
jeglicher Legitimation des gegnerischen Lagers und der Tendenz, die
Geschichte zu verzerren und umzuschreiben.
Sie leidet unter mangelnder Toleranz und unter Politikern, die den Mob zur
Gewalt aufhetzen. Die Rechte macht der Justiz offen jegliche Legitimität
und Unabhängigkeit streitig. Sie begreift Demokratie als Herrschaft der
Mehrheit und Umsetzung des „Volkswillens“, wobei in der rechten Rhetorik
das „Volk“ nur die Juden meint und nicht die arabischen Staatsbürger. Wie
Gewitterwolken im Hochsommer schweben Barbarei, Gewalt und Verrohung in der
Luft.
Der Regierung von [2][Naftali Bennett] ist es nicht gelungen, die rechte
Opposition zu konfrontieren, die mit Mafiamethoden die Koalition
terrorisiert und die beteiligten Regierungsparteien mit hetzerischer
Rhetorik in den sozialen Netzwerken als Kollaborateure mit dem Feind
beschimpft. Der Staat sinkt erneut in eine Phase politischer Instabilität.
Die Linke gibt sich geschlagen und hilflos. Kaum jemand ist noch bereit zum
Machtkampf.
Ha’aretz, die nahezu einzige Zeitung, die noch eine liberale Haltung
vertritt, verfällt in ein dauerndes Jammern der Letzten einer aussterbenden
Minderheit. Obschon der Kampf noch nicht endgültig entschieden ist, macht
sich in diesem Lager das Gefühl der Kapitulation breit.
## Nötig wäre radikales Umdenken
Die Cafés von Tel Aviv erscheinen mir in diesen Tagen wie
Naturschutzgebiete, die einzigen Orte, wo diese vom Aussterben bedrohte Art
noch existiert, einen feinen Espresso schlürft, über Fitnesstudios redet,
dänische Netflix-Serien, Filmfestivals und Literaturpreise – ein
eskapistisches Universum, das die Augen verschließt vor dem Tornado, der
draußen sein Unwesen treibt.
Jetzt ist die Zeit für ein komplett neues Denken. Die Linke müsste
aufwachen, eine jüdisch-arabische Partei gründen und die Möglichkeit einer
echten Koexistenz in diesem Land auf die Agenda bringen. Ein Bündnis mit
[3][Mansour Abbas], einem pragmatischen Politiker, der den islamistischen
Konservativismus seiner Partei (zumindest teilweise) überwunden hat und
eine die Grenzen überwindende Vision schuf.
Was hingegen passiert, ist, dass ihn die arabische Öffentlichkeit fallen
ließ. Die anderen arabischen Politiker sind Geiseln eines antagonistischen
Nationalismus, und der Rest der israelischen Linken hält sich an der
„Mitte“ fest, die nichts anderes ist als eine etwas moderatere Rechte, und
nimmt sich damit ihre politische Existenzgrundlage.
Als Paul von Hindenburg im April 1925 zum Reichspräsidenten gewählt wurde,
verfasste der Publizist Harry Graf Kessler eine Art Requiem für die
Weimarer Republik. Kessler sah eins der „dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte“ voraus. Hindenburg sei das Idol all derer, die Bildung,
Fortschritt und Frieden ablehnen. Die israelische Linke sieht Benjamin
Netanjahu, der gute Chancen hat, die Wahlen zu gewinnen, in einem ähnlichen
Licht.
Der israelische Autor Amos Kenan verfasste 1982 eine Dystopie mit dem Titel
„Der Weg nach Ein Harod“. Der Staat, so schrieb er, werde von einer
faschistischen Rechten regiert, die letzten Linken werden verfolgt und
gejagt. Nur einem gelingt es, zum letzten Ort, der für das alte Israel
steht, zu entkommen: dem Kibbuz Ein Harod. Doch als er den Kibbuz erreicht,
findet er dort – nichts.
2 Jul 2022
## LINKS
[1] /Aufloesung-des-Parlaments-in-Israel/!5864757
[2] https://www.haaretz.com/israel-news/elections/2022-06-30/ty-article/.highli…
[3] /Israelischer-Politiker-Mansour-Abbas/!5754938
## AUTOREN
Hagai Dagan
## TAGS
Israel
Weimarer Republik
Naftali Bennett
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Westjordanland
Jair Lapid
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