| # taz.de -- Widerstand gegen Riesenbau in Berlin: Raststätte statt Rapsfelder | |
| > Eigentlich soll mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagert werden. Doch | |
| > vor den Toren Berlins plant die neue Autobahn GmbH eine riesige | |
| > Raststätte. | |
| Bild: Füße aufs Lenkrad und ausspannen: Ruhe für Brummifahrer auf Raststätt… | |
| Potsdam taz | Äcker, so weit das Auge reicht, zerschnitten von einer | |
| vierspurigen Autobahn. Zugegeben, die ländliche Idylle wirkt westlich von | |
| Berlin an der A10 zwischen den Anschlussstellen Potsdam-Nord und | |
| Berlin-Spandau etwas gebrochen. Doch die Äcker gehören zu den besten | |
| Brandenburgs, und in den benachbarten Flecken wie Satzkorn, Paaren und | |
| Kartzow geht es gemächlich zu. In wenigen Jahren soll hier allerdings | |
| großflächig betoniert werden. | |
| Denn die bundeseigene Autobahn GmbH plant hier bei diesen westlichen | |
| Potsdamer Ortsteilen [1][eine riesige Autobahnraststätte]: rund 35 Hektar | |
| groß, mit der eigentlichen Raststätte, Tankstelle und Shop. Insgesamt 100 | |
| Lkw sollen dort parken können, zehn Busse, 180 Pkw. Nachts wird dann alles | |
| mit großen Scheinwerfern erhellt. Raststätte Havelseen soll das alles | |
| einmal heißen und 16 Millionen Euro kosten. Geplanter Baubeginn ist 2024. | |
| Wunsch und Wirklichkeit klaffen ja oft auseinander. Auch politische | |
| Versprechen und Praxis sind offenbar recht gegensätzlich. So heißt es im | |
| Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, dass sich im Vergleich zu 1990 die | |
| Emissionen im Verkehr bis 2030 um 40 bis 42 Prozent verringern müssen. Das | |
| Programm sieht zudem vor, dass mehr Güter auf der Schiene transportiert | |
| werden sollen. 86 Milliarden Euro wollen Bund und Deutsche Bahn bis 2030 | |
| dafür lockermachen. Das klingt erst mal viel, aber allein für Investitionen | |
| in Fernstraßen sieht der Bundesverkehrswegeplan im gleichen Zeitraum mehr | |
| als 132 Milliarden Euro vor. Und wer fährt, muss eben auch mal rasten. | |
| Dementsprechend rechtfertigt die Autobahn GmbH den Bau der neuen | |
| Rastanlage. „Die Autobahn ist eines der wichtigsten Verkehrsnetze und dient | |
| dem Transport auch von Gütern nach Deutschland und in die europäischen | |
| Räume“, heißt es auf Nachfrage zum Sinn der Riesenraststätte. Der Austausch | |
| europäischer Güter steige von Jahr zu Jahr, und die Schiene sei nicht in | |
| der Lage, alle erforderlichen Transporte durchzuführen. „Deshalb ist es | |
| unerlässlich, eine entsprechende Infrastruktur auch für den ruhenden | |
| Verkehr auszubauen und vorzuhalten.“ Schließlich können die erschöpften | |
| Trucker für ihre Ruhepausen nicht auf dem Standstreifen halten. | |
| ## Versiegelung von Ackerboden | |
| Tatsächlich gibt es aber bereits seit Jahrzehnten eine Raststätte ein paar | |
| Kilometer weiter nördlich. Sie heißt Wolfslake und bietet Platz für | |
| insgesamt 80 Lkw. Die ist den Planern aber zu klein geworden und soll | |
| plattgemacht werden. Auch Wolfslake ist von Ackerflächen umgeben, die | |
| allerdings landwirtschaftlich weniger wertvoll sind.Doch es formiert sich | |
| Widerstand. Eine Bürgerinitiative hat sich gebildet. Die Gegner des | |
| Vorhabens haben eine Online-Petition unter dem Motto „[2][Lieber | |
| Naturerhalt statt Asphalt“] gestartet, die bisher rund 2.300 Unterstützer | |
| unterschrieben haben. Kritikpunkte sind unter anderem die Versiegelung | |
| wertvollen Ackerbodens sowie Bedenken wegen zusätzlichen Verkehrs, Lärms | |
| und Lichtverschmutzung. | |
| Ende November des vergangenen Jahres hat die Initiative eine Petition an | |
| den Brandenburger Landtag übergeben, die von elf Vereinen und Verbänden wie | |
| dem Nabu, dem BUND, den Grünen und den Ortsvorstehern der betroffenen | |
| Ortsteile unterzeichnet wurde. Doch Guido Beermann (CDU), brandenburgischer | |
| Minister für Infrastruktur und Landesplanung, ließ sie auflaufen. Eine | |
| vorzeitige Einstellung sei „nicht beabsichtigt, da sich das | |
| Planfeststellungsverfahren gerade der von Ihnen erklärten Kritikpunkte | |
| annehmen wird“. | |
| Doch die Gegner befürchten, dass sie zu spät kommen. Seit November 2020 | |
| läuft das Planfeststellungsverfahren. „In dem können sich | |
| selbstverständlich auch betroffene Behörden, Institutionen, aber auch | |
| Bürgerinitiativen Gehör verschaffen“, heißt es von der | |
| Autobahn-Gesellschaft. Vom Standort ist man überzeugt. „Im Zuge der | |
| Standortabwägung in vier Untersuchungsstufen zwischen 1998 und 2007 hat | |
| sich der Standort Havelseen als die beste Variante herausgestellt.“ Es | |
| stünden keine Bauten im Wege, auch keine anderen Planungen, und der | |
| Standort sei weit genug entfernt von Autobahnauffahrten. Und was die | |
| Bodenversiegelung angeht, ist man bei der Autobahn GmbH fatalistisch: „Beim | |
| Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kommt es immer zur Versiegelung von | |
| Böden.“ | |
| In Potsdam war man von den Planungen etwas überfahren. Erst im August | |
| wurden die Stadtverordneten in einer sogenannten Mitteilungsvorlage | |
| informiert. Unter Berücksichtigung der Abstände zu den nächstgelegenen | |
| bewirtschafteten Rastanlagen habe der – zu jenem Zeitpunkt zuständige – | |
| Landesbetrieb Straßenwesen aus mehreren Standortvarianten einen | |
| Vorzugsstandort ausgewählt, der sich auf Potsdamer Stadtgebiet befinde. Die | |
| Stadt sei an der Standortfindung nicht beteiligt gewesen. „Das | |
| Konfliktpotenzial des Vorhabens wird als mäßig bis gering eingeschätzt“, so | |
| die Stadtverwaltung. | |
| ## Eine Detailangelegenheit | |
| Nun ja. Auf Antrag von Linken, SPD und Grünen beschlossen die | |
| Stadtverordneten im Dezember, dass [3][Potsdams Oberbürgermeister] Mike | |
| Schubert (SPD) beim Land einen Planungsstopp fordern solle. | |
| Möglicherweise hält ein Detail den Bau aber doch noch auf. Der Acker, auf | |
| dem die Raststätte entstehen soll, gehört der Agro Uetz-Bornim GmbH aus | |
| Potsdam. Und die will ihn nicht hergeben. „Es ist der beste Boden, den es | |
| weit und breit gibt. Das ist unser Filetstück“, sagt Betriebsleiter Stephan | |
| Otten der taz. Gerste, Roggen, Weizen und Raps werden darauf angebaut. „Das | |
| bringt uns auch in trockenen Jahren gute Erträge.“ | |
| Bei einer Enteignung werde man sich in letzter Konsequenz juristisch zur | |
| Wehr setzen. Der Bau wäre aus Ottens Sicht schwer zu begründen, weil kaum | |
| zusätzliche Kapazitäten geschaffen würden, denn: „Die bestehende Raststät… | |
| Wolfslake und zwei kleinere Parkplätze sollen abgebaut werden“, sagt er. | |
| Der Fall hat mittlerweile auch die Landespolitik erreicht. Die Potsdamer | |
| Landtagsabgeordneten Isabelle Vandre (Linke), Uwe Adler (SPD), Marie | |
| Schäffer (Bündnis 90/Grüne) und Saskia Ludwig (CDU) haben das Großprojekt | |
| in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert. Sie halten die Untersuchung für | |
| die Standortauswahl für veraltet und teilen die Bedenken der | |
| Bürgerinitiative. Stattdessen plädieren sie für einen Ausbau des seit | |
| Langem „bewährten Standorts Wolfslake“. Der liegt in der Gemeinde | |
| Schönwalde-Glien im Kreis Havelland. Der dortige Bürgermeister Bodo Oehme | |
| (CDU) möchte die Raststätte gern bei sich halten. Der Ausbau dort dürfte | |
| ein Problem weniger haben: Das Land dort gehört ebenfalls der Agro | |
| Uetz-Bornim GmbH. Und diese Fläche würde sie auch gern abgeben. | |
| 16 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neue-Stellplaetze-fuer-Lkw-an-Autobahnen/!5725447 | |
| [2] https://www.openpetition.de/petition/online/lieber-naturerhalt-statt-asphalt | |
| [3] /Kommunalwahlen-in-Brandenburg/!5615424 | |
| ## AUTOREN | |
| Marco Zschieck | |
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